Ein Rentnerpaar möchte sein Haus altersgerecht umbauen und dafür 100 000 Euro von der Bank leihen. Ein Zeitsoldat braucht 280.000 Euro für ein Einfamilienhaus bei Koblenz. Ein 34-jähriger Betriebswirt und seine Familie wollen bei Mainz in ein Einfamilienhaus ziehen – und 350.000 Euro als Kredit aufnehmen.
Drei Fälle, ein Problem: Ihre Bank verweigert den Kredit, wegen einer Richtlinie der Europäischen Union (EU). Die wurde zum 21. März in deutsches Recht umgesetzt – und die Regierung diskutiert bereits über eine weitere Verschärfung der Regeln. Banken sollen sicherstellen, dass Kredite für den Schuldner dauerhaft tragbar sind.
Betroffen sind ältere Menschen und Interessenten mit schwer vorhersehbaren Einkünften. Das können Selbstständige sein, aber auch Eltern, denen während Kindererziehungszeiten Einkommensausfälle drohen.
Deutlich weniger Interessenten bekommen jetzt Geld für Haus oder Wohnung. Bis zu 25 Prozent sollen – je nach Bank – davon betroffen sein. Der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken warnt: Es zeichneten sich „gravierende Probleme ab“. So haben die 28 Filialen der Raiffeisenbanken rund um das bayrische Altötting in den acht Wochen nach Inkrafttreten der neuen Regeln zum Beispiel 41 Kredite verwehrt – etwa jede fünfte Anfrage lehnten sie ab. Und wer nicht abgelehnt wird, bekommt teilweise schlechtere Konditionen. Stephan Gawarecki, Chef des Kreditvermittlers Dr. Klein, spürt das: „Unsere Kreditvermittler müssen nach den neuen Regeln für vermeintlich problematische Kunden manchmal länger nach einer Bank suchen, und diese Kunden müssen teilweise höhere Zinsen akzeptieren, um einen Kredit zu bekommen“, sagt Gawarecki.
Angst vor massenhaften Kreditausfällen
Früher haben Banken zwei Dinge geprüft: die Person, die einen Kredit wollte, und das Objekt, das die Bank finanzieren sollte. Die Immobilie diente als Sicherheit für den Kredit – konnte der Kunde nicht mehr zahlen, durfte die Bank sie verkaufen.
Seit Ende März aber ist die Welt eine andere: „Heute dürfen wir den Wert der Immobilie bei der Kreditvergabe nicht mehr berücksichtigen“, sagt Reinhard Frauscher, stellvertretender Vorsitzender der Raiffeisenbank Altötting. Banken sollen sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie ihr Geld zur Not aus dem Verkauf der Immobilie ziehen können. Stattdessen dürfen sie Geld laut Gesetz jetzt nur noch leihen, wenn „keine erheblichen Zweifel daran bestehen“, dass der Kunde seine Raten bis zur Abzahlung des Kredits auch leisten kann.
Erhebliche Zweifel haben Banken eigentlich selten, wenn es ums Geschäft geht. Doch bei der Kreditvergabe ist das anders. Banken fürchten, bei leichtfertiger Kreditvergabe später selbst zur Kasse gebeten zu werden. „Das neue Gesetz sagt, dass der Kunde einen geringeren Zins verlangen darf, wenn die Bank seine Bonität nicht ausreichend geprüft hat und er Schwierigkeiten mit der Tilgung hat“, sagt Joachim Wuermeling, Verbandschef der Sparda-Banken. Kunden müssten dann nur den niedrigeren Zins zahlen, zu dem sich Banken selbst Geld für Immobilienkredite besorgen können.
