Enteignung von Wohnimmobilien „Wohnunternehmen in Berlin halten ihre Investitionen zurück“

Maren Kern ist seit August 2009 Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Quelle: Presse

Nachdem sich die Berliner per Volksentscheid für die Enteignung von Wohnkonzernen ausgesprochen haben, soll nun eine Expertenkommission die Umsetzbarkeit prüfen. Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen kritisiert die langen Zeitläufe der Umsetzung und warnt vor den Folgen für Mieter und Investoren.

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Nach dem Doppelstudium der Rechtswissenschaft und Architektur war Maren Kern als Rechtsanwältin in einer  Berliner Kanzlei tätig. Seit August 2009 ist sie Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). 

WirtschaftsWoche: Der neugewählte Berliner Senat will eine Expertenkommission einsetzen, die den Volksentscheid zur Enteignung von Wohnimmobilien prüfen soll. Ist das der richtige Weg, um mit dem Volksentscheid umzugehen?
Maren Kern: Ich kann nachvollziehen, warum der Berliner Senat in dieser Weise verfährt. Aber ich denke, dass die Fakten eigentlich schon alle auf dem Tisch liegen. Es gibt genügend Berechnungen darüber, was die Umsetzung dieses Volksentscheids kosten soll und umfangreiche Gutachten namhafter Juristen dazu, dass eine Enteignung verfassungswidrig wäre. Deshalb halte ich den Zeitraum, innerhalb dessen sich die Expertenkommission mit der Thematik auseinandersetzen soll, für eindeutig zu lange. Dass alleine die Besetzung der Kommission hundert Tage dauern soll, halte ich für viel zu lange. So etwas ist doch auch im halben Zeitraum oder auch einem Monat zu schaffen. Und dann soll diese Expertenkommission ein Jahr tagen. Während dieses ganzen Zeitraums werden Investoren von außerhalb Berlins weiter abgeschreckt werden und sich bereits in Berlin tätige Investoren zumindest im Blick auf Neubau und Modernisierungen zurückhalten.

Wie gehen Ihre Mitgliedsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen mit dem Risiko einer möglichen Enteignung in Berlin um? 
Wir erkennen ganz deutlich, dass die Wohnunternehmen Investitionen zurückhalten. Gerade Wohnunternehmen, die knapp unterhalb der Schwelle von 3000 Wohnungen sind, halten sich beim Neubau und beim Zukauf extrem zurück. Denn ab einem Bestand von 3000 Wohnungen könnten sie eventuell enteignet werden, was übrigens auch für Genossenschaften gilt. Für den Wirtschaftsstandort Berlin ist die aktuelle Lage absolut negativ.

Lässt sich dieser Investitionsrückgang in Zahlen festmachen?
Die Genehmigung neuer Wohnungen in Berlin ist seit Jahren rückläufig. Seit 2016, also seit der rot-rot-grüne Senat in Berlin an der Macht ist, sind sie um 18,4 Prozent zurückgegangen. Was nicht genehmigt ist, kann nicht gebaut werden, deshalb ist letztes Jahr erstmals seit Jahren auch die Zahl der Fertigstellungen gesunken. Für den Zeitraum seit dem Volksentscheid im September 2021 liegen uns noch keine Daten vor. Wir erfahren allerdings durch unsere Mitgliedsunternehmen, dass diese Investitionsstopps eben tatsächlich vollzogen werden. Auch bei der Sanierung und Modernisierungen von Objekten, aber eben auch beim Neubau und Zukauf erleben wir Rückgänge. Die Gründe dafür liegen einerseits in der Investitionsfeindlichkeit in Berlin und andererseits in den unglaublich langen Genehmigungsvorläufen, die in Berlin länger als in einigen anderen Bundesländern dauern.

