Hebesatz null Prozent Die letzten Grundsteuer-Oasen

Kleine (Grund-)Steueroase: Ein Blick auf Büsingen am Hochrhein. Quelle: Wikimedia Commons, Prekario, Public Domain

Etliche Gemeinden haben noch vor der Reform die Grundsteuer erhöht. Eine einzige größere deutsche Gemeinde verzichtet auf die Grundsteuer. Wie das geht – und wie Immobilieneigentümer an anderen Orten sparen können.

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Zwischen 100 und 300 Euro Grundsteuer pro Kopf und Jahr mussten die Einwohner in den deutschen Bundesländern 2018 im Durchschnitt zahlen. Die Steuer wird auf Grundstückseigentum erhoben. Da Vermieter sie auf ihre Mieter umlegen können, zahlen quasi alle: Selbstnutzer genauso wie Mieter. Die gut 1500 Bewohner der baden-württembergischen Gemeinde Büsingen aber, einer deutschen Exklave, umgeben von der Schweiz, bleiben von der Grundsteuer verschont. Und das schon seit etwa zehn Jahren.

„Wir erhalten auch Zuweisungen aus der Schweiz. Und Voraussetzung der Zuweisungen ist, dass sie unseren Bürgern zu Gute kommen“, sagt Bürgermeister Markus Möll. „Die Nutzung der Turnhalle ist für Vereine deshalb kostenlos. Für Wasser und Abwasser zahlen Bürger weniger als die tatsächlichen Kosten. Auch der Kindergarten kostet wenig. Und die Grundsteuer entfällt.“ Der Verzicht auf die laufende Immobiliensteuer sei daher ein Sonderfall - und hänge eng mit der speziellen Situation Büsingens zusammen.

Die Gemeinde spielt auch sonst steuerlich eine Sonderrolle. So müssen die Bewohner zwar deutsche Einkommensteuer zahlen, was im Vergleich zu niedrigeren Schweizer Steuersätzen ein Nachteil ist. Um das abzufedern hat das Bundesfinanzministerium ihnen als „Billigkeitsregelung“ aber spezielle Freibeträge eingeräumt. Der Freibetrag beträgt 30 Prozent des zu versteuernden Einkommens, maximal aber 30 Prozent von 15.338 Euro bei Ledigen und 30.675 Euro bei Verheirateten. Pro Kind erhöht sich der Bemessungswert noch um 7670 Euro. Und bei Einkäufen fällt in Büsingen nur die Schweizer Mehrwertsteuer von aktuell 7,7 Prozent an, nicht der deutsche Satz von bis zu 19 Prozent.

Insgesamt zwölf deutsche Gemeinden verzichten auf die Grundsteuer, so wie Büsingen. Das zeigt eine aktuelle Analyse der Beratungsgesellschaft EY auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes. Die Grundsteuer-Oasen schalten die Steuer aus, indem sie den Hebesatz auf null Prozent gesenkt haben. Das steht einer Kommune frei. Die meisten Grundsteuer-Oasen sind aber extrem klein, haben oft deutlich unter 200 Einwohner. Es sind die Gemeinden Bergenhausen, Gornhausen, Rayerschied, Reuth, Riegenroth und Wahlbach in Rheinland-Pfalz sowie Friedrichsgabekoog, Hillgroven, Norderfriedrichskoog, Südermarsch und Wesselburener Deichhausen in Schleswig-Holstein.

Mini-Gemeinden und eine von der Schweiz umschlossene Exklave - sind die Grundsteuer-Oasen also nicht mehr als ein Sonderfall, ohne weitere, überregionale Bedeutung?

Wer mit Büsingens Bürgermeister Markus Möll spricht, gewinnt einen anderen Eindruck. Er glaubt zwar nicht, dass andere Gemeinden den Grundsteuer-Verzicht einfach kopieren könnten: „Dafür ist die Steuer eine zu wichtige Einnahmequelle. Sie ist nötig, um Ausgaben zu finanzieren, vom Straßenbau bis zu kulturellen Angeboten.“ So spülte die Grundsteuer deutschen Gemeinden im vergangenen Jahr insgesamt etwa 14,2 Milliarden Euro in die Kassen. Und doch hegt Möll, mit dem direkten Vergleich zur Schweiz, Zweifel an der deutschen Steuer-Systematik. „Es wäre sinnvoll, das ganze Steuersystem zu überdenken: von der Mehrwertsteuer über die Grundsteuer, Sektsteuer, Kohlesteuer bis hin zum aktuell viel diskutierten Solidaritätszuschlag. Es gibt bei den Ausgaben genügend Stellen, an denen Geld rausgeschmissen wird. Hier könnte man abspecken, ohne dass wirklich etwas fehlt.“ In der Schweiz könnten die Gemeinden sehr viel mehr selbst festlegen und würden Gelder dann auf die höheren Ebenen weiterleiten. So entsteht auch ein stärkerer Wettbewerb zwischen einzelnen Gemeinden.

