Kampf um Wohnraum Wenn nur noch Bauen hilft

In einigen Städten müssen Investoren bei Neubauten Quoten für Sozialwohnungen berücksichtigen oder dürfen Miet- nicht in Eigentumswohnungen umwandeln. Bewahrt das die soziale Mischung in den Städten?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Städte mit den besten Kaufgelegenheiten
Kassel Quelle: dpa-dpaweb
Weimar Quelle: dpa
Düsseldorf Quelle: dpa
Osnabrück Quelle: dpa-dpaweb
Koblenz Quelle: dapd
Lübeck Quelle: obs
Braunschweig Quelle: dpa

Es wird eng in Deutschlands Großstädten. Ob in München oder Hamburg, Freiburg oder Berlin: Der Kampf um Wohnraum, den sich auch Durchschnitts- und Geringverdiener leisten können, wird härter. Dabei sorgen steigende Wohnungsmieten und - preise nicht nur in Metropolen und Universitätsstädten für heftige Debatten, sondern auch in Kommunen, die noch vor kurzem mit vielen leeren Wohnungen zu kämpfen hatten. "Die Räume in der Stadt werden immer weniger", klagte unlängst auf einer Diskussionsveranstaltung in Leipzig die aufgewühlte Nutzerin eines Wohnprojekts im aufstrebenden Stadtteil Plagwitz, das jetzt Eigentumswohnungen weichen muss.

Kein Wunder also, dass Politiker schon vor einem neuen Häuserkampf warnen. "Wenn immer mehr Mieter Angst haben, aus ihren Wohnungen verdrängt zu werden, wenn viele keine Chancen haben, eine Wohnung zu finden, dann muss die Politik handeln", sagte Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) im Mai auf dem Deutschen Mietertag in Hamburg. "Bezahlbare Mietpreise für alle Menschen sind Grundvoraussetzung für das gesellschaftliche Zusammenleben."

Wo investieren? Die Top 10 der regionalen Wohnungsmärkte 2015

Die Politik sieht sich zum Handeln gezwungen - nicht nur der Bund mit der Mietpreisbremse, sondern auch die Kommunen. Denn immer mehr Städte verpflichten Investoren, bei größeren Wohnungsbauvorhaben einen gewissen Anteil an öffentlich geförderten oder sonst wie preiswerten Mietwohnungen zu errichten. An die Spitze der Bewegung hat sich Freiburg gesetzt: Im Mai beschloss das Stadtparlament, künftig müssten 50 Prozent der neu entstehenden Wohnungen öffentlich gefördert sein.

Wie diese Vorgabe praktisch umgesetzt werden und für welche Bauvorhaben sie gelten soll, wird laut Stadtverwaltung derzeit geprüft. Andere Städte sind da schon weiter als Freiburg - allen voran München. Hier gibt es bereits seit 1994 ein Modell, das Vorbild ist für alle anderen einschlägigen Konzepte: Die sozialgerechte Bodennutzung (Sobon) schreibt vor, dass in Gebieten, in denen mit einem Bebauungsplan Baurecht geschaffen wird, grundsätzlich 30 Prozent der neuen Wohnungen öffentlich gefördert werden und Haushalten mit niedrigem Einkommen zur Verfügung stehen müssen. Ähnliche Quotenregelungen gelten beispielsweise auch in Hamburg, Köln, Stuttgart und seit kurzem auch in Berlin - teilweise in Bebauungsplangebieten, teilweise ausschließlich dann, wenn städtische Grundstücke verkauft werden.


Die sozial gemischte Stadt, eine Utopie?

"Ein positives Beispiel ist in jedem Fall Hamburg", sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes. In der Hansestadt wurden im vergangenen Jahr gut 2.000 Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen fertiggestellt - das entspricht einem Drittel des gesamten Neubauvolumens.

Die Schlusslichter der regionalen Wohnungsmärkte 2015

Deutlich skeptischer beurteilt Michael Voigtländer die Wirkung der kommunalen Vorgaben. Der Leiter des Kompetenzfelds Finanz- und Immobilienmärkte beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) verweist darauf, dass der Bau günstiger Wohnungen sich für die Investoren nur mittels Quersubventionierung rechne - mit der Folge, dass frei finanzierte Wohnungen noch teurer würden.

