Expo Real 2018 „Deutliche Preiskorrekturen gab es in Deutschland nie“

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Keine Hochhäuser - und schon gar nicht vor meiner Haustür

Verantwortung für die Not trägt auch die Politik. So hat etwa die so genannte Mietpreisebremse das Problem nicht nur nicht entschärft, sondern so manchen Immobilienentwickler von neuen Investitionen abgehalten.

Dazu kommt: Die öffentliche Hand hat sich in den vergangenen Jahren nahezu komplett aus dem Wohnungsbau zurückgezogen. Dresden etwa hat seinen kompletten Wohnungsbestand verkauft. „NRW hat seine Landesentwicklungsgesellschaft an eine Heuschrecke abgetreten“, sagt Aengevelt. Und Bayern hat seine 32.000 Wohnungen schon vor fünf Jahren an die Immobiliengesellschaft Patrizia verkauft. Einen Grund für den Ausverkauf durch Länder und Kommunen sehen Fachleute darin, dass nach 30 bis 40 Jahren der Instandhaltungsbedarf bei Wohnungen stark zunehme. Da trenne man sich lieber von den Wohnungen. „Viele haben zum richtigen Zeitpunkt verkauft“, ätzt Aengevelt.

Bayern versucht nun immerhin umzusteuern. Im Juli gab Ministerpräsident Markus Söder von der CSU den Startschuss für die neue öffentliche Wohnungsbaugesellschaft BayernHeim. Der Freistaat stattet die Gesellschaft zunächst mit 50 Millionen Euro Startkapital aus. Bis 2025 sollen die ersten 10.000 preisgünstigen Wohnungen fertigwerden.

Städte wie München oder der Rhein-Main-Raum rund um Frankfurt haben in den vergangenen Jahren zudem damit begonnen, noch freie Flächen in den Innenstädten zu bebauen. Nachverdichtung lautet die Zauberformel.

Das Problem: Die meisten der Vorhaben werden von heftigen Protesten der Anwohner begleitet. Bitte löst das Wohnungsproblem, aber baut keine Hochhäuser und schon gar nicht vor meiner Haustür, forderten viele Stadtbewohner, hat Cielebek festgestellt.

Besonders ausgeprägt ist dieser Zwiespalt in München. Jedes Jahr ziehen etwa 20.000 Menschen neu in die boomende bayerische Landeshauptstadt. Doch kaum wird ein neues Bauprojekt, etwa auf einem Acker im östlichen Stadtteil Trudering, bekannt, formieren sich die Demonstrationszüge. Der Münchner wünscht sich weiß-blaue Idylle mit freiem Blick über grüne Wiesen und Wälder mitten in der Innenstadt. Manche Bewohner forderten zuletzt gar, den Zuzug nach München gesetzlich zu verbieten. Nicht nur verwöhnt und selbstgefällig, auch noch realitätsfern seien sie, lästern Fachleute aus der Immobilienwirtschaft. Mag die Welt sich auch noch so rasch verändern, aber bitte nicht bei uns, denken sich wohl viele Bayern.

„Wir beobachten insgesamt eine Entsolidarisierung unter den Mietern“, sagt auch Sybille Wegerich, Vorstand der Bauverein AG. Das gehe oft nach dem Muster „wir brauchen hier nicht noch mehr Leute“. Die Bauverein AG ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft in Darmstadt. Dabei haben Experten längst kreative Lösungen für die Nachverdichtung in deutschen Innenstädten entwickelt, auch wenn hierzulande eigentlich noch viel Platz ist. In Darmstadt etwa leben auf einem Quadratkilometer 1300 Menschen, in München 4400, in Paris kommen auf einen Quadratkilometer dagegen 22.000 Menschen.

Wegerich von der Bauverein AG hat etwa festgestellt, dass sich in Darmstadt beispielsweise auf Bauten aus den Fünfzigerjahren sehr gut zwei Geschosse aufpflanzen ließen. Dadurch ließen sich an den Häusern Aufzüge anbringen; insgesamt führe der Umbau zu einer Modernisierung, die wiederum auch jüngere Mieter anziehe. Insgesamt, so haben Experten errechnet, ließen sich durch Dachaufstockungen rund 1,5 Millionen Wohnungen schaffen.

Darüber hinaus gibt es in vielen Städten durchaus noch freie Flächen, man muss sie nur kreativ nutzen. In den 70 größten deutschen Städten etwa belegen Discounter wie Aldi und Lidl insgesamt 11.000 Flächen mit ihren meist fensterlosen Flachbauten und großzügigen Parkplätzen. „Da wird mit Flächen geaast“, kritisiert Karsten Tichelmann, Stadtplaner der TU Darmstadt. Zwischen 700.000 und einer Million Wohneinheiten ließen sich dort bauen, erklärt Tichelmann und fügt hinzu, in Städten wie Tokio erledigten die meisten Bewohner ihre Einkäufe längst unterirdisch in U-Bahn-Stationen.

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