Die neuen Regeln sollen verhindern, dass in einigen Jahren massenhaft Kredite ausfallen. Selbst der Bundesbank wird angesichts der Entwicklung auf dem Immobilienmarkt langsam mulmig. In Städten wie München oder Hamburg steigen die Kaufpreise teils mit über zehn Prozent pro Jahr. Im vergangenen Jahr legte die Kreditsumme im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozent zu – so stark wie seit 13 Jahren nicht mehr (siehe Grafik unten). Zu den niedrigen Zinsen trauen sich Schuldner auch pro Kopf mehr zu (siehe Grafik Seite 80). Sollten steigende Zinsen Anschlusskredite verteuern, könnten sie Probleme bekommen. Im schlimmsten Fall droht eine Schieflage ganzer Banken. Immobilienkredite stehen nicht nur für 70 Prozent der privaten Schulden, sondern auch für die Hälfte der Kredite, die Banken an Unternehmen und Privatpersonen vergeben haben.
Rentner sind nicht mehr kreditwürdig
Rentner sind besonders betroffen. Das Paar etwa, das sein Haus altersgerecht umbauen wollte, war der Bank mit 73 und 68 Jahren zu alt. Sie hätten den Kredit „voraussichtlich nicht innerhalb der statistischen Lebenserwartung“ zurückgezahlt. Dass ihre Immobilie seit Jahren lastenfrei ist und die gewünschte Kreditsumme um 80 000 Euro übersteigt, zählt nicht mehr. Einige Banken akzeptieren jetzt generell nur noch Darlehensnehmer bis 65 Jahre.
Auch Menschen mit befristeten Verträgen haben nun Probleme. Der Zeitsoldat mit dem Wunsch nach einem Haus konnte seiner Bank einen nur noch zehn Jahre laufenden Arbeitsvertrag vorweisen. Welchen Beruf er danach ausüben möchte, wusste er nicht. Das Geldhaus konnte nicht kalkulieren – „auf Grund der Befristung“.
Bringen Kunden genug Eigenkapital mit und liegt der Wert der Immobilie deutlich über der Kreditsumme, würden Risikohinweise eigentlich reichen. Schließlich wäre das Risiko für die Bank selbst überschaubar. „Keine Bank will Geld verlieren. An der Stelle war der Gesetzgeber nicht gefordert“, sagt Banker Frauscher.
Gebärfähige Frauen als Risiko
Immer wieder kommen auch junge Familien in Bredouille – wie der Betriebswirt und seine Frau mit den zwei Kindern aus der Nähe von Mainz. Obwohl sie inklusive Eltern und Kindergeld im Jahr stolze 45 000 Euro netto verdienen, verweigerte die Bank den Kredit, aus Angst, später selbst belangt zu werden. Schließlich sei unklar, ob die Frau nach der Elternzeit arbeiten würde. Ohne Elterngeld könne sich die Familie Zins und Tilgung aber nicht mehr leisten.
Für Banken ist eine gebärfähige Frau zum Risiko geworden. „Ihr Einkommen könnte ausfallen – eine Bank muss das einkalkulieren“, sagt Gawarecki von Dr. Klein. So interessieren sich nicht mehr nur Arbeitgeber, sondern auch Banken für die Pläne einer Schwangeren: Wann wird sie wieder arbeiten – und halbtags oder ganztags?
Bei jungen Menschen fällt oft auch die prognostizierte Rente noch gering aus, weil die Prognose auf Rentenbeiträgen der vergangenen fünf Jahre beruht. So war es bei dem jungen Ehepaar mit 32 und 34 Jahren. Trotzdem setzte die Bank die Rentenprognose an, weil der geplante 350 000-Euro-Kredit zum Rentenstart noch nicht abbezahlt wäre. Fazit: Der finanzielle Spielraum werde später „sehr knapp“. Zu knapp.
Das Beispiel lehrt, dass nicht nur Rentner betroffen sind: Menschen ab 40 Jahren gelten nun schon als „alt“ – denn eine Immobilie zahlt man eben oft erst binnen 20 bis 30 Jahren ab. Bei den niedrigen Zinsen verlängert sich die zur Tilgung benötigte Zeit noch, wenn Kreditnehmer nicht von Anfang an mehr tilgen. Läuft ein erster Kredit mit dem festen, aktuell niedrigen Zins aus, kann ein teurerer Anschlusskredit viele Kreditinteressenten tatsächlich überfordern.