Instrument des Milieuschutzgebietes

Hinzu kommt: Einige Projektentwickler lassen sich auf solche Vorgaben gar nicht erst ein. "Wir fassen in Berlin grundsätzlich keine Projekte mehr an auf Grundstücken, auf denen ein Bebauungsplan geändert oder neu aufgestellt werden muss", sagt Michael Staudinger, geschäftsführender Gesellschafter des Immobilienunternehmens Bauwert. Auf solchen Grundstücken gilt in der Hauptstadt seit einigen Monaten das Modell der "kooperativen Baulandentwicklung", das Investoren im Prinzip verpflichtet, einen Anteil von mindestens 25 Prozent geförderter Wohnungen zu realisieren. "Der ungebrochene Einwohnerzuwachs und die weiterhin steigenden Mietpreise", rechtfertigt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) das Modell, "zeigen, wie wichtig es ist, dass wir den Fokus noch stärker auf die soziale Ausgewogenheit in den Quartieren legen."

Mieten oder kaufen? Die größten deutschen Städte im Test
Das Essener Wahrzeichen, der Förderturm der ehemaligen Zeche und des heutigen Museums Zeche Zollverein Quelle: dpa
Das "U" auf dem Dach der Unions-Brauerei Quelle: dpa
Skyline von Düsseldorf im Winter Quelle: dpa
Bremer Marktplatz Quelle: dpa
Blick über den Rhein auf Köln Quelle: dpa
Menschen auf dem Schlossplatz in Stuttgart Quelle: dpa
Neues Rathaus in Hannover Quelle: dpa

Doch ist das Ideal der sozial gemischten Stadt überhaupt noch zu verwirklichen? "Wir sollten die soziale Mischung nicht zu dogmatisch sehen", meint Immobilienexperte Voigtländer. "Ich habe noch kein Argument gefunden, warum es für die Gesellschaft schlecht sein soll, wenn Menschen mit hohem Einkommen zusammenwohnen." Umgekehrt könne es für ein sozial schwaches Stadtviertel gut sein, wenn bessergestellte Haushalte zuzögen: Dann erhöhe sich die Qualität der Schulen und der Kitas, das ganze Quartier profitiere.

Diese Bausparkassen sollten Sie lieber meiden

Viele Kommunalpolitiker allerdings sehen das anders. Deshalb greifen sie immer öfter zum Instrument des "Milieuschutzgebiets". In Milieuschutzgebieten - das Baugesetzbuch spricht von "sozialen Erhaltungsverordnungen" - können die Behörden aufwendige Modernisierungsmaßnahmen untersagen, die steigende Mieten nach sich zögen. "Mit der Milieuschutzsatzung wollen wir angemessenen Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen erhalten und die Verdrängung dieser Sozialgruppen verhindern", erläutert Frankfurts Baubürgermeister Olaf Cunitz (Grüne). Er hat zu Beginn dieses Jahres eine Milieuschutzsatzung für den Stadtteil Bockenheim erlassen.


Stadt der Zukunft hat Platz für alle Schichten

Dieses Vorgehen habe keinen Erfolg, sagt hingegen Michael Voigtländer: Die Erfahrung zeige, dass Eigentümer von Wohnhäusern in Milieuschutzgebieten verstärkt Miet- in Eigentumswohnungen umwandelten. Zumindest dort, wo die Politik dies zulässt: In Hamburg und Berlin versperrt eine Umwandlungsverordnung den Investoren genau diesen Ausweg. "Dies", freut sich Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, "ist ein wichtiger Schritt, um der Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus der Innenstadt entgegenzuwirken."

Wann sollte man keinen Bausparvertrag abschließen?

