Die Bundesregierung geht aktuell von einem Bedarf an 350.000 neuen Wohneinheiten pro Jahr aus. Dabei hat sie die steigende Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, schon mit einkalkuliert, noch im Frühjahr lag der geschätzte Bedarf nur bei 272.000 neuen Wohnungen. Glaubt man allerdings einem neuen Gutachten, welche das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Auftrag des Immobilieninvestors Deutsche Invest Immobilien (d.i.i.) erstellt hat, geht auch der höhere Bedarf noch deutlich an den tatsächlichen Zahlen vorbei.
Die Wissenschaftler erwarten, dass zwischen 2015 und 2020 jährlich rund 430.000 Neubauwohnungen erforderlich sein werden, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. „Angesichts der Flüchtlingsbewegung ist die vergangene Prognose aus dem August bereits wieder veraltet“, sagt IW-Ökonom Michael Voigtländer, einer der Studien-Autoren.
Aber wie errechnen die Ökonomen diese Zahl? Und warum sollten die 430.000 neugebauten Wohnungen den tatsächlichen Bedarf abbilden?
Dafür braucht es einige Annahmen und Eckpfeiler. Zunächst basieren die Berechnungen auf der Prognose, dass 2020 nicht wie bisher angenommen 82 Millionen Menschen in Deutschland leben, sondern 83 bis 85 Millionen. „Für die Berechnung haben wir uns angesehen, wer kommt, wie alt die Flüchtlinge sind, und wie viele von ihnen wohl bleiben dürfen“, sagt Voigtländer. Zudem sei ein gewisser Familiennachzug einkalkuliert worden. Insbesondere das Alter ließe darauf schließen, so der Wissenschaftler, wie groß der Bedarf an Wohnraum sein wird. 80 Prozent der Flüchtlinge seien unter 40 Jahre alt.
Einen Anhaltspunkt für die benötigte Wohnungsgröße sahen die Autoren des Gutachtens in dem Wohnbedarf, den deutsche Hartz-IV-Empfänger im selben Alter haben. „Den durchschnittlichen Wohnungsbedarf der Bevölkerung zu unterstellen wäre irreführend, weil das Einkommensniveau ja zunächst ein anderes ist“, sagt Voigtländer.
Länder mit der höchsten Zahl der Asylbewerber (2014)
Zypern
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 1.255
...pro 100.000 Einwohner: 145
Deutschland
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 126.705
...pro 100.000 Einwohner: 158
Belgien
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 21.030
...pro 100.000 Einwohner: 189
Ungarn
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 18.895
...pro 100.000 Einwohner: 190
Luxemburg
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 1.070
...pro 100.000 Einwohner: 199
Österreich
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 17.500
...pro 100.000 Einwohner: 207
Norwegen
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 11.930
...pro 100.000 Einwohner: 236
Schweiz
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 21.305
...pro 100.000 Einwohner: 265
Malta
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 2.245
...pro 100.000 Einwohner: 533
Schweden
Zahl der Bewerber...
...insgesamt: 54.270
...pro 100.000 Einwohner: 568
Zudem wird eine heikle Annahme getroffen: es wird unterstellt, dass die Flüchtlinge gleichverteilt auf alle Kreise untergebracht werden. Für bundesweit geltende Berechnungen mag das gehen, grundsätzlich sind sich die Wissenschaftler allerdings darüber einig, dass der Bedarf in den Städten deutlich höher liegt als auf dem Land. „Eigentlich wird der komplette Neubaubedarf in den Städten benötigt“, sagt Voigtländer.
Schon jetzt, so die Wissenschaftler, werde in Deutschland viel zu viel am Bedarf vorbei gebaut. Denn von den 245.000 Wohnungen, die im vergangenen Jahr gebaut wurden, steht eine Mehrzahl in ländlichen Regionen, in denen der Leerstand sowieso bereits höher ist als in der Stadt. Nur 40 Prozent des Neubaus wurde in Städten errichtet.
Leerstand auf dem Land
Die Verteilung der Flüchtlinge, so Voigtländer, spiele daher eine große Rolle. Während ländliche Regionen dabei unterstützt werden müssten, die benötigte Infrastruktur für die Zuziehenden aufzubauen und wenn möglich noch besser an umliegende Städte angebunden werden sollten, käme es in den Ballungszentren eher auf kreative Lösungen an. „Gefragt sein könnten beispielsweise Wohnungen, die eben statt sonst 50 Jahren nur 20 überdauern“.
Keine überzeugende Antwort findet das Gutachten dagegen auf die Frage, wie der spezielle Bedarf an Wohnungen im unteren Preisbereich zu decken ist. Frank Wojtalewicz, Geschäftsführer der d.i.i., hält naturgemäß wenig von sozialem Wohnungsbau. Da die öffentliche Hand nicht mehr baue, müssten das nun Privatinvestoren machen. Dafür wiederum müsse aber die Regierung die richtigen Voraussetzungen schaffen, wettert Wojtalewicz gegen die Mietpreisbremse.
Vom Neubau günstiger Wohnungen halten sowohl Wojtalewicz als auch Voigtländer wenig. „Auch wenn im oberen Segment gebaut wird, kommt das am unteren Ende an“, sagt Wojtalewicz. Gäbe es ausreichend Neubauwohnungen, müssten Bestandswohnungen nicht mehr so aufwendig saniert werden und blieben dadurch günstiger.
Ob sich auf diese Weise der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsräumen beseitigen lässt, scheint zumindest fragwürdig.