Deutscher Mieterbund Mieses Zeugnis für den Wohnungsbau

Bezahlbarer Wohnraum in Deutschland wird knapp, warnt der Deutsche Mieterbund und fordert eine öffentliche Investitionsoffensive. Die Große Koalition urteilt der Verein ab: „insgesamt unbefriedigend“.

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Eine Million Wohnungen fehlen laut dem Mieterbund in Deutschland. Quelle: dpa

Berlin Stark steigende Mieten in den Ballungsräumen und ein nach wie vor lahmender Wohnungsbau verärgern den Deutschen Mieterbund. „Wir brauchen eine neue soziale Wohnungspolitik, eine öffentliche Investitionsoffensive und ein sozial ausgewogenes und gerechtes Mietrecht“, forderte Lukas Siebenkotten, Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), am Dienstag in Berlin. Wohnungs- und Mietenpolitik betreffe praktisch alle Menschen in Deutschland und müsse deswegen Top-Thema im Bundestagswahlkampf werden, so die Forderung des DMB. Konkrete Vorstellungen hätten bislang aber vor allem die Oppositionsparteien vorgelegt: „Das erwarten wir jetzt aber auch von CDU/CSU und SPD.“

Die Bilanz der Bundesregierung in der im Herbst ablaufenden Legislaturperiode bezeichnete DMB-Präsident Franz-Georg Rips als „insgesamt unbefriedigend“. Zwar seien wohnungspolitische Fragen insbesondere zu Beginn der Legislaturperiode stärker in den Fokus gerückt worden, Ergebnisse seien aber Mangelware geblieben. „Notwendige Reformen blieben im Ansatz stecken oder konnten nicht realisiert werden, weil sich die Koalitionsparteien nicht einig waren, und die Union insbesondere mietrechtliche Verbesserungsvorschläge blockierte.“

Dementsprechend mies fällt das Zeugnis aus: „Eine Million fehlende Wohnungen in Deutschland, Neubauzahlen, die deutlich hinter dem Bedarf zurückbleiben, Sozialwohnungsbestände, die weiter schrumpfen, stark ansteigende Wiedervermietungs- und jetzt auch Bestandsmieten“, kritisierte Rips im Vorfeld des 67. Deutschen Mietertages in Magdeburg. Obwohl die Wohnungsneubauzahlen seit 2013 um 29 Prozent auf zuletzt 277.691 Wohnungen gestiegen seien, reichten die Fertigstellungen bei weitem nicht aus, die seit Jahren bestehende und weiter anwachsende Wohnungsnachfrage zu decken.

Der jährliche Neubaubedarf liege bei 400.000 Wohnungen, erinnerte der Mieterbund-Präsident. „Damit sind allein in den beiden letzten Jahren 275.000 Wohnungen zu wenig gebaut worden.“ Mittlerweile fehlten eine Million Wohnungen in Deutschland – vor allem bezahlbare Mietwohnungen. In den Großstädten, Ballungsgebieten und Universitätsstädten sei es besonders schlimm.

Auch 2016 seien vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen gebaut worden, aber nur 53.240 klassische Mietwohnungen. Zuletzt hatte bereits die Wohnungswirtschaft beklagt, dass der Aufschwung bei den Wohnungsbaugenehmigungen schon wieder vorbei sei. „Von einem Wohnungsbauboom kann keine Rede mehr sein“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW im Mai.

Als wesentliche Voraussetzung für preiswertes Wohnen und Bauen sieht der Mieterbund eine aktive Baulandpolitik. Das heißt, eine schnelle und verbilligte Bereitstellung von Bauland durch Bund, Länder und Kommunen. Bodenpolitik und Planungsrecht müssten so gestaltet werden, dass Bodenspekulationen verhindert würden und bezahlbarer Wohnungsneubau, insbesondere der Bau von preisgebundenen Wohnungen, ermöglicht wird.


Warum die Mietpreisbremse nicht wirkt

Das von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) ins Leben gerufene „Bündnis für bezahlbaren Wohnen und Bauen“ habe zwar erste Akzente gesetzt. Die Aufstockung der Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung und die Möglichkeit, „Urbane Gebiete“ für den Wohnungsbau auszuweisen, seien aber bisher die einzigen greifbaren Ergebnisse. Die Zahl der neu gebauten Sozialmietwohnungen habe sich seit 2013 praktisch verdoppelt, auf zuletzt 24.550 Wohnungen. Das sei positiv, „aber auch hier sind wir vom tatsächlichen Neubaubedarf für Sozialmietwohnungen noch meilenweit entfernt“. Benötigt würden mindestens 80.000 bis 100.000 Sozialmietwohnungen pro Jahr, sagte Rips, der gleich eine Verdoppelung der Fördermittel des Bundes auf drei Milliarden Euro forderte.

Auf verbesserte Abschreibungsbedingungen für den Mietwohnungsbau oder eine steuerliche Förderung für den Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen bei entsprechenden Mietobergrenzen, so der DMB, habe sich die Bundesregierung nicht verständigen können.

Die 2015 eingeführte Mietpreisbremse funktioniere nicht und müsse dringend nachgebessert werden. Die Wiedervermietungsmieten stiegen ungebremst weiter. „Offensichtlich hält sich ein Großteil der Vermieter nicht an die gesetzlichen Regelungen.“ Mieter könnten die komplizierten und intransparenten gesetzlichen Vorschriften mit vielen Ausnahmetatbeständen kaum nutzen, so der Vorwurf des DMB. Doch auch die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen kletterten auf Rekordhöhe.

Grund sei, dass die ortsüblichen Vergleichsmieten aus den Vertragsabschlüssen und Mieterhöhungen der letzten vier Jahre gebildet würden. „Die Bundesregierung schaut dieser Mietpreisentwicklung tatenlos zu. Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die Vergleichsmiete auf eine breitere Basis zu stellen, also zum Beispiel den Betrachtungszeitraum von vier auf acht oder zehn Jahre zu verlängern, wurde nicht eingehalten“, kritisierte Rips.

Als Herausforderung in der neuen Legislaturperiode sieht der Mieterbund den Ausbau barrierereduzierter Wohnungen. Von elf Millionen Seniorenhaushalten lebten zurzeit nur 570.000 Haushalte in einer barrierereduzierten Wohnung. Gleichzeitig steige aber die Zahl der alten Menschen. Die bisherigen Anreize für öffentliche oder private Investoren, altersgerechte Wohnungen zu bauen oder umzubauen, seien völlig unzureichend. Statt der über Haushalts- und KfW-Mittel zur Verfügung stehenden 50 beziehungsweise 75 Millionen Euro pro Jahr sind nach Auffassung des DMB mindestens 200 Millionen Euro notwendig, um den Bestand an barrierearmen Wohnungen von derzeit ein bis zwei Prozent kontinuierlich zu steigern.

Rips sprach sich für die Energiewende, die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung und für Effizienzsteigerungen beziehungsweise den Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich aus. „Aber die damit verbundenen Kosten müssen sozialgerecht aufgeteilt werden.“ Obwohl im Klimaschutzplan 2050 beschrieben werde, dass Investitionen im Gebäudebereich vorgenommen werden müssen, ohne das Wohnen unverhältnismäßig zu verteuern, und dass die Auswirkungen steigender Kosten der Wohnraumversorgung mit großer Sensibilität zu prüfen sind, ziehe die Bundesregierung keine Konsequenzen. Doch einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 gebe es nicht zum Nulltarif, so Rips: „Vor der klaren Aussage, wer hierfür die Kosten tragen soll und in welchem Umfang, drückt sich die Bundesregierung.“

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