Auch Nordrhein-Westfalens Bauminister Michael Groschek (SPD) betont: "Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt, die Platz hat für alle sozialen Schichten." Als Vorbild dient vielen Experten Wien: In Österreichs Hauptstadt wohnen nicht weniger als 60 Prozent aller Menschen in städtischen oder öffentlich geförderten Wohnungen. Wer eine solche Wohnung mietet, darf zu diesem Zeitpunkt zwar bestimmte, recht großzügig bemessene Einkommensgrenzen nicht überschreiten. Der Mieter kann aber später selbst dann in der subventionierten Wohnung bleiben, wenn er sich vom Medizinstudenten zum Chefarzt hochgearbeitet hat. Diese Regelung sei auch richtig, sagt Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig: "Ein wesentlicher Erfolg der Wiener Wohnbaupolitik ist, dass in der gesamten Stadt Durchmischung stattfindet. Wir wollen keine Siedlungen nur für Arme oder nur für Reiche, wie wir sie aus den Vororten anderer Städte kennen."

Jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen

Dieses Ziel lasse sich aber auch kostengünstiger erreichen, entgegnet Reiner Braun. Der Vorstand des Beratungsunternehmens Empirica lehnt die Objektförderung - also den klassischen sozialen Wohnungsbau - grundsätzlich ab. Er plädiert stattdessen für die Subjektförderung, bei der die öffentliche Hand über das Wohngeld diejenigen Haushalte direkt unterstützt, die sich ihre Wohnung sonst nicht leisten könnten. "Wenn Geringverdiener über Sozialwohnungen versorgt werden, konzentrieren sie sich zwangsweise in bestimmten Quartieren, die dann schnell stigmatisiert sind", argumentiert Braun. "Wer hingegen Wohngeld bezieht, kann sich überall eine Wohnung suchen. Damit ist die soziale Durchmischung leichter zu realisieren."

Die Tücken beim Immobilienkauf
Trotz kräftig gestiegener Wohnungspreise in vielen Großstädten ist in Deutschland nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) derzeit keine gefährliche Immobilienblase in Sicht. Bis jetzt seien Eigentumswohnungen nicht überbewertet, heißt es in der am 11. März in Köln vorgelegten Untersuchung. Die Studie habe gezeigt, dass in der jüngeren Vergangenheit vor allem Nachholeffekte die Preise für Wohnimmobilien in die Höhe getrieben hätten. Auch regional betrachtet sei der deutsche Wohnungsmarkt weitgehend gesund, hieß es. Besonders deutlich waren die Preise für Eigentumswohnungen zwischen 2010 und 2014 in München, Berlin und Hamburg gestiegen. Auf den weiteren Plätzen rangierten Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt und Köln.Worauf Immobilienkäufer dennoch achten sollten: Quelle: dpa
Nebenkosten Quelle: dpa
echenübungenUm das Thema Immobilienkauf auf einer realistischen Basis angehen zu können, muss zunächst genau gerechnet werden. Wie viel Einkommen ist vorhanden, wie groß ist der Spielraum für die Investition? Denn auch wenn Immobilienkredite derzeit besonders günstig sind: eine Komplettfinanzierung ist nicht ratsam. Experten raten, mindestens 20 Prozent der Kosten mit Eigenkapital zu finanzieren. Je mehr, desto besser. Wer weiß, wie viel Eigenkapital er aufbringen kann, der weiß auch, in welcher Preisklasse er sich auf die Suche nach einer passenden Immobilie machen kann. Quelle: dpa
ObjektbesichtigungNiemand sollte ein Gebäude kaufen, dass er nicht persönlich in Augenschein genommen hat. Selbst bei geplanten Neubauten – zum Beispiel vom Bauträger – ist die Besichtigung des Grundstücks und eines Vergleichsgebäudes (Musterhaus) zwingend. Bei bereits fertiggestellten Häusern und Gebrauchtimmobilien sind mehrere Besichtigungstermine Pflicht. Zum Beispiel kann dem Interessenten bei einer Besichtigung am Wochenende schnell der laute Schulhof ein paar Häuser weiter oder die stark befahrene Straße hinter dem Haus entgehen. Auch ein längerer Spaziergang durch die nähere Umgebung und Gespräche mit den Nachbarn helfen, ein Objekt realistisch einzuschätzen. Quelle: ZBSP
Lage, Bebauungspläne, BaugenehmigungenSpätestens mit der Besichtigung sollten sich Hauskäufer Gedanken über die Güte der Wohnlage machen. Kein Kriterium entscheidet später deutlicher über den Werterhalt einer Immobilie. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Wie sind Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Freizeitangebot und Umweltverschmutzung der Umgebung? Auch Wirtschaftskraft, Arbeitsplatzangebot und Qualität der Nachbarschaft sind Faktoren, die den Immobilienwert beeinflussen können. Außerdem sollten sich Interessenten über Bebauungspläne in unmittelbarer Nachbarschaft beim örtlichen Bauamt erkundigen. Dort gibt es auch Auskunft zu vorliegenden Baugenehmigungen und Hinweise auf Bergbauschäden, Hochwasserrisiken und ähnliches. Quelle: dpa
Beginnen Sie Ihren Rundgang im KellerNachdem die Nachbarschaft durchlaufen wurde, geht es an die Besichtigung im Inneren des Hauses. Dort sollten Sie nicht im Wohnzimmer starten, dass könnte die Stimmung positiv beeinflussen und den Blick fürs wesentliche nehmen. Ein realistischeres Bild vom Wert des Hauses bekommen Sie im Keller. Achten Sie darauf, ob er feucht ist oder es muffig riecht. Beides deutet auf Schimmel hin und könnte hohe Folgekosten haben. Auch die Heizungsanlage sollten Sie eines Blickes würdigen. Wie alt ist das Gerät, ist es eine Gasheizung? Von Nachtstromgeräten raten Experten ab. Quelle: dpa
SachverständigengutachtenInsbesondere bei einer Gebrauchtimmobilie verstecken sich die Tücken im Detail. Verdeckte Gebäudemängel sind keine Seltenheit, oftmals sind sie selbst dem Verkäufer nicht alle bekannt. Eine feuchte Dachisolierung, handwerklich verpfuschte Einbauten oder marode Gebäudesubstanz sind für den Laien nicht unbedingt erkennbar. Daher empfiehlt sich in solchen Fällen die Einschaltung eines Sachverständigen, der das Objekt genau unter die Lupe nimmt. An den Kosten dafür (mehrere hundert Euro) sollte sich der Verkäufer möglichst beteiligen. Das ist zum einen Vertrauensbeweis und hilft dem Verkäufer außerdem, sollte ein Interessent abspringen, bei den weiteren Verkaufsgesprächen Quelle: dpa