Doch Mölls Forderung dürfte verhallen. Bei der aktuellen Diskussion über die Grundsteuer geht es nicht ums große Ganze, sondern ums Kleinklein. Bis Jahresende muss die Steuer aufgrund von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts reformiert werden. Sonst könnte sie sogar ersatzlos entfallen.

Wie die Steuer bislang berechnet wird, ist relativ kompliziert: Erhoben wird sie nicht auf den tatsächlichen Wert einer Immobilie, sondern auf einen fiktiven, rechnerischen Wert, den Einheitswert. Er orientiert sich an alten Marktwerten. In den neuen Bundesländern beziehen sie sich auf Grundstückswerte von 1935, in den alten Bundesländern von 1964. Bei bebauten Grundstücken wird zudem der Wert der Immobilie ermittelt, ebenfalls auf Basis alter Marktdaten. Nur auf einen bestimmten Promillewert des Einheitswertes - die Grundsteuermesszahl - wird die Grundsteuer erhoben. Dieser Promillewert reicht von 2,6 bis 10,0 Promille. So errechnet sich dann die Bemessungsgrundlage, auf die der Hebesatz angewendet wird. Im Durchschnitt aller Kommunen lag der Hebesatz 2018 bei 378 Prozent, zeigt die EY-Analyse. Das waren drei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. In den Grundsteuer-Oasen wie Büsingen liegt der Hebesatz bei null.

In Zukunft soll die Grundsteuer, so sehen es die aktuellen Pläne vor, ähnlich wie bisher erhoben werden. Nur die Immobilien- und Grundstücksbewertungen sollen aktualisiert werden, zum 1. Januar 2022. Erneute Anpassungen soll es alle sieben Jahre geben. Bei der Bewertung soll es vor allem auf den Wert des Bodens und die durchschnittliche Miete ankommen. Die so berechnete Steuer soll erstmals 2025 erhoben werden. Weil das Verfahren umstritten ist, soll es aber eine Öffnungsklausel geben: Einzelne Länder könnte die Grundsteuer dann nach anderen Berechnungsmethoden erheben, etwa pauschal nach der Grundstücksfläche.

Bislang gibt es - auch abseits der Grundsteuer-Oasen - ein paar Optionen, die Grundsteuer zu senken. Wer ein denkmalgeschütztes Haus besitzt, muss aktuell zum Beispiel oft keine Grundsteuer zahlen. Offen ist bislang noch, ob es bei dieser Steuerbefreiung künftig bleibt. In den aktuellen Gesetzentwürfen ist das nicht geplant, was zu Protesten führt.

Vermieter können die Grundsteuer auf Mieter umlegen. Für sie ist die Abgabe daher ein durchlaufender Posten. Die SPD fordert allerdings, dass die Steuer künftig nicht mehr umgelegt werden kann. Dann würden Vermieter auf der Steuer sitzenbleiben. Bislang ist das die Ausnahme. So müssen sie für die Steuer heute nur aufkommen, wenn eine vermietete Immobilie leer steht - und auch dann gibt es einen Ausweg: Dafür müssen Vermieter nur bis zum 31. März des Folgejahres einen Antrag auf Grundsteuererlass bei der Gemeinde stellen. 25 Prozent Grundsteuerrabatt wird ihnen eingeräumt, wenn mindestens die Hälfte der Mieteinnahmen weggefallen sind. Ist im ganzen Jahr keine Miete geflossen, wird nur die halbe Grundsteuer fällig.

Die allermeisten aber werden wohl auch in Zukunft Grundsteuer zahlen müssen. Es sei denn, sie ziehen nach Büsingen.

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