Endet der Immobilienboom? „Wenn es die Letzten merken, ist es zu spät“

Endet der Immobilienboom? Quelle: imago images

Neu einziehende Mieter müssen kaum noch mehr zahlen. Erleben wir das Ende des 2009 begonnenen Immobilienbooms? Sinken auch die Kaufpreise? Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts Empirica über die weiteren Aussichten – und eine echte Sensation.

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WirtschaftsWoche: Herr Braun, die neu aufgerufene Mieten in den deutschen Städten sollen 2019 nicht mehr gestiegen, sondern sogar leicht gesunken sein. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Auswertungen. Dürfen Mieter jetzt aufatmen?
Reiner Braun: Langsam sieht man Licht am Ende des Tunnels. Die Angebotsmieten stagnieren vielerorts. Dass sie wirklich sinken, bezweifle ich - aber auch eine Stagnation ist nach Jahren des Anstiegs schon eine echte Sensation. Zumal für diese Daten die Angebotsmieten auf den einschlägigen Internetportalen ausgewertet werden und die überzeichnen die Gesamtlage.

Inwiefern?
Ich gehe schon davon aus, dass die Vermieter zu den aufgerufenen Mieten auch Mieter finden. Insofern sind das reale Werte. Aber es gibt durchaus Schnäppchen, günstigere Wohnungen, die gar nicht erst auf den Portalen inseriert werden. Um solche Wohnungen reißen sich die Mieter. Da wird jeder Mieter, der ausziehen muss, dem Vermieter sofort einen Nachmieter vorschlagen. Die gehen unter der Hand weg. Solche günstigeren Mieten fließen damit nicht in die Werte der Internetportale ein.

Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts Empirica.Zur Person: Reiner Braun, 53, ist Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts Empirica. Der studierte Volkswirt arbeitet schon seit 1994 für Empirica. Er ist ausgewiesener Experte für den Wohnungsmarkt, die Themen Wohneigentum, Vermögensbildung und Altersvorsorge. So war er einer der Ideengeber für die staatlich geförderte Altersvorsorge mit Immobilien, den „Wohn-Riester“. Für Empirica betreut er zudem Preis- und Leerstandsdaten zum Immobilienmarkt. Quelle: empirica/Heidi Scherm

Die offiziell ausgewiesene Beruhigung bei den Mieten passt nicht recht zur gefühlten Lage. Mieter klagen weiter über das knappe Angebot und  steigende Mieten. Es gibt auch Auswertungen, die für 2019 noch steigende Mieten in den Städten ausweisen.
Wichtig ist die genaue Unterscheidung. Wenn Angebotsmieten stagnieren, heißt das ja nur, dass neu zur Vermietung angebotene Wohnungen nicht noch teurer vermietet werden, als die vor einem Jahr zur Miete angebotenen Wohnungen. Wer schon lange zur Miete wohnt, der zahlt meist ohnehin deutlich niedrigere Mieten - die Bestandsmieten. Natürlich erhöht so mancher Vermieter diese Bestandsmieten noch, soweit und so stark wie das rechtlich möglich ist. Insgesamt kann es also durchaus sein, dass die Mieter in den kommenden Jahren im Schnitt mehr zahlen müssen, auch wenn die Angebotsmieten stagnieren oder gar sinken. Der Abstand zwischen Bestands- und Angebotsmieten ist vielerorts groß.

Die Kreditzinsen sind 2019 weiter gesunken, das Angebot an Wohnraum hält mit der Nachfrage nicht mit. Wie kommt es zu den stagnierenden Mieten?
Angebot und Nachfrage waren tatsächlich die entscheidenden Faktoren für den Mietanstieg der vergangenen Jahre. Wir haben drei große Zuwanderungswellen in Deutschland erlebt: erst aus Südeuropa, dann aus Osteuropa und am Schluss, vor allem 2015, die Flüchtlinge. Das ist aber nun schon ein paar Jahre her. Es hat lange keine Zuwanderungswelle mehr gegeben. Natürlich spielt die Binnenwanderung innerhalb Deutschlands ebenfalls eine Rolle. Aber auch da ziehen viele nicht mehr in die Städte, die in den vergangenen Jahren besonders im Fokus standen. In Berlin ist der Saldo aus Zu- und Fortzüglern im vierten Jahr in Folge gesunken. Wenn Studenten aus Brandenburg in der Vergangenheit fürs Studium nach Berlin gezogen sind, dann weichen sie jetzt eher aus, weil sie in der Hauptstadt keine Wohnung mehr finden. Sie gehen dann eher nach Magdeburg oder Chemnitz zum Beispiel. Solche Ausweichreaktionen beobachten wir bei vielen Städten. Statt Stuttgart ist Pforzheim eine Alternative.