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, dem Sie vorstehen, soll Teil der Expertenkommission des Senats werden. Dagegen hat sich die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, die den Volksentscheid durch Unterschriftensammlungen ins Leben rief, quergelegt. Werden Sie der Expertenkommission trotzdem beitreten?
Noch wird über die Zusammensetzung nur spekuliert. Zuerst muss der Koalitionsvertrag in Berlin die Zustimmung aller Beteiligten erhalten. Dann müssen die Regierende Bürgermeisterin gewählt und der Senat ernannt werden. Erst danach wird sich der Senat intensiver mit dieser Expertenkommission auseinandersetzen können. Letztlich wird die Regierende Bürgermeisterin in Abstimmung mit den zuständigen Senatsverwaltungen entscheiden, wer Mitglied dieser Kommission sein wird.



Gehen Sie denn davon aus, dass Ihr Verband Mitglied der Expertenkommission wird?
Ich denke schon. Gerade wenn es um die Errichtung einer Anstalt öffentlichen Rechts geht, wie von der Initiative zur Abwicklung einer Enteignung vorgesehen, wäre es wichtig, dass hier auch wohnungswirtschaftlicher Sachverstand miteinfließt. Es geht ja um die Frage, wie so eine Enteignung oder Vergesellschaftung überhaupt praktisch umgesetzt werden könnte. Die Wohnungen müssten dann ja auch bewirtschaftet werden durch diese neue Anstalt. Und wir wissen eben ganz genau, wie das funktioniert, welche Sorgen Mieter haben und wie man zum Beispiel begonnene Modernisierungsmaßnahmen fortsetzt oder Betriebskostenabrechnungen erstellt. Bei Fragen der Umsetzung halte ich uns daher für eine entscheidende Stimme.

Der Unmut der Mieter über den Wohnungsmarkt in Berlin ist enorm, sonst wäre es gar nicht zu diesem Volksentscheid gekommen. Wie könnte man die Lage ohne Enteignung entspannen?
Die Enteignung löst kein einziges Problem der Mieter. Zu lösen ist die Unzufriedenheit vieler Mieter nur durch mehr Neubau von günstigen Mietwohnungen. Ich weiß, dass es dieses Gefühl in Berlin gibt, dass der Markt für Mieter mit radikalen Eingriffen besser werden würde. Diese Stimmung hat die Enteignungsinitiative mit sehr viel Geschick aufgegriffen. Aber mit Fakten ist dieses Gefühl eben nicht zu stützen. Wenn man die Mieten der Unternehmen betrachtet, die im Fokus der Enteignungsinitiative stehen, stellt man fest, dass diese keineswegs Preistreiber sind. Der Mietspiegeldurchschnitt liegt in Berlin bei günstigen 6,79 Euro pro Quadratmeter. Deutsche Wohnen verlangt im Großraum Berlin aktuell eine Durchschnittsmiete von 7,11 Euro für den Quadratmeter. Bei Vonovia liegt dieser Wert bei 7,03 Euro. Das ist völlig auf dem Niveau des Mietspiegels und dennoch ist ein Eindruck entstanden, als ob hier überproportional hohe Mieten verlangt würden. Das Gefühl deckt sich eben nicht mit den Fakten.

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Rechnen Sie damit, dass es in Berlin tatsächlich zu einer Enteignung von Wohnkonzernen kommen wird?
Die Kommission soll ja prüfen, ob der Volksentscheid verfassungsmäßig, finanziell und gesellschaftlich umsetzbar ist. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein solches Enteignungsgesetz vor den Verfassungsgerichten halten würde. Die zweite große Hürde sehe ich in den Finanzaspekten. Summa summarum würden sich die Kosten für die Enteignung und Entschädigung an die Wohnunternehmen nach unserer Schätzung auf rund 60 Milliarden Euro belaufen. Das wäre eine Verdopplung der Berliner Schulden. Aber vor allem die Hürde des Bundesverfassungsgerichtes dürfte das Vorhaben mit Bestimmtheit nicht überwinden. Bis ein solches Enteignungsgesetz nun aber auf den Weg gebracht und eingeführt ist, bis dagegen also überhaupt geklagt werden kann, würden mehrere Jahre vergehen. Und das sind Jahre der Unsicherheit zum Nachteil aller – der Investoren, aber auch der Mieter. Die Einsetzung der Expertenkommission wird eine weitere Verzögerung zur Folge haben.

Mehr zum Thema: Expertenkommission soll in Berlin über Enteignungs-Volksbegehren beraten

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