In der Coronakrise 5 Gründe dafür, dass die Immobilienblase jetzt (noch) nicht platzt

Wohnhäuser im Grünen Quelle: imago images

Häuser und Wohnungen haben sich in den deutschen Städten massiv verteuert. Corona beendet diesen Boom. Oder doch nicht? Diese fünf Faktoren könnten die Preise weiter treiben.

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Warnende Stimmen haben den Immobilienboom von Anfang an begleitet, seit seinem Beginn im Jahr 2009. Viele Faktoren, die ihn relativieren, haben die Warner dabei nicht erwähnt. Ein Beispiel: Grafiken zur sagenhaften Entwicklung der Immobilienpreise beginnen meist 2008 oder 2009. So lässt sich das rasante Wachstum gut zeigen.

Nur: Es gab eine Zeit davor. Und von 1994 bis 2008 sind die Kaufpreise von Immobilien zum Beispiel nicht gestiegen. 15 Jahre lang! Die allgemeinen Verbraucherpreise sind in dem Zeitraum um rund ein Viertel gestiegen. Unterm Strich hatten sich Immobilien also inflationsbereinigt deutlich verbilligt, bevor der Preisanstieg einsetzte. Ein Teil der großen Wertzuwächse ist schlicht eine Nachholreaktion.

Jetzt aber glauben viele, dass der Bogen überspannt ist. Spätestens durch die Coronakrise, massenhafte Kurzarbeit und Konjunktureinbruch wäre der Immobilienboom beendet. Tatsächlich gibt es einige gute Gründe, warum die Immobilienblase nun platzen könnte – darüber haben wir in der Titelgeschichte der WirtschaftsWoche und im ersten Teil unserer Analyse berichtet. Zyklen dauern am Immobilienmarkt aber oft sehr lange. Fünf Gründe sprechen dafür, dass die Preise jetzt (noch) nicht einbrechen. Es folgt Teil 2 unserer „einseitigen“ Analyse:

Grund 1: Die Städte bleiben attraktiv.

von Martin Gerth, Niklas Hoyer, Heike Schwerdtfeger

Betrachtet man nur die Binnenwanderung (also ohne Zuzüge aus dem Ausland) ziehen aus den Großstädten mehr Einwohner weg als hin. Auch das Bevölkerungswachstum insgesamt hat sich in den Städten bereits deutlich verlangsamt, etwa in Berlin, Hamburg oder Köln. Daraus aber abzuleiten, dass Zuzügler sich nicht mehr für die Großstädte interessieren und dort weniger Wohnraum nachfragen werden, wäre ein Fehler.

Im Gegenteil: Das Interesse an den Großstädten bleibt groß. Nur ziehen viele mittlerweile in Vororte oder das Umland der Großstädte, weil ihnen Kaufpreise und Mieten in den Städten zu teuer sind. Das Interesse am Wohnraum in den Städten lässt also nicht nach, weil diese weniger attraktiv sind. Im Gegenteil: Sie sind so attraktiv ist, dass die Preise zu hoch sind und einige Interessenten abschrecken. Zugegeben: Durch Corona und den Trend zum Homeoffice ist das Wohnen im Grünen für viele attraktiver geworden, weil sie lange Pendelstrecken nun leichter vermeiden können. Doch die Städte behalten eine große Anziehungskraft. Die Ausweichreaktionen können Preissteigerungen allenfalls dämpfen. Als Auslöser für sinkende Preise taugen sie aber nicht, denn dann würde einige verhinderte Großstädter – die ins Umland geflüchtet sind – wieder in die Städte strömen, wo sie am liebsten hin möchten.

Grund 2: Steigende Einkommen stützen den Markt.

Steigende Kaufpreise und Mieten müssen Haushalte nicht schrecken, wenn auch ihr Einkommen entsprechend steigt. So mussten neu einziehende Wohnungsmieter in den 50 größten Städten im Jahr 2019 zuletzt zwar 36 Prozent mehr Miete zahlen als noch 2009. Das Nettohaushaltseinkommen ist im gleichen Zeitraum aber auch um über 30 Prozent gestiegen. Der „Mietenwahnsinn“ mag im Einzelfall vorkommen, in der Breite ist er aber weniger belastend, als es auf den ersten Blick scheint. Zumal die Neuvertragsmieten den Anstieg überzeichnen. Mieter mit langlaufenden Verträgen zahlen häufig viel weniger. Je nach Stadt kann der Abstand zwischen den Bestands- und den Neuvertragsmieten bis zu 35 Prozent betragen, wie unser Immobilienatlas für die 50 größten Städte zeigt.

