Immobiliengigant Evergrande in Schwierigkeiten Sorge vor einem Knall in China

Luftaufnahme einer Evergrande Metropolis (oder Evergrande Mingdu) Gemeinde in Huai an, Provinz Jiangsu, China. Quelle: imago images

Der Immobiliengigant Evergrande steht unter großem Finanzdruck. Der Konzern spricht selber von „beispiellosen Schwierigkeiten“. Wie gefährlich ist die Krise für Chinas Immobilien- und Finanzwirtschaft?

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Schulden von umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar lasten auf dem chinesischen Immobilienriesen Evergrande. Seit Jahresbeginn ist der Aktienwert des Konzerns um drei Viertel gefallen. Die Unternehmensanleihen werden teils nur noch mit einem Drittel des Nennwerts gehandelt. Investoren sorgen sich um die Zukunft des Konzerns - und Experten fürchten bereits mögliche Auswirkungen auf das Bankensystem und den Immobilienmarkt der zweitgrößten Volkswirtschaft.

Im Internet zirkulieren Videos von Protesten gegen das Unternehmen. Viele einfache Chinesen haben wie in China üblich schon Vorkasse für Wohnungen geleistet, die längst nicht fertiggebaut sind. Auf Baustellen stehen Kräne still. Subunternehmer stellen ihre Arbeit ein, weil ihre Rechnungen nicht bezahlt werden.

Nach einem Protest in der Konzernzentrale in der südchinesischen Metropole Shenzhen versicherte das Unternehmen, Berichte im Internet über einen Bankrott seien „nicht wahr“. Es räumte aber „gegenwärtig beispiellose Schwierigkeiten“ ein. Evergrande versuche „jeden möglichen Weg“, den normalen Betrieb wiederaufzunehmen.

„Eine Zahlungsunfähigkeit irgendeiner Art erscheint wahrscheinlich“, fand die Agentur Fitch und stufte die Kreditwürdigkeit von Evergrande herab. „Wir glauben, dass das Kreditrisiko hoch ist“, verweist die Agentur auf knappe Liquidität, rückläufige Verkäufe, verschobene Zahlungen an Zulieferer und Baufirmen. Im August fiel der Absatz der Wohnungen von Evergrande danach um 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, obwohl die Preise um 26 Prozent gesenkt wurden.

Wie bei vielen chinesischen Großkonzernen sind die Beteiligungen Evergrandes an mehr als 200 Tochterunternehmen verschachtelt. Die Kredite und gegenseitigen finanziellen Verpflichtungen sind kaum durchschaubar. Um „alle möglichen Lösungen“ zu erkunden, seine Liquiditätskrise zu mildern, heuerte Evergrande diese Woche die beiden Beratungsfirmen Houlihan Lokey und Admiralty Harbour Capital an, sich die Kapitalstruktur anzusehen.

Schuldner sollen demnach überzeugt werden, Zahlungsziele zu verschieben oder sich auf alternative Vereinbarungen einzulassen. Evergrande räumte ein, dass es nicht gelungen sei, „wesentliche Fortschritte“ beim Verkauf von Anteilen zu machen. „Es sieht so aus, als wenn sie an einer Restrukturierung der Schulden arbeiten, weil es keine konkreten Fortschritte bei den Vermögensveräußerungen gibt“, meinte Daniel Fan von Bloomberg Intelligence.

Warum spitzt sich alles zu? Nach vielen Jahren des Booms auf Chinas Immobilienmarkt stellen Experten „Anzeichen eines Wendepunktes“ fest. Auch spürt Evergrande die Bemühungen der Behörden, gegen Spekulationen vorzugehen und Luft aus der Immobilienblase zu nehmen. Mieten sollen nicht mehr so stark steigen. Aufsichtsbehörden gehen gegen ausufernde Kreditvergabe der Banken an Immobilienunternehmen vor, beschränken die Kreditaufnahme und legen Obergrenzen fest - auch um die wachsenden Risiken im Finanzsektor insgesamt einzudämmen.

Es ist Teil der Regulierungskampagne von Staats- und Parteichef Xi Jinping, der mächtige Tech-Konzerne, Online-Handel und Finanzdienste, Gaming, Fahrdienste sowie die Unterhaltungs- und Bildungsindustrie an die Leine legt. „Chinas Führer kollidiert mit der wirtschaftlichen Realität“, beschreibt US-Investor George Soros in der „Financial Times“ das Problem. Das Vorgehen gegen private Unternehmen sei eine große Belastung für Chinas Wirtschaft, wobei Immobilien der „verletzlichste“ Sektor seien. Der Boom komme zum Ende. Die Probleme von Evergrande „könnten einen Crash auslösen“.