Bis der gewünschte Kredit über 350.000 Euro des Ehepaares bei heutigen 1,3 Prozent Zins und 1000 Euro Monatsrate getilgt wäre, würde es fast 37 Jahre dauern. Müssten sie nach zehn Jahren einen Anschlusskredit zu dann schon fünf Prozent Zins abschließen, läge die Monatsrate bei 1500 Euro, um wie geplant mit etwa 70 Jahren schuldenfrei zu sein. Das würde 40 Prozent ihres derzeitigen Nettoeinkommens inklusive Elterngeld entsprechen, noch tragbar. Setzt die Bank hingegen die magere Rentenprognose an, geht die Rechnung nicht mehr auf.
Kunden werden von der alten Bank abhängig sein
Banken müssen stärker auf das Risiko teurer Anschlusskredite achten. „Läuft der Kredit in zehn Jahren aus, rechnen wir heute mit einem Zinssatz von sechs Prozent“, sagt Frauscher von der Raiffeisenbank. Können Kreditnehmer sich eine hohe anfängliche Tilgung leisten, kommen sie schneller aus den Schulden – sie brauchen dann keinen Anschlusskredit oder könnten sich den auch bei höheren Zinsen eher leisten, weil er kleiner ausfällt. Das erhöht die Kreditchancen.
Selbst Eigentümer mit laufendem Kredit können bei der Anschlussfinanzierung jetzt Probleme bekommen. Wollen sie zu einer günstigeren Bank wechseln, muss die nach den neuen Regeln prüfen. Die bisherige Bank muss das nicht unbedingt. Sie darf wie früher prüfen, wenn nur der alte, vor dem 21. März abgeschlossene Vertrag angepasst wird – mit neuem Zins und neuer Laufzeit. Das hat Folgen: „Einige Kunden werden bei der Anschlussfinanzierung von ihrer alten Bank abhängig sein“, sagt Hartmut Schwarz von der Verbraucherzentrale Bremen.
Es droht die nächste Verschärfung
Abgeblockte Kreditsuchende müssen ihren Traum vom Eigenheim aber nicht sofort vergessen. Ältere Menschen können zum Beispiel Erben mit im Vertrag als Schuldner aufnehmen. So stehen mehr Menschen für den Kredit ein, für die Bank wird er sicherer. Auch Bürgen, etwa die Kinder, steigern die Kreditchancen. So nahm ein Kreditvermittler bei einem älteren Kunden den Sohn als Bürgen mit in den Vertrag – prompt spielte die Bank mit. Doch Achtung: Wollen die Kinder später selbst einen Kredit aufnehmen, könnten sie wegen des verpfändeten Vermögens Probleme bekommen.
Zumal die Regierung bereits an noch schärferen Vergaberegeln arbeitet. Der beim Finanzministerium angesiedelte Ausschuss für Finanzstabilität hat vor einem Jahr empfohlen, der Finanzaufsicht BaFin mehr Durchgriffsrechte zu geben. Sie soll bei einer „drohenden Störung der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems“ bei den Banken eingreifen und etwa eine Obergrenze für die maximal zulässige Verschuldung je nach Einkommen vorgeben dürfen.
Noch ist nichts fix. Von einem „falschen Signal, noch eins draufzusetzen“, spricht Wuermeling vom Verband der Sparda-Banken schon jetzt. „Das wäre eine Bevormundung des Darlehensnehmers – seine Entscheidung, für das Eigenheim auf Urlaub zu verzichten, würde nicht zählen“, sagt Wuermeling. Noch jedenfalls seien die Ausfallraten gering. Bei Sparda-Banken würden derzeit nur 0,02 Prozent des vergebenen Kreditvolumens von 35 Milliarden Euro ausfallen.
Wuermeling sieht Schuldner anderen Risiken ausgesetzt, die bei der Kreditvergabe kaum eine Rolle spielen: Tod, Scheidung, Arbeitslosigkeit und Berufsunfähigkeit etwa. Wenn sich der erste Bankmitarbeiter also nach der Zufriedenheit mit dem Eheleben erkundigt, wäre das nicht unverschämt, sondern sehr professionell.