Da werden Stuttgarter sofort widersprechen...
Es mag sein, dass kein Zuzügler wirklich primär nach Pforzheim will. Das ist nicht unbedingt die attraktivste Stadt. Sie liegt aber günstig an der Autobahn A8 und hat eine gute Bahnanbindung, etwa nach Karlsruhe und Stuttgart. Bei niedrigen Mieten können solche Ausweichstädte zu einer echten Entlastung führen.

Sie haben bisher über die Mieten gesprochen. Schlägt diese Entwicklung direkt auf die Kaufpreise durch? Platzt jetzt die Immobilienblase?
Wir haben in Deutschland eine Blase auf dem Immobilienmarkt. Wer das Gegenteil behauptet, der ist Lobbyist: entweder Banker oder aus der Immobilienwirtschaft. Aber auch wenn es eine Blase gibt, heißt das nicht unbedingt, dass sie platzen muss. Obwohl die Mieten stagnieren, beobachten wir bislang keine stagnierenden Kaufpreise. Der beste Indikator für Preisrisiken wäre ein steigender Leerstand. Davon ist in den Städten noch nichts zu sehen. Bei den Kaufpreisen sind die Zinsen ein entscheidender Faktor. Sollten die Zinsen deutlich steigen und Kredite verteuern, könnte das tatsächlich zu sinkenden Kaufpreisen führen. Doch von steigenden Zinsen sind wir momentan noch weit entfernt. Noch fehlt also ein Auslöser für Preisdruck.

Gibt es eine Art natürliche Untergrenze für die Immobilienpreise, etwa die Preise von Grundstücken zuzüglich der Baukosten?
Nicht unbedingt. An Standorten mit großem Überangebot spielen diese Größen keine Rolle. In Städten mit knappem Angebot sichern sie den Markt hingegen schon nach unten ab. Denn wenn die Preise unter dieses Niveau fielen, würde eben keiner mehr bauen - solange die Marktkräfte frei wirken können.

„Bislang hat jeder Immobilienboom mit einem Überangebot geendet“

Wie haben sich Grundstückspreise und Baukosten in den vergangenen Jahren entwickelt?
Das hängt stark von der Region ab. Ganz grob geschätzt lagen wir hier in Summe vor zehn Jahren vielleicht bei 2000 Euro für Grundstück und Neubau je Quadratmeter Wohnfläche. Heute dürften es eher 3500 Euro sein. Sollte es künftig möglich sein, sehr viel günstiger zu bauen - was bislang aber nicht zu beobachten ist - würde diese Untergrenze wieder sinken.

Was könnte sonst noch Auslöser sinkender Preise sein?
Eine lokale Entwicklung, etwa wirtschaftliche Probleme, kann eine Rolle spielen. Sollten an wichtigen Standorten von Autoherstellern, wie Wolfsburg, durch den Umbruch in der Autobranche künftig mehr Menschen um ihren Job fürchten oder arbeitslos werden, würden weniger Menschen Immobilien kaufen. Auch die Regulierung der Märkte, momentan ja besonders in Berlin, könnte Folgen haben.

