Immobilienboom Die Flucht ins Umland rettet Hauskäufer nicht mehr

Raus aus der Stadt? Kleinmachnow in Brandenburg Quelle: dpa

Immobilienboom und Homeoffice treiben immer mehr Menschen aus den Städten. Doch der Umzug ins Umland rechnet sich oft nicht.

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Illustres Treiben an der Hafenpromenade, durchzechte Nächte in St. Pauli, Szenekultur im Schanzenviertel und neureiche Dekadenz in der Hafencity: Der maritime Charme Hamburgs hat schon immer viele Menschen angezogen. Und das zeigt sich natürlich: an den Immobilienpreisen.

Wer dort eine Immobile kaufen wollte, musste schon immer mehr bezahlen als in einem Dorf irgendwo in der Uckermark. 2012 kostete ein Eigenheim in Hamburg im Schnitt noch zwischen 350.000 und 400.000 Euro, zeigen Zahlen des Immobilieninstituts Empirica. Acht Jahre später gehörten diese Preise der Vergangenheit an. Im Durchschnitt geht keine Immobilie unter 450.000 Euro weg. Die Spitzenpreise liegen um ein Vielfaches höher.

Auf der Suche nach günstigem Eigentum zog es die Hamburger lange in die umliegenden Landkreise. In Harburg, Pinneberg oder Stormarn konnten sich viele Familien den Traum vom eigenen Haus noch leisten. Doch inzwischen sind die Preise auch dort in die Höhe geschnellt, im Durchschnitt auf über 400.000 Euro. Die Flucht in den hanseatischen Speckgürtel rettet Immobilienkäufer keinesfalls mehr vor den Folgen des anhaltenden Immobilienbooms.

Und zwar nicht nur in Hamburg. Auch außerhalb der großen Städte ziehen die Preise für Wohnungen und Häuser inzwischen stark an – inzwischen sogar stärker als die in den Metropolen selbst. Im bayrischen Erding, gute 45 Autominuten von München entfernt, verteuerten sich Wohnimmobilien in den vergangenen Monaten um zwölf Prozent. Nirgends anders in der Bundesrepublik war solch ein Anstieg zu verzeichnen.

Wenn Empirica-Chef Reiner Braun über die aktuelle Situation am Immobilienmarkt spricht, redet er Klartext: „Natürlich haben wir eine Immobilienblase.“ Viele Leute wollten sich jetzt, wo die Zinsen niedrig sind, noch schnell ein Haus kaufen, ehe die Preise noch weiter steigen. Und zwar überall. Denn der vermehrte Zuzug in die Speckgürtel lässt die Immobilienpreise in den Metropolen nicht fallen. Er bremst lediglich den Preisanstieg.

Das Phänomen ist keinesfalls neu, sagt Braun. Schon seit etwa zehn Jahren wanderten Menschen vermehrt ins Umland ab. Doch zur Sehnsucht nach günstigeren Immobilienpreisen kommt nun ein zweiter Faktor: Die Wohnpräferenzen haben sich in der Coronapandemie geändert. Viel mehr Menschen wünschen sich nun ein Häuschen im Grünen, mit Terrasse, Garten und viel Platz.

Das hängt auch mit der veränderten Arbeitswelt zusammen. Die Coronapandemie hat den Siegeszug des Homeoffices eingeläutet. Vor der Pandemie bedeutete jeder Kilometer, den Büroangestellte außerhalb der Stadt wohnten, verlängerte Pendelzeit. Die Nähe zum Arbeitsplatz verliert jetzt aber zunehmend an Bedeutung. Fast alle Unternehmen wollen das Homeoffice beibehalten, immerhin an einigen Tagen in der Woche.

Die Hoffnung, langfristig vor allem im Homeoffice arbeiten zu dürfen und nur gelegentlich ins Büro zu fahren, hat den Suchradius vieler Immobilienkäufer erweitert. Doch Braun warnt, die Wohnortentscheidung zu stark davon abhängig zu machen. Viele Unternehmen überlegten noch, wie sie langfristig das mobile Arbeiten in ihre Betriebskultur integrieren wollten. Das bedeute Unsicherheit für die Beschäftigten. „Da kommt doch niemand auf die Idee, eine Immobilie für 500.000 Euro irgendwo im Nirgendwo zu kaufen“, sagt Braun.
Und überhaupt: Wer die Stadt verlässt und sich auf ein beschauliches Leben im Umland freut, dürfe den zusätzlichen Pendelstress – wenn auch an wenigen Tagen – nicht unterschätzen. Die Entfernung zum nächsten S-Bahnhof ist oftmals so groß, dass ein Auto angeschafft werden muss. Damit kommen Extrakosten auf den Pendler zu. „Und der ÖPNV wird nun mal nicht so schnell ausgebaut wie die CO2-Steuer steigt“, merkt Braun an.

Der Umzug ins Umland muss also gut überlegt sein. Natürlich ist es nicht nur eine ökonomische, sondern vor allem eine emotionale Frage. Wenn es nach dem Empirica-Chef geht, haben Selbstnutzer am Immobilienmarkt ohnehin nur zwei Optionen: Teuer zur Miete wohnen oder teuer kaufen. Und da ist der Speckgürtel natürlich oft noch immer günstiger, Preisanstieg hin oder her.

Mehr zum Thema: Die Preise für Häuser und Wohnungen steigen immer weiter. Verzweifelte Interessenten kaufen selbst überteuerte Sanierungsfälle. Doch typische Fehler lassen sich vermeiden.

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