Großbritannien Der Preisboom bei Londons Immobilien ist vorbei

Britische Hausverkäufer kämpfen mit einem launischen Immobilienmarkt. Viele müssen sich von einstigen Preisvorstellungen verabschieden.

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Maklerfirmen in London. Immobilienpreise stagnieren und verunsichern Verkäufer von Objekten. Quelle: dpa

London Lance Paul hat sein Haus im Westen von London im Mai 2017 mit einem Preisschild von 1,5 Millionen Pfund (1,7 Millionen Euro) auf den Markt gebracht. Ein Jahr später fordert der pensionierte Animateur 1,1 Millionen Pfund – und hat noch immer keinen Käufer gefunden.

Jetzt, nach Dutzenden von Besichtigungen, die zu nichts führten und ein paar absichtlich zu niedrigen Geboten, hat der 71-Jährige ein Kaufangebot erhalten. Es liegt quälend nahe der Untergrenze, unter die, das hat er sich fest vorgenommen, niemals gehen würde. Paul denkt ernsthaft daran, das Angebot anzunehmen. Er habe Angst, sagt er, dass es noch weiter nach unten gehen könnte.

Ähnliche Überlegungen finden derzeit in ganz London statt. Immobilienverkäufer wägen ab, ob sie in einem fallenden Markt das nehmen sollen, was sie bekommen können. Oder ob sie abwarten, in der Hoffnung, dass der Einbruch nur von kurzer Dauer sein wird. In den vergangenen vier Jahrzehnten erwies sich Aussitzen als kluger Weg. Die Frage ist nun, ob der Brexit und der allmähliche Rückzug aus der Politik des lockeren Geldes rund um den Globus das gegenwärtige Problem verschärfen.

„Die Party am Londoner Wohnungsmarkt ist vorbei und der Kater fängt gerade erst an“, sagt Neal Hudson, Gründer der Research-Firma Residential Analysts. „Geringere Nachfrage aufgrund von Brexit oder Zinssteigerungen könnte weitere Hausbesitzer und Investoren unter Druck setzen, zu verkaufen.“

Seit 1973, dem Jahr, in dem Großbritannien der Europäischen Union beitrat, ist der durchschnittliche Londoner Hauspreis laut Nationwide, der größten britischen Bausparkasse, von knapp 13.000 Pfund auf etwa 474.000 Pfund geklettert – ein 36-facher Anstieg. Während der Finanzkrise gaben die Preise um bis zu 20 Prozent nach, seit dem Tiefpunkt im Jahr 2009 haben sie sich jedoch fast verdoppelt. Im Februar verzeichnete London erstmals nach acht Jahren wieder eine sinkende Tendenz. Die Preisrückgänge in diesem Jahr sind daher als bescheiden zu bezeichnen.

Pessimisten befürchten, dass dies erst der Beginn einer nachhaltigen Talfahrt ist. Sie argumentieren mit wieder steigenden Zinsen und geringerer Unterstützung durch den Staat – Faktoren, die den Boom in London lange befeuert hatten.

„Was passiert mit Immobilien, wenn die realen Zinsen steigen? In der einfachsten Form sinken die Werte“, sagt William Hughes, Immobilienexperte der UBS. „Wenn die politische Situation in Großbritannien dazu führt, dass die Wirtschaft zu kämpfen hat, während die globalen Zinssätze steigen, wäre das ein doppelter Schlag für London.“

Im Ausland gefragte Immobilien

Ein weiterer möglicher Belastungsfaktor: die erhöhte Regulierung durch die Politik. Die Regierung hatte zuletzt Maßnahmen beschlossen, um die Spekulation mit Immobilienobjekten einzudämmen – unter anderem wurde die Umsatzsteuer auf Zweitwohnungskäufe erhöht und Steuererleichterungen für Hypothekenzinsen auf Mietwohnungen allmählich abgeschafft.

Über allem steht nach wie vor der Brexit. Weniger als ein Jahr vor dem geplanten Ausstiegstermin Ende März 2019 sind noch immer viele wichtige Fragen unklar. Wie das Vorgehen tatsächlich erfolgt, wirkt sich letztlich auch auf den Immobilienmarkt aus.

Doch nicht alle Experten blicken derart pessimistisch auf den Markt. Als das Pfund im Juni deutlich nachgab, wurden Londoner Häuser für Käufer aus dem Ausland wieder erschwinglicher. Die Aussicht auf eine schwächere Währung bleibe eine Versicherung gegen einen ungeordneten Brexit, sagt Savvas Savouri, Chefökonom bei Toscafund Asset Management. Ohnehin ist London für ausländische Käufer äußerst attraktiv.

Savouri sieht vielmehr ein anderes politisches Risiko: Den potenziellen Aufstieg des Labour-Parteichefs und selbsternannten Sozialisten Jeremy Corbyn zum Premierminister. Bei den Parlamentswahlen 2017 versprach Corbyn unter anderem, Mietkontrollen einzuführen, die eine weniger unternehmensfreundliche Ära einläuten würden. Sollte eine Labour-Regierung kommen, „wird das Pfund zusammenbrechen“, sagt Savouri. Das würde zu einer „echten Massenflucht“ von Kapital aus Großbritannien führen.

Viele Fragen, wenig konkrete Antworten – das macht die Sache für Eigentümer wie Lance Paul nicht unbedingt leichter. Er will Geld für Arztrechnungen ansammeln, seine bescheidene Rente aufstocken und in die Nähe seines Sohnes ziehen, der einst durch himmelhohe Immobilienpreise aus London vertrieben wurde. Wie sich Zeiten ändern können.

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