Vergleicht man Miet- und Einkommensentwicklung, sind viele Haushalte in den letzten Jahren nicht stärker belastet worden. Dass das mehr als Propaganda von Immobilienlobbyisten ist, zeigt eine Statistik der europäischen Behörde Eurostat. Demnach mussten private Haushalte in Deutschland 2018 rund 21,1 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens für die Miete aufbringen. Und 2009? Waren es 21,8 Prozent, also ein höherer, nicht ein geringerer Einkommensanteil. Hier die Quelle.

Zugegebenermaßen sind die Kaufpreise von Immobilien deutlich stärker als die Mieten gestiegen. Käufer (nicht Mieter!) werden auch gemessen am Einkommen stärker belastet als vor dem Boom. Andererseits profitieren sie von den deutlich gesunkenen Kreditzinsen. Klar ist jedenfalls, dass die auf den ersten Blick so abschreckend wirkenden Preis- und Mietsteigerungen relativiert werden müssen. Wenn die Belastung aber gar nicht so viel größer ist, gibt es auch keinen Grund, dass die vermeintlich nicht mehr zu stemmenden Mieten und Preise nun sinken müssen.

Grund 3: Die Zahl leer stehender Wohnungen steigt nicht.

„Bislang hat jeder Immobilienboom mit einem Überangebot geendet. Das wird beim aktuellen Superzyklus nicht anders sein“, sagt Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts Empirica. Ob es durch Corona zu einem Überangebot kommt, steht noch nicht fest. Zwar deuten einige Indizien darauf hin, dass die Nachfrage nach Immobilien nachlässt. Auch die Vermarktungsdauer bei Immobilieninseraten ist in den Monaten des Corona-Lockdowns gestiegen. Und mittelfristig dürften coronabedingte Bauverzögerungen das Angebot an neu gebauten Immobilien eher dämpfen, was ein drohendes Überangebot verhindern könnte. Vor Corona gingen die meisten davon aus, dass deutlich zu wenig – nicht zu viel – neu gebaut wird.

2018 war die Quote leerstehender Wohnungen in den 50 größten Städten mit 2,2 Prozent 2018 im Schnitt extrem niedrig. Sie war auch nicht gestiegen. 2017 hatte der Wert noch bei 2,3 Prozent gelegen. Und 2008, vor dem Boom, betrug die Leerstandsquote 3,5 Prozent, zeigen Daten des Forschungsinstituts Empirica.

Auch vor Corona gab es keine extreme Kreditaufnahme

Grund 4: Es gibt keine spekulative Kreditblase.

Eine Blase platzt oft dann, wenn alle von weiter steigenden Preisen ausgehen. Sie nehmen Kredite auf, weil es ja scheinbar ganz einfach ist, an den Wertzuwächsen zu profitieren. Sobald sich dann eine Wende abzeichnet, müssen Spekulanten die Reißleine ziehen. In guten Zeiten hebeln Kredite ihre Gewinne, weil sie bezogen auf das eigene Kapital noch größer ausfallen. Dieser Hebel wirkt aber auch in die andere Richtung und verstärkt dann Verluste, die im schlimmsten Fall das Eigenkapital aufzehren oder sogar übersteigen. Spekulativ getriebene Preissteigerungen sind daher anfälliger für eine Korrektur.

Umso besser, dass davon wenig zu sehen ist: Angesichts der seit Jahren steigenden Immobilienpreise wären steigende Kreditsummen wenig überraschend. Die Veränderungen bei der Summe der neu vergebenen Kredite an Privathaushalte ist aber weitgehend unauffällig. Starke Anstiege gab es 2015, als es einige Monate lang mal nach einer Wende zu steigenden Zinsen aussah. Auch vor Corona gab es keine extreme Kreditaufnahme, der Zuwachs war nur etwa so stark wie der Anstieg der Immobilienpreise selbst auch (siehe Grafik).

Nach Zahlen der Bundesbank haben nur 17 Prozent aller Haushalte einen Kredit für eine selbstgenutzte Immobilie aufgenommen, im Schnitt machen die Schulden knapp 100.000 Euro aus. Nur sechs Prozent aller Haushalte haben sich für eine nicht selbstgenutzte Immobilie verschuldet, im Mittel mit rund 150.000 Euro. In unteren Einkommens- und Nettovermögensgruppen (etwa bei den „unteren“ 40 Prozent) gibt es kaum kreditfinanziertes Immobilieneigentum. Auch das sichert den Markt ab: Selbst bei sinkenden Preisen müssten weniger Immobilienschuldner Haus oder Wohnung zwangsweise verkaufen.



Daten des Immobilienkreditvermittlers Dr. Klein deuten ebenfalls nicht auf große Spekulation hin: Demnach haben Immobilienkäufer mit Kredit 2019 zu etwa 84 Prozent Fremdkapitalanteil gekauft. 16 Prozent des Kaufpreises und die Kaufnebenkosten haben sie also selbst aufgebracht. 2009, zu Beginn des Immobilienbooms, lag der Kreditanteil mit 80 Prozent nur unwesentlich niedriger. Die Zinsbindung – also die Zeit, zu der die Bank einen fixen Kreditzins garantiert – ist im gleichen Zeitraum von 9,3 auf 13,7 Jahre gestiegen. Längere Kreditlaufzeiten sichern Hauskäufer besser vor dem Risiko steigender Zinsen ab.

