Gentrifizierung in Frankfurts Bahnhofsviertel Explodierende Mieten im verruchten Viertel

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Städtische Aufwertungsstrategien

Irgendwann aber nervten die Mängel: Ungeziefer in den Wohnungen, wenn das Treppenhauslicht ausfiel, wurde es nicht repariert. Das Haus war nach dem Tod der Eigentümerin an eine Erbengemeinschaft gefallen, die nun höhere Mieten wollte. Schneider dagegen minderte die Miete wegen der Mängel, zog aus, stritt sich mit dem Vermieter vor Gericht. Das Ende der Geschichte: Der Vermieter renovierte schließlich, verdoppelte aber anschließend die Kaltmiete.

Und da es solche Fälle viele gibt, müssen nach den alteingesessenen Bahnhofsviertel-Bewohnern, die schon von den Mietpreisschüben der ersten Gentrifizierungswelle überfordert wurden, nun auch die Neumieter der ersten Runde weichen und finanziell potenteren Mietern Platz machen. Denn nicht nur private Investoren und Erben, sondern auch große Projektgesellschaften entdecken das Geschäft.

Formart aus Essen etwa übernahm 2011 ein Gebäude an der Niddastraße, das die Dresdner Bank früher als Rechenzentrum genutzt hat. Seit Januar 2015 werden auf fast 8000 Quadratmetern Edelwohnungen angeboten. Erst 2017 sollen sie fertig sein, trotzdem sind 95 Prozent der 89 Wohnungen schon weg. „Wir haben mit Quadratmeterpreisen von 4000 Euro begonnen, konnten jedoch im Projektverlauf auch höhere Kaufpreise erzielen“, sagt Projektmanager Ralf Werner. Großen Wert habe man darauf gelegt, dass Bewohner die Kaiserstraße, die Flaniermeile des Viertels, erreichen können, ohne die Treffpunkte der Drogendealer und Süchtigen passieren zu müssen. Der Formart-Komplex, im Nordosten des Viertels, befindet sich in bester Gesellschaft: Ganz in der Nähe hat die Deutsche Asset Management, eine Deutsche-Bank-Tochter, ein Gebäude bezogen. Etwas weiter, an der Taunusanlage, entsteht der Marienturm, ein Hochhaus von Hochtief, mit 155 Metern fast so hoch wie die benachbarten Türme der Deutschen Bank. Und um die Ecke hat Credit Suisse Asset Management Immobilienanlagegesellschaft für 100 Millionen Euro das Hochhaus T8 mit 17 Stockwerken errichtet.

Ein Viertel verändert sein Gesicht

Zur Aufwertungsstrategie der Stadt gehört es auch, die Vorschriften zu lockern. Davon hat Investor Jürgen Zoubek profitiert, der mit der Zoubek Group vom hessischen Maintal aus in den Bereichen Haustechnik, Grundbesitz und Projektmanagement tätig ist. Er kaufte vor einigen Jahren einem Hedgefonds, der dafür keine rechte Verwendung hatte, ein Bürogebäude an der Elbestraße ab. Das Kulturdenkmal, Jahrgang 1903, wurde früher unter anderem von der Dresdner Bank genutzt. Zoubek baute das Haus, das in direkter Nachbarschaft zum Twenty7even-Komplex liegt, bis Ende 2013 komplett um und vermietet dort nun 30 Wohnungen zu Kaltmieten von 13 bis 14 Euro pro Quadratmeter, dazu vier Gewerbeeinheiten. Einer der Mieter ist die Deutsche Bahn, die hier ihr Zukunftslabor d.lab untergebracht hat.

Für die neuen Wohnungen hätte Zoubek Parkplätze schaffen müssen, was im eng bebauten Viertel fast nur mit Tiefgaragen möglich ist. Die Stadtverwaltung bot ihm jedoch einen Deal an: „Ich habe mich verpflichtet, kein Laufhaus und kein Spielcasino zu errichten oder zu vermieten“, sagt der Investor. Vertreter der Branche, die direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Elbestraße angesiedelt sind, hatten bereits Interesse signalisiert. Dass Zoubeks Mieter nun keine hauseigenen Parkplätze zur Verfügung haben, störe nicht weiter: „Das sind vor allem Leute um die 30, die gar keinen Wert auf ein eigenes Auto legen.“

So ändert sich das Gesicht des Viertels – an den Außenrändern neue Büros, im Kern, rund um die Kaiserstraße, immer neue Restaurants, Burger-Imbisse und Organic-Cafés. Weil neuer Wohnraum entsteht, ist die Einwohnerzahl in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen, mittlerweile leben hier gut 3900 Menschen.

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