Immobilienmarkt Der soziale Sprengstoff der hohen Mieten

Quelle: imago images

Der Mietanstieg setzt sich ungebremst fort, trotz Corona. Viele Haushalte können sich das Wohnen in den Städten nicht mehr leisten, wenn gängige Maßstäbe angelegt werden.

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Eine Familienwohnung für 2000 Euro Monatsmiete? Der Inhaber einer Schlosserei in der Düsseldorfer Innenstadt zuckt mit den Schultern: „Viele meiner Angestellten verdienen gerade mal so viel. Wie sollen die das bezahlen?“ 

Was rund um seine Schlosserei derzeit an Wohnraum entsteht – in schicken Hinterhöfen und loftartigen Dachgeschossen – brauchen sich seine Angestellten gar nicht erst anzuschauen.

Klar, es gibt andere Angebote. Aber nicht viele: Auf dem Portal Immobilienscout24 werden in Düsseldorf aktuell 509 Mietwohnungen ab 80 Quadratmetern angeboten. Nur 340 davon kosten unter 1500 Euro. Für unter 1000 Euro monatlich gibt es gerade mal 118 Wohnungen. Einige haben Macken, um die anderen konkurrieren viele Interessenten. Vermieter suchen sich oft die Einkommensstärksten aus, aus Sorge vor ausbleibenden Mietzahlungen.

Kein Ende des Booms in Sicht

Es ist kein neues Problem, aber eines, das sich immer weiter verschärft. Denn der Mietanstieg in deutschen Städten kennt bislang kein Ende. Daran dürfte sich vorerst wenig ändern. Der Rat der Immobilienweisen erwartet in seinem jüngsten Frühjahrsgutachten, „dass sich der Mieten- und Kaufpreisanstieg in Deutschland im Jahr 2021 und zunächst auch darüber hinaus fortsetzen wird“. Auftraggeber der Studie ist der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft ZIA. Immerhin heißt es in der Studie auch: „Die Zuwachsraten dürften sich aber weiter abschwächen.“ Vor allem in München, Hamburg und Düsseldorf sei mit einer Abkühlung zu rechnen, weil hier besonders viel gebaut werde.

von Niklas Hoyer, Theresa Rauffmann

Doch selbst das würde das Problem nicht beseitigen. So ist schon jetzt klar, dass Wohnen eines der großen Themen der bevorstehenden Bundestagswahlen wird. Auf dem Wohnungsbau-Tag in Berlin wird die politische Debatte rund um das Thema am Donnerstag eröffnet.

Lösungsansätze sind gefragt. Eine gängige Faustregel besagt, dass ein Haushalt nicht mehr als 30 Prozent seines Nettoeinkommens für die Kaltmiete aufwenden sollte. 2018 lag das Nettohaushaltseinkommen im Schnitt laut Statistischem Bundesamt bei 3661 Euro im Monat. 30 Prozent davon wären knapp 1100 Euro.

Bestandswohnungen wurden 2020 in München im Schnitt für 18,00 Euro Miete je Quadratmeter angeboten, in Frankfurt für 13,60 Euro und in Hamburg für 11,80 Euro, wie der Immobilienatlas 2021 der WirtschaftsWoche zeigt. 1100 Euro reichen in München also für gut 60 Quadratmeter Wohnfläche, in Frankfurt für knapp 81 und Hamburg immerhin für 93 Quadratmeter.

Wer soll das bezahlen?

Klingt noch nicht dramatisch. Doch bei Einkommensstatistiken ist der Durchschnitt stets stark verzerrt; Spitzenverdiener ziehen den Mittelwert nach oben. So erreichten 50 Prozent aller Haushalte in Deutschland maximal 3000 Euro Nettohaushaltseinkommen (Median). Selbst wenn der Wert seit 2018 um zwei Prozent pro Jahr gestiegen wäre, läge er 2021 nur bei rund 3180 Euro. Damit könnte sich als die Hälfte aller Haushalte in München nur 53 Quadratmeter, in Frankfurt 70 und in Hamburg 81 Quadratmeter leisten. Auch hier sind wieder 30 Prozent des mittleren Nettohaushaltseinkommens als Grenze angesetzt.

Auch die Durchschnittsmieten bilden natürlich nur einen Mix ab: Randlagen genauso wie zentrale Stadtteile. Klar ist also, dass für weite Teile der Bevölkerung das Wohnen am freien Markt in zentralen Lagen kaum noch tragbar ist. Sie müssen rausziehen, auf preisgebundenen Wohnraum ausweichen, Genossenschaftswohnungen suchen oder eines der raren, günstigen Angebote finden.

Ein Kauf scheidet für weniger einkommensstarke Haushalte ohnehin aus, wenn sie nicht gerade ein Vermögen erben. Allerdings ist nach Jahren mit höheren Kaufpreis- als Mietsteigerungen Eigentum auch nicht unbedingt lohnender als eine Mietwohnung. Unser Faktencheck zeigt, warum scheinbar eindeutige Studien zum Eigentumsvorteil womöglich in die Irre führen.

Ruf nach Regulierung

Die hohen Kaufpreise und Mieten bergen damit einigen sozialen Sprengstoff. Der jüngst vom Bundesverfassungsgericht gekippte Berliner Mietendeckel wird nicht der letzte Versuch sein, mit fixen Vorgaben einzuschreiten. So versucht eine Initiative in Berlin weiter, die Enteignung von großen Wohnungskonzernen per Volksentscheid durchzuboxen.

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Marktwirtschaftler sehen die Lösung eher in einer Ausweitung des Angebots, sprich: mehr Neubau und damit Wohnraum. Zwar entsteht der noch häufig im höheren Preissegment, so wie rund um die Düsseldorfer Schlosserei. Doch auch teure Wohnungen entlasten den Markt, weil damit eine andere, meist günstigere Wohnung nicht genutzt wird. Als Trickle-Down-Effekt ist dieses Phänomen in der ökonomischen Forschung bekannt.

Experten-Call: Jahrelang sind die Preise von Häusern und Wohnungen gestiegen. Läuft der Trend weiter? Im WirtschaftsWoche-Expertentalk tauschen sich Julia Kneist, Risikomanagerin bei der Investmentplattform Linus Digital Finance, und Jakob Mähren, Immobilieninvestor, mit WirtschaftsWoche-Ressortleiter Niklas Hoyer zu den weiteren Marktaussichten aus. Jetzt anmelden!

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