Grund 5: Steigende Zinsen sind nicht in Sicht.

Der Zinsverfall in den vergangenen Jahren war, neben der großen Nachfrage und dem knappen Angebot, der wichtigste Preistreiber am Immobilienmarkt: Kredite wurden günstiger, andere Festzins-Geldanlagen – abseits des Immobilienmarktes – verloren an Attraktivität. Ein Immobilienkredit mit 20 Jahren Laufzeit ist heute schon teils für 1 Prozent Zins zu haben. Vor zehn Jahren hätte er noch locker 5,0 Prozent Zins im Jahr gekostet.

Der Effekt ist groß, wie eine grobe Überschlagsrechnung zeigt: Mit 1000 Euro monatlicher Kreditrate über 20 Jahre lassen sich bei 5,0 Prozent Zins rund 150.000 Euro tilgen. Bei 1,0 Prozent Zins hingegen würde die gleiche Monatsrate für fast 220.000 Euro Kreditsumme reichen. Ohne das Eigenkapital zu beachten, kann der Kredit jetzt also ein Drittel größer sein, bei gleich hoher monatlicher Belastung für Zins und Tilgung. Kommen steigende Einkommen hinzu (siehe Grund 2), ist noch mehr drin. Seit 2010 ist das Haushaltsnettoeinkommen um 25 Prozent gestiegen. Statt 1000 Euro pro Monat könnte ein Haushalt entsprechend jetzt 1250 Euro finanzieren, ohne dass der Kreditanteil am Einkommen steigen würde.

1250 Euro Monatsrate würden beim aktuellen Zins und 20 Jahren Laufzeit für vollgetilgte 270.000 Euro reichen. Diese Summe läge 80 Prozent über dem zum Einkommen und Zins von 2010 finanzierbaren Kredit (270.000 zu 150.000 Euro). Zum Vergleich: Im Schnitt sind die Kaufpreise bestehender Wohnungen zwischen 2010 und 2019 in den 50 größten Städten um 74 Prozent gestiegen. Wenn Käufer also auch entsprechend mehr Eigenkapital aufbringen können, hätte sich ihre Situation trotz der gestiegenen Immobilienpreise nicht verschlechtert.

Die weitere Entwicklung der Zinsen ist daher ein entscheidender Faktor für die Immobilienmärkte. Und eine Wende zu steigenden Zinsen ist insbesondere wegen des coronabedingten Konjunktureinbruchs nicht in Sicht. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte 2019 ihr milliardenschweres Ankaufsprogramm für Anleihen wieder aufgenommen. Ein Schwenk zu Zinserhöhungen wurde vor der Coronakrise frühestens Ende 2020, eher 2021, erwartet – wenn überhaupt. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) prognostizierte schon Ende 2018 anhaltende Niedrigzinsen bis 2050. Vorerst dürfte sich eine Zinswende auf unbestimmte Zeit verschoben haben.

Solange die Zinsen niedrig bleiben, stützen sie den Immobilienmarkt. Ein weiterer Zinsrutsch, der die Preise erneut anheizen würde, mag unwahrscheinlich sein. Ein Zinsanstieg, der einen Crash auslösen könnte, ist aber noch viel unwahrscheinlicher. Denn er würde nicht nur den Immobilienmarkt treffen, sondern die gesamte, derzeit ohnehin in Schieflage geratene, Konjunktur abwürgen und viele hoch verschuldete Unternehmen und Staaten zusätzlich in Schwierigkeiten bringen.

Fazit

Die Preise von Häusern und Wohnungen erscheinen hoch. Durch die Coronakrise könnte die Nachfrage sinken. Erste Indizien deuten darauf hin. Aber auch das Angebot könnte nachgeben. Die Zeit der großen Preis- und Mietsteigerungen kann vorbei sein, insbesondere weil Politiker mit regulatorischen Eingriffen die Mieten steuern wollen. Für eine Wende zu fallenden Immobilienpreisen – und das nicht nur vorübergehend – dürfte es aber viel zu früh sein. Denn letztlich bleibt Wohnraum knapp und der wird benötigt, weil Menschen wohnen müssen, auch in Pandemiezeiten.

In welchen Städten sich der Kauf noch lohnt, wo Selbstnutzer eher mieten als kaufen sollten, lesen Sie in unserem großen Immobilienatlas: Der ultimative Check für die 50 größten Städte: Alle Preise, alle Lagen – und die Top-Großstädte im Stadtteilcheck. Schauen Sie rein!

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