Wie sind die ersten Reaktionen in Berlin, wo ein neu eingeführter Mietendeckel Vermietern nicht nur Mieterhöhungen verweigert, sondern viele Mieter künftig sogar weniger zahlen müssen?
Eine erste Reaktion: Es werden mehr Wohnungen zum Kauf angeboten. Unter den Verkäufern sind durchaus auch private Vermieter, die jetzt Panik bekommen. Solche Wohnungen werden nun eher von Selbstnutzern gekauft, weil die Vermietung nicht mehr attraktiv ist. Welche Preise im Vergleich zu den offiziellen Marktpreisen dabei erzielt werden können, hängt stark von der Wohnung ab: Der Gründerzeitbau in Prenzlauer Berg wird weiterhin zu hohen Preisen weggehen. Der Fünfzigerjahrebau im Wedding hingegen eher nicht. Selbstnutzer werden sowas, wenn überhaupt, nur mit Preisabschlag kaufen. Bei solchen Immobilien werden sich Selbstnutzer schon von den Investoren unterscheiden, die bislang dort gekauft haben. Investoren waren mit Blick auf die niedrigen Alternativrenditen eher bereit, auch höhere Preise zu zahlen. Bei Immobilien, die nicht gut in Schuss sind, in eher einfachen Lagen könnte der Mietendeckel insofern zu sinkenden Preisen führen.

Auf breiter Front rechnen sie aber auch in Berlin nicht mit sinkenden Preisen - trotz Mietendeckels?
Nicht sofort. Spätestens wenn die Mietsenkungen kommen, werden die Preise aber etwas fallen. Bei vielen Objekten haben Selbstnutzer in den vergangenen Jahren gar nicht mehr geboten, weil Investoren so viel gezahlt haben. Diese Preise können Selbstnutzer oft schlicht nicht stemmen.

Allerdings könnte das Angebot an Wohnraum knapp bleiben, wenn wegen des Mietendeckels weniger gebaut wird, was die Preise eher treiben würde?
Durch den Mietendeckel werden sicherlich weniger Mietwohnungen gebaut werden. Wie stark dieser Effekt wirklich sein wird, ist aber noch offen. Anfangs ist der Neubau von der Regulierung ja ausgenommen. Allerdings traue ich dieser Ausnahme genauso wenig wie die meisten Investoren. Wenn der Mietendeckel nicht vor Gericht zu Fall gebracht wird und wirklich längerfristig bleibt, muss er daher in fünf Jahren wohl verlängert werden, weil das Angebot an Wohnraum eben weiterhin nicht ausreicht, sodass der Druck auf den Mieten hoch bleibt. Dann dürften auch die zwischen 2014 und 2019 gebauten Wohnungen unter den Mietendeckel fallen.

Rechnen Sie damit, dass andere Städte sich Berlin zum Vorbild nehmen und auch einen Mietendeckel einführen?
Es kann Nachahmer geben. Die werden einen solchen Mietendeckel aber nicht so abartig gestalten wie in Berlin. Ein Deckel soll ja eigentlich nur deckeln. Die Mietsenkungen passen weder zum Namen, noch sind sie ökonomisch ansatzweise sinnvoll. In Bayern und Baden-Württemberg wird nur über einen mehrjährigen Mietenstopp diskutiert. Denen traue ich auch eher zu, dass sie die Zeit dann wirklich für mehr Neubau nutzen, damit die Märkte in ein Gleichgewicht kommen. Einen Mietenstopp halte ich angesichts der sozialen Spannungen für nachvollziehbar, wenn gleichzeitig wirklich alles Menschenmögliche gemacht wird, um mehr Neubauten zu erreichen.

Wie wird der Immobilienboom enden?
Bislang hat jeder Immobilienboom mit einem Überangebot geendet. Das wird beim aktuellen Superzyklus nicht anders sein. Wenn es die Letzten merken, ist es zu spät. Einige, die steigende Immobilienpreise für ein Naturgesetz halten, werden sich noch wundern. Allerdings werden wir auch dann nicht auf die Preis- und Mietniveaus vom Anfang des Booms, also 2008 oder 2009, zurückfallen. Am wahrscheinlichsten ist, dass wir ein paar Jahre der Stagnation erleben, bis die steigenden Einkommen das Preisniveau wieder tragbar machen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einkommen im Vergleich zu 2008 heute bereits sehr viel höher sind. Auch das relativiert die starken Zuwächse am Immobilienmarkt bereits ein wenig.

Lesen Sie unsere große Analyse der Wohnimmobilienmärkte in den 50 größten Städten: Wo lohnt der Kauf von Haus oder Wohnung noch? Wo sollten Sie eher mieten als kaufen? Immobilienatlas 2020: Alle Preise, alle Mieten – und die wichtigsten Standortfaktoren im Check. Der ultimative Ratgeber für Eigentümer, Vermieter, Mieter und alle Interessenten.

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