„Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ Die radikalen Folgen der Berliner Enteignungsdebatte

Als Geister verkleidete Demonstranten stehen 2019 vor dem Eingang zur Hauptversammlung des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen in Frankfurt. Quelle: dpa

Die Berliner stimmen am Sonntag darüber ab, ob Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen enteignet werden sollen. Was würde das bringen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Es ist der vorläufige Höhepunkt in einem langen Kampf: An diesem Sonntag stimmen die Berliner nicht nur über das Abgeordnetenhaus und den Bundestag, sondern auch über die Enteignung von Immobilienkonzernen ab. Über Jahre mobilisierte die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ die Hauptstadtbewohner, wetterte gegen steigende Mieten und Wohnungsnot. „Deutsche Wohnen & Co sind hauptverantwortlich für den Mietenwahnsinn“, heißt es von der Initiative, die die Wohnungspolitik radikal verändern will.

Solch ein Volksentscheid ist in der Bundesrepublik bislang einzigartig. Kritiker sehen in der Enteignungsdebatte einen Angriff auf die Grundfesten der Marktwirtschaft. Eigentumsrechte werden infrage gestellt. Die Initiative und große Teile der etwa vier Millionen Berliner verstehen den Volksentscheid als einzige Möglichkeit, die wohl größte soziale Frage unserer Zeit zu lösen.

Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ will Wohnungen privater Immobilienkonzerne in staatliche Hände führen. Welche Folgen hätte diese Vergesellschaftung für die Unternehmen und Mieter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist das Ziel des Volksentscheides?

Größtes Ziel ist es, die Mieten günstiger zu machen. Mieter sollen nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Warmmiete ausgeben müssen. Damit auch Geringverdienende sich das leisten können, setzt die Initiative einen Mietpreis von 4,04 Euro pro Quadratmeter an. Zum Vergleich: Aktuell beläuft sich die durchschnittliche Kaltmiete bei neu inserierten Wohnungen auf gut 11 Euro pro Quadratmeter, zeigen Zahlen von Immowelt.

Feindbild Nummer eins der Bürgerinitiative ist Deutsche Wohnen. Für den Berliner Wohnungskonzern ist die Hauptstadt enorm wichtig. Er besitzt dort gut 113.000 Wohnungen. Das sind rund 73 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes der Deutschen Wohnen (knapp 155.000 Wohnungen).



Doch nicht nur der Dax-Konzern, den der Bochumer Rivale Vonovia übernehmen will, steht im Visier. Mehr als 200.000 der insgesamt 1,5 Millionen Berliner Wohnungen sollen nach Vorstellung der Initiative vergesellschaftet und unter Verantwortung des Berliner Senats gestellt werden.

Die Initiatoren fordern, dass Immobiliengesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden sollen. Alle? Nicht alle, behauptet die Initiative: „Genossenschaften sollen nicht enteignet werden.“ Doch die Genossenschaften selbst sind besorgt. Der gescheiterte Berliner Mietendeckel wirkt nach: Schon da konnten sie von der Maßnahme nicht außen vor gelassen werden, weil eine solche Ungleichbehandlung rechtlich nicht möglich war.

„Deutsche Wohnen und Co. enteignen“: Ist eine Enteignung rechtlich überhaupt möglich?

Theoretisch ja. Das Grundgesetz regelt im Artikel 15: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ In der Geschichte der Bundesrepublik wurde der Artikel noch nie angewendet.

Der Volksentscheid wird vor allem Symbolwirkung haben. Der Senat muss dem Ergebnis nämlich nicht zwingend folgen. Ob der Senat ein Gesetz dazu erarbeiten wird, hängt von den Machtverhältnissen nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ab. Die aktuellen Koalitionspartner aus SPD, Linke und Grüne sind sich noch nicht einig. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) lehnt die Vergesellschaftung strikt ab, die Linken sind dafür. Und die Grünen halten sie sich offen.

Rechtsexperten merken allerdings an, dass auch nach einer möglichen Einigung im Senat lange Unklarheit bestehen wird und die Gerichte letztlich eine Entscheidung fällen müssen, ob die Maßnahme angemessen ist. Enteignungen sind nämlich nur erlaubt, wenn das gesellschaftliche Wohl nicht auf anderem Wege erreicht werden kann – zum Beispiel, indem mehr Wohnraum geschaffen wird.

von Philipp Frohn, Martin Gerth, Niklas Hoyer, Christof Schürmann

Was würde die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. kosten?

Das Grundgesetz regelt, dass die Betroffenen der Enteignung – also die Immobilienunternehmen – entschädigt werden müssen. Im Prinzip kauft das Land Berlin die Wohnungen zurück. Welche Kosten anfallen, lässt sich schwer beziffern. In einer Schätzung vom vergangenen Jahr geht der Berliner Senat von Belastungen in Höhe von 29 bis 39 Milliarden Euro aus. Hinzu kämen noch weitere Kosten, beispielsweise die Grunderwerbssteuer. Viel Geld für das chronisch blanke Land Berlin.

Die Bürgerinitiative will die betroffenen Unternehmen „deutlich unter Marktwert“ entschädigen. Dementsprechend beziffert sie die Entschädigungskosten mit 10 bis 11 Milliarden Euro deutlich niedriger. Die Entschädigung soll über einen Zeitraum von 40 Jahren aus Mieteinnahmen bezahlt werden.

Welche Folgen hätte die Enteignung für den Wohnungsmarkt?

Es wäre ein harter Schlag für die Berliner Immobilienwirtschaft. Deutsche Wohnen verlöre den Großteil seiner Wohnungen. Vonovia würde etwa ein Zehntel seiner mehr als 400.000 Wohnungen abgeben müssen. Die beiden Dax-Konzerne hatten bereits Zugeständnisse gemacht und jüngst 14.750 Wohnungen an Berlin verkauft. Außerdem versprachen sie, Mieterhöhungen in den nächsten drei Jahren auf ein Prozent pro Jahr zu begrenzen. In den beiden darauffolgenden Jahren sollen die Mieten nicht stärker steigen als mit der Inflationsrate.

Der Volksentscheid könnte den Wohnungsmarkt in der Hauptstadt komplett neu ordnen. Private Wohnungsvermieter würden quasi vom Markt gedrängt, befürchten Kritiker. Außerdem würde es für Berlin deutlich schwerer, Investoren anzulocken. Der Wohnungsneubau könnte damit noch mehr ins Stocken geraten.

„Deutsche Wohnen und Co. enteignen“: Welche Folgen hätte die Enteignung für Mieter?

Für Mieter der von den Enteignungen betroffenen Wohnungen könnte der Volksentscheid geringere Preisanstiege mit sich bringen. Wenn sich die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ mit ihren Vorstellungen durchsetzt, könnten die Bestandsmieten gar deutlich fallen.

Doch die Wohnungsnot in der Hauptstadt dürfte die Enteignung wohl nicht lösen, im Gegenteil. Weil Geschäfte dort für Investoren unattraktiv werden, dürfte sich die Wohnungssuche für Mieter erschweren. Denn mit der Enteignung wird keine einzige neue Wohnung gebaut.

Mehr zum Thema: Am 26. September stimmen die Berliner über die milliardenschwere Enteignung von Wohnkonzernen ab. Gesetzesentwürfe liegen schon bereit. Doch mit der Verwaltung der 380.000 Objekte wäre der Staat völlig überfordert.

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