Allerdings schaffe das Wohngeld keine einzige neue Wohnung, gibt Mieterbund-Geschäftsführer Ulrich Ropertz zu bedenken. Der Mieterbund fordert, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen - also deutlich mehr als jene 272 000 Wohnungen, die das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in seiner jüngsten Prognose für nötig hält. Dabei, sagt Ropertz, brauche man neben dem öffentlich geförderten Wohnungsbau und dem Wohnungsbau für gut Verdienende auch Angebote im mittleren Preissegment - und diese lassen sich seiner Ansicht nach nur schaffen, wenn die Baukosten verringert werden.

Zu einer ähnlichen Empfehlung kommt eine Studie des Beratungsunternehmens Bulwiengesa: Durch eine Verkleinerung der Wohnungen und eine Verringerung der Ausstattungsstandards ließen sich die Baukosten und damit die Mieten senken, sagen die Experten. Was wiederum energischen Widerspruch von Empirica-Vorstand Reiner Braun provoziert: "Verdichtete Wohngebäude mit niedriger Deckenhöhe, banaler Fassade und modularem Grundriss - denn darauf läuft es jetzt hinaus - werden künftig als erste leer stehen."

Dass nur der Neubau die Wohnungsmärkte der deutschen Großstädte entspannen kann, betont auch Michael Voigtländer vom IW. Umgekehrt gilt für ihn: "Alle Maßnahmen, die dazu führen, dass weniger Wohnungen gebaut werden, bewirken letztlich steigende Mieten." Außerdem schlägt Voigtländer eine Änderung der Perspektive vor: Bei der Stadtplanung, so sein Plädoyer, sollten künftig nicht nur die Zentren der großen Städte in den Blick genommen werden. Es gehe vielmehr darum, auch das Wohnen an den Stadträndern attraktiver zu machen. "Wenn es dort eine gute Infrastruktur gibt", sagt Voigtländer, "reduziert sich der Druck auf die Innenstädte von selbst."

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%