Immobilienmarkt Wohnungsbauboom ade!

In Deutschland fehlen nicht nur Wohnungen, sondern auch Büros. Die zu bauen erscheint attraktiver, zeigt eine Untersuchung von sieben Metropolen. Deshalb wird die Lücke zwischen Wohnungsbedarf und -angebot noch größer.

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Immer mehr Menschen wollen in der Stadt wohnen und arbeiten. Die Immobilienbranche hat jedoch Schwierigkeiten, der steigenden Nachfrage nach Wohn- und Büroraum gerecht zu werden. Quelle: dpa Picture-Alliance

„400.000“ heißt die magische Zahl der deutschen Immobilienwirtschaft. So viele Wohnungen müssten in Deutschland jährlich neu gebaut werden, um den Bedarf zu decken, heißt es seit mehr als einem Jahr in Marktstudien. Eine Zahl, die auch Politiker gern im Munde führen, wenn sie zu mehr Wohnungsbau auffordern.

Nun ist die Zahl nicht mehr magisch, sondern es ist auch unrealistisch anzunehmen, dass einmal so viele neue Wohnungen gebaut werden. Nicht nur, weil die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen in den ersten beiden Monaten wieder abnimmt. Sondern auch, weil dieser Trend anhalten wird. Das Immobilienmarkt-Analysehaus Bulwiengesa stellt in seiner Projektentwicklerstudie 2017 eine „neue Lust auf Büros“ und nachlassendes Interesse am Wohnungsbau in den sieben Metropolen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart fest.

Unabhängig davon nimmt die Fläche der geplanten und im Bau befindlichen Immobilien, die später zum Verkauf stehen, über alle Nutzungsarten hinweg auch 2017 weiter zu. Betrachtet haben die Marktforscher die Projekte, die nicht für Eigennutzer erstellt werden, sondern an einen Investor verkauft werden. Bulwiengesa erwartet 2017 rund 27 Millionen Quadratmeter in diesem Segment. In diesem Jahr trage der Büroneubau erstmals seit Langem wieder zum Wachstum bei. Die Größenverhältnisse sind aber nach wie vor eindeutig: auf Büroneubauten entfallen 5,3 Millionen Quadratmeter, auf Wohnungsbau drei Mal soviel. Boomtown ist Berlin mit mehr als acht Millionen Neubau-Quadratmetern.

Die Begeisterung für Büroprojekte kommt nicht von ungefähr. Alle reden von Wohnungsknappheit, aber in Städten wie München und Berlin ist längst die Rede von Büroknappheit. Makler berichten, dass sie Mietgesuche für vierstellige Quadratmeterzahlen nicht erfüllen können. Die Situation drückt sich in Leerständen von um die drei Prozent in diesen beiden Städten aus.

Ein extrem niedriger Wert, der expansionswilligen Unternehmen die Flexibilität nimmt. Sie müssen ihre Beschäftigten häufig auf mehrere Standorte verteilen. In Frankfurt, das sich nun auf den Zuzug ausländischer Banken nach dem Brexit vorbereitet, ist der Büroleeerstand zwar wesentlich höher, aber viele Räume ohne Mieter entsprechen nicht mehr den Anforderungen an modernen Büroraum.

Es gibt zu wenig Bauland

Schuld daran, dass die jährlich 400.000 Neubauwohnungen in weite Ferne rücken, sind nach Ansicht der Wohnungswirtschaft Politiker. Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen beklagt Baulandmangel, fehlendes Personal in den Bauämtern und einen überregulierten Wohnungsmarkt. „Fast 60 Prozent unserer befragten Mitgliedsunternehmen geben an, dass sich die Rahmenbedingungen für Neubau-Investitionen im vergangenen Jahr weiter verschlechtert haben“, berichtete BFW-Vizepräsident Frank Vierkötter am Mittwoch.

Der Verband befürchtet, dass die Baufertigstellungszahlen nach einem kurzen Anstieg langfristig auf 250.000 im Jahr zurückgehen. Fehlendes Bauland ist einer Umfrage unter den 1.600 Mitgliedsunternehmen zufolge das größte Hindernis. 98 Prozent gaben an, dass der Zugang zu Bauland erschwert sei. 41 Prozent sind sogar der Auffassung, dass tendenziell immer weniger Bauland ausgewiesen wird. „Innerstädtische Grundstücke sind in den meisten Kommunen aufgebraucht, die Entwicklung der verbleibenden kleinteiligen Areale ist schwierig“, beschreibt der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung die Situation.