Der Immobilien-Gigant baut nicht nur Häuser, sondern kaufte 2010 einen kostspieligen Fußballclub, investierte in andere Bereiche von Mineralwasser über Babymilch bis hin zu Elektroautos. Sein Messestand auf der internationalen Autoshow im April in Shanghai gehörte zu den größten, obwohl das Unternehmen noch nicht einmal richtig angefangen hat, Autos zu bauen. Im ersten Halbjahr verbuchte die E-Auto-Sparte allein einen Verlust von 4,8 Milliarden Yuan, umgerechnet 630 Millionen Euro. Die Autofirma und ihre „Hengchi“-Marke stehen nun zum Verkauf. Keiner will sie bislang haben.

Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf die Krise um den zweitgrößten chinesischen Immobilienentwickler Evergrande. „Die Gefahr einer Überhitzung des chinesischen Immobilienmarktes ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. „Die deutschen Unternehmen sind besorgt, dass dort eine Blase platzten könnte.“ Sie wären davon zwar nicht direkt betroffen, indirekt aber schon. „Der Konsum in China könnte dann leiden oder der Bau als wichtiger Konjunkturmotor ausfallen“, sagte Treier. „Das könnte dann auf den Konsum durchschlagen und den Absatz höherpreisiger Produkte wie etwa deutsche Autos dämpfen.“ China ist der zweitwichtigste Absatzmarkt für Produkte „Made in Germany“ nach den USA: 2020 wurden Waren im Wert von rund 96 Milliarden Euro dorthin verkauft.

Ebenfalls ist unklar, welche Auswirkungen die Probleme auch auf deutsche Partner haben. Evergrande kooperiert seit 2020 mit dem deutschen Autozulieferer Hella in einem Joint Venture zur Entwicklung und Produktion von Batteriemanagement-Systemen. Das Unternehmen in Shenzhen hat 90 Mitarbeiter. Auch gründete Evergrande 2019 mit dem deutschen Antriebsspezialisten Hofer Powertrain ein Gemeinschaftsunternehmen mit Sitz in Berlin.

Anleger fürchten einen Zusammenbruch des Immobilienkonzerns Evergrande, der unter einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden Dollar ächzt. Zudem gibt es die Sorge, dass eine Insolvenz Schockwellen durch das chinesische Bankensystem jagt. „Aktuell gehen wir aber davon aus, dass die Regierung in Peking gezielt Luft aus der Immobilienblase lässt – etwa durch die Verteuerung von Krediten“, sagte Treier. Man erwarte daher bislang eine „weichen Landung“.

Das sieht der Chefökonom des Mercator-Instituts für China-Studien (Merics), Max Zenglein, ganz ähnlich. Er rechne nicht damit, dass der Immobilienmarkt in der Volksrepublik kollabiere oder es dort zu einer Finanzkrise komme. „Das wäre eine Katastrophe“, sagte der China-Experte. Die Folgen für Deutschland dürften sich auf Zahlungsausfälle bei Anleihen sowie die Auswirkungen einer möglichen Zerschlagung des Konzerns beschränken. „Für Deutschland sollte der Fall aber als gutes Beispiel dafür dienen, welche Risiken im chinesischen Finanzsystem schlummern“, sagte Zenglein. „Investoren haben ja neuerdings immer mehr Möglichkeiten, direkt auf dem Markt zu agieren.“

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Aber eigentlich gilt Evergrande als „too big to fail“, also zu groß, um zu scheitern. Würden die Schwierigkeiten des Konzerns nachhaltig den Immobilienmarkt erschüttern, würden nicht nur Banken, sondern auch Millionen Wohnungsbesitzer getroffen, die sich hoch verschuldet haben und zumindest bisher mit steigenden Preisen rechnen konnten.

Aber auch wenn die soziale Stabilität auf dem Spiel steht, ist eine staatliche Rettungsaktion nicht in Sicht. Die Regierung ist schon lange der Meinung, dass in China viel zu oft darauf spekuliert wurde, dass der Staat am Ende schon einspringen wird. „Die Tage garantierter Rettungen sind vorbei“, schrieb das Wirtschaftsmagazin „Caixin“.

Mehr zum Thema: Xu Jiayin, der Chef von Evergrande, war vor vier Jahren der reichste Mann Chinas. Doch wegen Fehlinvestitionen und hoher Schulden gerät sein Immobilienkonzern in die Defensive. Die Anleger verlieren das Vertrauen, in der Zentrale kommt es zu Tumulten.

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