Das Gelände „Am Ziegelstadel“ im bayrischen Wörthsee war perfekt für Aldi Süd: 13 Hektar, groß genug für eine neue Logistikhalle, die Autobahn 96 Richtung München ganz nahe. Zehn Millionen Euro bot der Discounter der Gemeinde für die Fläche im Naturschutzgebiet – genug, um deren Schulden zu begleichen und eine neue Schule zu bauen.
Doch schnell stritten sich Experten um die Zahl der Lastwagen, die dank Aldi künftig durch das Dorf im Landkreis Starnberg brettern würden. Politiker machten das Aldi-Areal zum Wahlkampfthema. Eine Bürgerbefragung 2014 verhinderte dann das Projekt: 54,4 Prozent der Befragten stimmten gegen das Logistikzentrum vor der Stadt.
Für die Branche ist Wörthsee überall: Bundesweit regen sich Anwohner über neue Logistikhallen auf. Die Logistik gilt als drittgrößter Wirtschaftszweig Deutschlands nach Autoindustrie und Handel, rund 2,9 Millionen Arbeitsplätze hängen von ihr ab. „Die Branche wächst, aber es gibt kaum Flächen für Logistikimmobilien“, sagt Uwe Veres-Homm, Experte des Fraunhofer-Instituts SCS für Logistik in Nürnberg.
Branche diskutiert über das Thema
Bei der Immobilien-Leitmesse Expo Real steht das Thema prominent auf der Agenda. „Boomender Logistikmarkt – Wo kommen die Flächen für Logistikimmobilien her?“ heißt eine Debatte am zweiten Messetag. Die Antwort lautet häufig: Es gibt keine, zumindest an den Standorten, an denen Industrie, Handel und Speditionen sie brauchen.
Beispiel Stuttgart: In der Region haben Unternehmen trotz hoher Nachfrage 40.000 Quadratmeter weniger Logistikflächen anmieten können als im Jahr zuvor, sagt Markus Knab, Leiter Logistikimmobilien beim Stuttgarter Bankhaus Ellwanger & Geiger. In diesem Jahr soll der Umsatz stagnieren. Bis zu einer halben Million Quadratmeter Fläche fehle für Logistiker, schätzt Knab. So suchen Bosch und Porsche nach Platz für Hallen von rund 50.000 Quadratmetern, Daimler braucht sogar 100.000 Quadratmeter.
Die Ablehnung der Anwohner erschwert die Suche. Seit drei Jahren versuchen die Landeshauptstadt Stuttgart und die umliegenden Landkreise, einen Plan mit neuen Flächen für Logistiker aufzustellen. Doch ein 75 Hektar großer Logistikpark in Pleidelsheim im Kreis Ludwigsburg scheiterte an Einsprüchen der Gemeinde. Den vier nun diskutierten Alternativen könnte es genauso ergehen, fürchtet Fachmann Knab. Im Wettbewerb mit anderen Regionen sei das „ein erheblicher Standortnachteil und ein Entwicklungshemmnis“.
Bei Politikern und Anwohnern hat die Logistikbranche einen schlechten Ruf. „Viele verbinden damit nur Lärm, Dreck und viel Verkehr“, sagt Logistikforscher Veres-Homm. Logistikzentren gelten als hässliche große Kästen, die wie überdimensionierte Schuhkartons auf der Wiese herumstehen. Die Hallen verbrauchten viel Fläche, schafften aber kaum Arbeitsplätze, so die Kritik.
Zumindest das Jobargument zieht längst nicht immer: Logistiker betreiben nicht nur Lager und Umschlagplätze, an deren Rampen Paletten von einem Lkw in den andern geladen werden, sondern sind oft eng in die Produktion eingebunden. Kontraktlogistiker beispielsweise siedeln sich häufig neben Fabriken der Autoindustrie an, manche bauen Fahrzeugteile wie Autotüren zusammen und liefern sie taktgenau ans Band. Solche Betriebe „schaffen gute Arbeitsplätze und zahlen Gewerbesteuer“, sagt Knab. Zahlen des Fraunhofer-Instituts zeigen: Während in einer Lagerhalle nur durchschnittlich neun Mitarbeiter auf 1000 Quadratmeter kommen, sind es in Umschlagzentren schon 15 Mitarbeiter. Manche Logistiker benötigen auch 40 Mitarbeiter je 1000 Quadratmeter Halle.
