Löcher in den Bilanzen Was die Zinswende für Unternehmen bedeutet

Wegen der Zinswende der EZB kommen Wertberichtigungen auf die Unternehmen zu. Quelle: Getty Images

Nach elf Jahren hat die Europäische Zentralbank erstmals wieder die Leitzinsen erhöht. Das führt nicht nur dazu, dass Unternehmen für Fremdkapital in der Regel höhere Zinsen zahlen müssen. Auf viele Firmen können auch Wertberichtigungen zukommen. Ein Gastbeitrag.

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Den Zinsen kommt eine wichtige makro- und mikroökonomische Funktion zu. Der Zinssatz ist der Preis für eine Überlassung von Kapital durch den Gläubiger an den Schuldner. Das zu beobachtende Niedrigzinsniveau der vergangenen Jahre ist indes nicht das Ergebnis eines freien Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage auf den Kapitalmärkten, sondern Konsequenz einer langjährigen expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Nachdem bereits im vergangenen Mai die US-amerikanische Notenbank die Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte und im Juni um weitere 0,75 Prozentpunkt angehoben hatte, zog die Europäische Zentralbank mit ihrer Entscheidung vom 9. Juni nach. Die Leitzinsen im Euro-Raum wurden am 21. Juli um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Ein weiterer Zinsanstieg im September ist möglich.

Mit der Erhöhung der Leitzinsen verteuern sich die Konditionen, zu denen Geschäftsbanken Geld bei der Zentralbank leihen können. Ein Anstieg der Leitzinsen wirkt sich somit mittelbar auch auf die Kredit- und Anlagezinssätze aus. In Erwartung höherer Leitzinsen sind beispielsweise bereits die Baufinanzierungszinssätze – bei einer Zinsbindung von zehn Jahren – von unter einem Prozent im letzten Jahr auf zwischenzeitlich über drei Prozent angestiegen. Neben den Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen auch die Unternehmen mit der Zinswende umgehen. Dabei darf der Zinsanstieg nicht isoliert betrachtet werden. Höhere Zinssätze gehen regelmäßig einher mit höheren Inflationsraten.

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Ob sich der Anstieg des allgemeinen Preisniveaus auf ein Unternehmen auswirkt, hängt von der eigenen Marktmacht gegenüber seinen Kunden und seiner Abhängigkeit von bestimmten Vorprodukten und Lieferanten ab. Unternehmen, die einen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus auf ihre Kunden abwälzen, das heißt selbst höhere Preise durchsetzen können, werden die Verteuerung insbesondere von Rohstoffen wie Öl und Gas tendenziell besser verkraften können, als Unternehmen, die dem Preisanstieg durch Substitutions- oder Rationalisierungsmaßnahmen begegnen müssen.

Ungeachtet möglicher Folgen auf die konjunkturelle Entwicklung insgesamt und auf die Geschäftstätigkeit einzelner Unternehmen, zum Beispiel durch eine zurückgehende Nachfrage der Konsumenten, ergeben sich allein aus dem Zinsanstieg Auswirkungen auf die Bilanzen der Unternehmen. Die Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen der Zinswende auf die Bilanz eines Unternehmens kann nur im jeweiligen konkreten Einzelfall beantwortet werden. Es lassen sich aber bestimmte Tendenzaussagen treffen und Bereiche identifizieren, die betroffen sind.  

Klaus-Peter Naumann ist seit 2001 Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW). Quelle: PR

Der Umfang der Auswirkung der Zinserhöhung in der Rechnungslegung hängt auch davon ab, ob der Abschluss nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB) oder nach den internationalen Rechnungslegungsstandards, den IFRS, aufgestellt wird. Während das HGB vom Gläubigerschutz und dem Vorsichtsprinzip geprägt ist, steht bei den IFRS die Informationsfunktion des Abschlusses im Vordergrund. Daher spielt bei den IFRS bei der Bewertung des Vermögens, wie beispielsweise Beteiligungen oder Immobilien, der Zeitwert zum jeweiligen Abschlussstichtag eine bedeutende Rolle.

Da für viele Vermögensteile kein Marktpreis beobachtet werden kann, wird der Zeitwert oftmals durch Anwendung allgemein anerkannter, kapitalwertorientierter Verfahren ermittelt. Der zu ermittelnde Zeitwert bestimmt sich dabei nach den in der Zukunft zu erwartenden Zahlungen. Da einer Zahlung in naher Zukunft ein höherer Wert beigemessen wird als einer Zahlung mit dem gleichen Nominalbetrag in ferner Zukunft, werden die zu unterschiedlichen Zeitpunkten erwarteten Zahlungen durch Diskontierung mit einem bestimmten Zinssatz vergleichbar gemacht. Dieser Diskontierungszinssatz ergibt sich aus dem risikofreien Zinssatz, also beispielsweise dem Zinssatz für zehnjährige Bundesanleihen und wird um weitere Faktoren ergänzt.

Börsennotierte Immobilienriesen wie Vonovia, LEG und Co. wurden von Vermietern zu Spekulanten. Das rächt sich nun. Sinkende Preise und steigende Zinsen erschüttern die hoch verschuldeten Konzerne.
von Melanie Bergermann

Das allgemeine Zinsniveau hat dementsprechend einen hohen Einfluss auf die Höhe des Diskontierungszinssatzes. Je höher der Diskontierungszinssatz wiederum, desto geringer fällt der Barwert der Summe der künftigen Zahlungen, also der Zeitwert des Vermögens, aus. Steigen also die Zinsen, steigt die Gefahr von Wertberichtigungen. Die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank im Juli wird sich im dritten Quartal oder zum Jahresende in den Diskontierungssätzen der Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren und dementsprechend auch in ihren Bilanzen spiegeln.

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