Knapper Wohnraum Wohnkonzepte für jedermann, statt Disneyland für Reiche

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Eingefahrene Denkmuster

Die große Anziehungskraft der Stadt, der zunehmende Platzmangel und die stetig steigenden Grundstückspreise haben diese Bauoption nun auch in Berlin unverzichtbar gemacht. Doch eingefahrene Denkmuster sowie der politisch motivierte Idealismus vieler Behörden verhindern, dass Freiflächen effektiv für Projekte genutzt werden, die auch preiswertes Wohnen ermöglichen. Am Bauen in die Höhe und für alle Bevölkerungsschichten führt kein Weg vorbei. Das findet auch Libeskind: „Gebraucht wird eine verdichtete Stadt, die Platz für alle bietet. Eine verdichtete Stadt ist eine nachhaltige Stadt. Die Menschen können zur Arbeit laufen, der öffentliche Nahverkehr ist schnell. Berlin soll natürlich nicht New York werden. Aber es sollte definitiv höher gebaut werden als die bisher üblichen 22 Meter in der Innenstadt“, sagte er vor einem Jahr.

Berlintypische Trippelschritte und Traufhöhe

Wann wird der dafür vorgesehene Alexanderplatz seinen ersten Wohnturm bekommen? Knapp 25 Jahre nach dem spektakulären Masterplan von Hans Kollhoff mit elf Hochhäusern von bis zu 150 Metern Höhe ist zumindest die Planung in Bewegung. Die Umsetzung allerdings tritt mit den berlintypischen Tippelschritten auf der Stelle. Dabei sind die Zeit und der Markt reif für unkonventionelle Lösungen. Konkrete und durchfinanzierte Projekte liegen auf dem Tisch. Doch die Verwaltung bremst weiterhin, obwohl Berlin damit endlich auch architektonisch Weltläufigkeit zeigen könnte. Weil es in Berlin scheinbar unmöglich ist, praktische Lösungen für die ungebremste Nachfrage zu finden, stockt die Erteilung der Baugenehmigung beim 39-Etagen-Wohnturm von Frank Gehry. Und so ist und bleibt das Grandaire das bislang einzige Projekt, das am Alex begonnen wurde – auch wenn es mit 65 Metern und 20 Etagen das Attribut Hochhaus eigentlich nicht ganz verdient.

Zimmer in Berlin gesucht? Am besten extrem einkaufsnah gelegen? Kein Problem: Der Wohn-Aldi kommt! Der Lebensmitteldiscounter steigt in den Wohnungsbau ein – wenn auch nicht ganz freiwillig.
von Henryk Hielscher

Dabei wäre es nicht nur ein Meilenstein mit Strahlwirkung, wenn es am Alex endlich vorangehen würde. Vielmehr wäre es eine dringend benötigte Maßnahme, die den Wohnungsmarkt entspannt und als Vorbild für ähnliche Hochhausprojekte dienen könnte. Für den normalverdienenden Berliner selbstverständlich in abgespeckter Ausführung - wobei „gute Architektur nicht teuer sein muss“, wie Libeskind betont. Zumal Hochhäuser auch Kosten senken, weil Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser und U-Bahnhöfe nicht neu errichtet, sondern bereits vorhandene genutzt und ausgebaut werden kann. Damit die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in der Hauptstadt endlich Fahrt aufnimmt, sollten die Hürden für Spekulanten erhöht und für Investoren mit ehrlichen Bauabsichten gesenkt werden. Auch steuerliche Anreize wie das Wegfallen der Grundsteuer könnten horizontale und vertikale Wohnprojekte stimulieren.

Es ist verständlich, dass ein linksorientierter Senat die Spekulationen mit Wohnraum und Boden einschränken möchte. Mit umfangreichen Regelungen und Beschränkungen kann er die Marktkräfte allerdings nicht aushebeln. Er muss alle Marktteilnehmer, landeseigene Unternehmen, Bund, Genossenschaften, private Unternehmen und Eigentümer sowie Bewohner in die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Schaffung von Wohnraum – in allen Preisklassen – einbinden.

Möglichkeiten gibt es genug: Verdichtung der Stadträume zulassen und befördern, Stadtquartiere gemeinsam mit den Eigentümern und Bewohnern umgestalten, Genehmigungsprozesse für Dachgeschossausbau, Baulückenschließungen und Umnutzungen vereinfachen wenn diese der Wohnraumschaffung dienen, Hochhausprojekte unterstützen und gute architektonische sowie konzeptionell durchdachte Projekte politisch und verwaltungstechnisch befördern.

Das wichtigste Projekt der Politik müsste jedoch sein, ein umfangreiches, den Marktbedingungen gerecht werdendes und praktikables Förderprogramm für mietpreisgebundenen Wohnraum auf die Beine zu stellen. Nur mit einem größeren Angebot lassen sich Preisspekulationen einschränken – etwas mehr Vertrauen in diese funktionierenden Marktkräfte sollten die politisch Verantwortlichen in Berlin haben. Berlin käme so um die Kellervariante Londons herum und könnte auf gut bestelltem Boden und in die Höhe wachsen.

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