Viele Kommunen hoffen trotzdem darauf, dass sich anstelle eines Logistikers ein Hightech-Konzern mit besser bezahlten Arbeitsplätzen niederlässt. „Wer eine Logistikimmobilie plant, hält besser nach mehreren Standorten Ausschau“, sagt Veres-Homm.
„Oft kommen Logistikplaner zu spät zu den Kommunen“
So scheiterte Aldi Süd in Wörthsee bereits zum zweiten Mal mit dem Versuch, ein neues Lager in der Region zu bauen. Einige Jahre zuvor hatte es der Discounter im nahen Gilching probiert. Jetzt hat Aldi die Suche aufgegeben: Man habe „entsprechende bauliche Maßnahmen im bestehenden Lager getroffen, um die Nutzfläche zu vergrößern“, teilte Aldi der WirtschaftsWoche mit.
Ähnlich erging es Hugo Boss: Der Modehersteller fand erst im dritten Anlauf einen neuen Standort für ein Warenlager. In Metzingen scheiterte der erste Versuch an einem Bürgerentscheid. Der damalige Bürgermeister Dieter Hauswirth (CDU) trat zurück, weil er sich für den Modekonzern eingesetzt hatte. In Nürtingen zog eine Bürgerinitiative bis vor den Verwaltungsgerichtshof, um eine Ansiedlung in der Stadt zu verhindern.
Die Kommunen sehen die Schuld bei den Unternehmen selbst: „Oft kommen Logistikplaner zu spät zu den Kommunen und erwarten dann die billige Kiste auf der grünen Wiese“, sagt Hilmar von Lojewski, Beigeordneter für Stadtentwicklung beim Deutschen Städtetag. „Die Logistiker sind nach unserer Analyse die maßgeblichen Flächenräuber in Deutschland.“ Statt der grünen Wiese sollten die Entwickler lieber alte Industriegelände nutzen.
Doch im hessischen Groß-Gerau wehrten sich die Anwohner sogar, als Rewe dort vor fünf Jahren auf dem Gelände einer alten Zuckerfabrik ein Lager bauen wollte. Schließlich errichtete die Supermarktkette ein kleineres Lager im Nachbarort Riedstadt.
Planer und Auftraggeber versäumten es, die Bürger früh genug einzubinden, sagt Städtetag-Vertreter Lojewski. Bauherren sollten sich mehr um „Planungsqualität und Flächensparen kümmern“, um Bürger und Politiker von den Investitionen zu überzeugen.
Dass das möglich ist, hat der Immobilienentwickler Nextparx auf dem Zuckerfabrikgelände in Groß-Gerau bewiesen. Fünf Jahre nachdem Rewe mit den Plänen für das 27 Hektar große Areal scheiterte, beginnen dort im Frühjahr 2016 die Bauarbeiten für einen Logistikpark. Allerdings soll der nur rund 20 Hektar beanspruchen. Auf drei Hektar errichtet Nextparx ein Wohngebiet, auf vier Hektar entsteht ein Park und damit auch ein Lebensraum für die seltene Mauereidechse, die sonst ihr Zuhause verlieren könnte.
Dreieinhalb Jahre musste der Entwickler verhandeln, bevor der Stadtrat den Plänen zustimmte, berichtet Oliver Schmitt, geschäftsführender Gesellschafter von Nextparx. Der Mittelständler aus dem hessischen Dreieich macht mit seinen zehn Mitarbeitern je nach Projektlage etwa zehn Millionen Euro Umsatz und hat sich auf Logistikprojekte spezialisiert. Etwa 110 Millionen Euro investierte Nextparx in Groß-Gerau. „Wir haben versucht, die Bürger von Anfang an einzubeziehen und sie auch zu unseren bereits gebauten Standorten zu bringen“, sagt Schmitt.
Oft scheitern diese komplizierten Projekte auf Industriebrachen jedoch an den Investoren, an die Entwickler ihre Logistikhallen meist weiterverkaufen. „Die Investoren wollen günstige und standardisierte Hallen, für die Erfahrungswerte existieren und für die sie vermeintlich leichter Nachmieter finden können,“ sagt Veres-Homm. Also genau die Art Halle, die kaum eine Kommune will.