Kreditwiderruf Die Rückkehr des Widerrufsjokers

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Verhandlungsbereitschaft der Banken

Einzig Kunden mit alten Immobilienkrediten, die seit 22. Juni nicht mehr widerrufen werden können, müssen sich etwas anderes einfallen lassen. Ein Ansatz: In vielen Kreditverträgen sind feste Zinsen für zehn Jahre vereinbart. Auch bei längerer Zinsbindung besteht nach zehn Jahren ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht.

Rückt dieser Zeitpunkt näher, zeigen sich Banken oft verhandlungsbereit. „Ein bis zwei Jahre vor Ablauf der Zinsbindung wächst auf Bankenseite in der Regel die Gesprächsbereitschaft“, sagt Anwalt Reiter. „Um Kunden nicht zu verlieren, stimmen die Verantwortlichen häufig zu, früher auf einen Kredit zu aktuellen Konditionen umzustellen.“

Schweren Herzens die Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen, um Bank und Kredit wechseln zu können, lohnt sich dagegen meist nicht. Laut einer Studie des Verbraucherzentrale Bundesverbands fallen im Schnitt elf Prozent der Restschuld als Vertragsstrafe an. Bei 100.000 Euro müssten Eigentümer also 11.000 Euro aufbringen – auf einen Schlag.

Die Berechnung dieser Vorfälligkeitsentschädigung ist umstritten. Banken kalkulieren zunächst, welche Einnahmen ihnen bis zum Ablauf der Zinsbindung entgehen – und ziehen im nächsten Schritt die Erträge ab, die sie mit dem vorzeitig zurückgezahlten Geld erzielen.

Dabei unterstellen sie meist jedoch nicht, dass sie neue Kredite vergeben, sondern dass sie sichere Wertpapiere kaufen, vor allem Hypotheken-Pfandbriefe. Und die liefern derzeit besonders magere Renditen, die deutlich unter den Kreditzinsen liegen. „Auf diese Weise blähen die Banken ihren vermeintlichen Schaden massiv auf“, kritisiert Tiffe.

Da der BGH die pauschale Kalkulation 2004 abgesegnet hat, sind Kunden mit bis zum Stichtag 21. März 2016 abgeschlossenen Krediten ihr aber wohl ausgeliefert. Kunden, die ihren Vertrag danach – und damit nach neuem EU-Recht – abgeschlossen haben, könnten hingegen Chancen auf günstigere Regeln haben.

Denn die neue EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie schreibt nun ausdrücklich vor, dass Banken nur ihren wahren Schaden einfordern dürfen. Nach Ansicht von Tiffe verstößt die Praxis der Banken deshalb sowohl gegen das im März in Kraft getretene deutsche Wohnimmobilienkreditgesetz als auch gegen Europarecht.

Er plant, die Sache vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) klären zu lassen. Das Problem: Kläger muss ein Immobilieneigentümer sein, der seinen Kredit seit 21. März 2016 abgeschlossen hat. Bis die ersten dieser Kredite gegen Vertragsstrafe gekündigt werden, „dürften aber noch ein paar Monate vergehen“, sagt Tiffe. Und dann folgt ein mühsamer Weg durch die Instanzen.

Vorerst bleibt als Notwehr gegen die horrenden Vorfälligkeitsentschädigungen also nur der Widerrufsjoker – und bei Altverträgen das Druckmittel Sonderkündigung.

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