{Bürokratie ist größter Kostentreiber}

60 Prozent der vom BFW befragten sehen die Kommunen als größte Bremse im geschäftlichen Umfeld, gefolgt von Bund und Ländern. Als größten Kostentreiber nennt jeder zweite Befragte die „zeitaufwändige, bürokratische Kommunikation mit den Behörden in Verbindung mit sehr langen Planungs- und Genehmigungszeiten“. Die Beschwerden über fehlendes Personal in den Bauämtern nehmen zu.

Doch der Personalmangel ist Folge einer anderen Entwicklung: Viele Jahre sagten Prognosen Deutschland eine abnehmende Bevölkerung voraus. Die Zahl der Bauanträge ging zurück und die Besetzung der Stadtplanungs- und Bauämter wurde dünner. Inzwischen wächst die Bevölkerung in Deutschland durch den Zuzug aus Mitgliedsländern der Europäischen Union und durch Flüchtlinge.

Zudem hat eine Bewegung vom Land in die Stadt eingesetzt, sodass gerade in den sieben Metropolen sowie vielen weiteren Ballungsgebieten die Bauanträge zunehmen. Bundesweit genehmigten die Bauämter im vergangenen Jahr rund 323.000 neue Wohnungen und damit rund 50 Prozent mehr als 2012. Die Klagen der Bauträger deuten darauf hin, dass das Personal dem Bedarf nicht in gleichem Umfang angepasst wurde.

Die Baubehörden müssen mit einem weiteren Phänomen fertig werden: Grundstücke werden mehrfach überplant. Das bedeutet Mehrarbeit. Die ursprünglichen Pläne werden noch vor Baubeginn verworfen und es werden neue Unterlagen eingereicht. Eine Ursache für diese Mehrarbeit ist der spekulative Grundstückshandel.

Die Praxis sieht so aus: Der Käufer eines unbebauten Grundstückes muss mehr vermiet- oder veräußerbare Fläche oder höherwertige Immobilien auf dem Grundstück errichten als ursprünglich vorgesehen, weil die Erlöse aus dem zuvor genehmigten Objekt für den nun höheren Grundstückskaufpreis seine Renditeanforderungen nicht erfüllen können. Diese teils mehrfache Überplanung werde am Auseinanderfallen von Baugenehmigungs- und Baufertigungszahlen immer deutlicher sichtbar, stellt der BFW fest. „In manchen Märkten erwarten wir, dass über zehn Prozent der Flächen in den kommenden Jahren gar nicht bebaut werden“, ergänzt Bulwiengesa Vorstand Andreas Schulten.

Grundstücksspekulation verzögert Neubau

Von der Genehmigung bis zur Baufertigstellung vergehen im Normalfall etwa zwei Jahre. Außerdem wird nicht alles gebaut, was genehmigt wurde. Insofern ist damit zu rechnen, dass 2018 etwa 300.000 Wohnungen bezugsfertig werden, obwohl 2016 mehr als 320.000 genehmigt wurden. Zum Vergleich: 2015 wurden rund 220.000 neue Wohnungen fertiggestellt – jüngere Zahlen liegen noch nicht vor –, 2013 aber 242.000 Wohnungen genehmigt.

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Um den Absatz ihrer Wohnungen müssen sich die Projektentwickler keine Gedanken machen. Die unverändert niedrigen Zinsen halten die Nachfrage von Privatpersonen nach Eigentumswohnungen hoch. Versicherer und Altersvorsorgeeinrichtungen suchen unvermindert nach Wohnanlagen, die sie en bloc kaufen können. Dabei warten sie immer häufiger nicht bis zur Fertigstellung. „Investoren sehen sich gezwungen, zunehmend auf Neubauprojektentwicklungen auszuweichen – insbesondere in Ballungsräumen und den Top-Städten“, beobachtet Konstantin Lüttger, der beim internationalen Maklerhaus CBRE für das Investmentgeschäft mit Wohnimmobilien in Deutschland verantwortlich ist.

Das Gleiche gilt für die Erbauer neuer Büros. Die Konjunktur in Deutschland brummt, sodass die Zahl der Bürobeschäftigten steigt. Wie auf dem Wohnungssektor würden die Investoren mehr Bestandsgebäude kaufen, wenn es mehr auf dem Markt gäbe. Auch diese Investoren kaufen bevor die Mieter einziehen können. In der Regel sind die Büros zum Kaufzeitpunkt nur zum Teil vorvermietet, so dass ein Rest des Vermietungsrisikos beim Vermieter bleibt. Dafür ist der Preis niedriger als bei Fertigstellung und damit die anfängliche Mietrendite höher.

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