Am Dienstag kommt für eine Viertelmillion Bausparkassen-Kunden die Stunde der Wahrheit. Dann entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) darüber, ob Bauparkassen Kunden rauswerfen dürfen, die die Annahme eines vor zehn Jahren angebotenen Darlehens immer noch verweigern und stattdessen lieber weitersparen. „Wenn das Urteil zu Gunsten der Bausparkunden ausgeht, hat das eine große Breitenwirkung“, sagt Wolf Freiherr von Buttlar, dessen Kanzlei viele Betroffene vertritt.
Vor drei Jahren begannen die Kassen damit, seit zehn Jahren und länger zuteilungsreife Bausparverträge zu kündigen. Als die Verträge abgeschlossen wurden, war eine Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) noch nicht absehbar. Manche Verträge sind älter als die EZB. Für die auf diese Verträge eingezahlten Guthaben müssen die Kassen hohe Zinsen zahlen – überwiegend mehr als sie selbst einnehmen, wenn sie heute Darlehen vergeben. Das torpediert ihr Geschäftsmodell.
Zuteilungsreif heißt, dass der Kunde Anspruch auf ein Bauspardarlehen hat. Dazu muss er die Mindestsparsumme und eine Bewertungsziffer erreicht haben. Die Mindestsparsumme wird bei Vertragsbeginn festgelegt und beträgt typischerweise 40 oder 50 Prozent. Die für die Zuteilung nötige Mindestbewertungsziffer variiert ein wenig, weil sie von den Sparleistungen aller Kunden abhängt.
Für den Einzelnen gilt: Je schneller er spart, desto eher erreicht er die Mindestbewertungsziffer. Bei den klassischen Verträgen mit 40 Prozent Mindestsparsumme wurden die monatlichen Sparraten in etwa so gewählt, dass die Verträge nach ungefähr sieben Jahren zuteilungsreif waren.
Wie viele Kunden die Kassen mit ihrer Kündigungswelle bereits rausgedrängt haben und wie hoch die daraufhin ausgezahlten Sparsummen sind, sagen die Bausparkassen nicht. Doch wenn die in der Branche kursierende Zahl von 260.000 Verträgen stimmt, dürfte es sich um einen dreistelligen Millionenbetrag handeln. Denn bereits das sehr niedrig gegriffene durchschnittliche Guthaben der gekündigten Verträge von 5000 Euro ergäbe branchenweit 130 Millionen Euro Spargelder. Wie viel auch immer: Anhand der alten Tarife lässt sich ablesen, dass Zinsen zwischen zwei und fünf Prozent auf die Guthaben der Altverträge zu zahlen sind.
Phasen der Bauzinsentwicklung von 1980 bis heute
Im Juni 1980 lagen die Zinsen für Immobilienkredite bei rund 9,5 Prozent, so dass eine Finanzierung über 200.000 Euro mit zehnjähriger Zinsbindung, einem Beleihungsauslauf von 60 Prozent und einer Tilgung von einem Prozent monatlich umgerechnet 1.750 Euro kostete. Die Belastung für ein solches Darlehen summierte sich damit binnen zehn Jahren auf rund 178.000 Euro.
Quelle: Interhyp Gruppe
Die Zeit der Wiedervereinigung war aus Kreditsicht alles andere als ein preiswertes Vergnügen. Mitte der Achtziger waren die Zinsen zwar auf rund 7,5 Prozent gefallen, Anfang der Neunziger verlangten die Banken für ein Immobiliendarlehen jedoch wieder neun Prozent und mehr. Pro Monat mussten Darlehensnehmer dementsprechend erneut rund 1.700 Euro für den besagten 200.000-Euro-Kredit aufbringen.
Zur Jahrtausendwende sind die Zinsen für Immobilienkredite und Kredite überhaupt Achterbahn gefahren. Die Internetblase hatte die Konditionen binnen kurzer Zeit extrem steigen lassen. Konnten Kreditnehmer Ende der neunziger Jahre bereits zu vier Prozent finanzieren, hatte der Aktienboom die Kreditzinsen Anfang 2000 wieder auf über sechs Prozent getrieben. Im Vergleich zu den vorangegangen Jahren waren Darlehen dennoch billig wie nie zuvor. Unser 200.000-Euro-Kredit konnte im Juni 2000 daher bereits mit einer Monatsrate von rund 1.200 Euro bedient werden. Die Kosten dafür lagen auf zehn Jahre gerechnet bei 113.000 Euro.
Die Bankenkrise und die weltweite Erlahmung der Konjunktur haben die Konditionen weiter sinken lassen. Die Zinsen bewegten sich im Juni 2010 bei rund 3,6 Prozent. Im Vergleich zu 2000 halbierte sich die Monatsrate für den beispielhaften 200.000-Euro-Kredit damit fast auf rund 770 Euro. Die Kosten über zehn Jahre hinweg beliefen sich 2010 auf nur noch rund 68.000 Euro.
Während Sparer unter der aktuellen Niedrigzinsphase leiden, dürfen sich Immobilienkäufer über beste Finanzierungsbedingungen freuen. Die Zinsen für das bekannte Immobiliendarlehen über 200.000 Euro mit der Laufzeit von 10 Jahren und einer 60-prozentigen Beleihung liegen im Juni 2014 bei rund 2,2 Prozent. Die monatliche Kreditrate kostet derzeit mit 533 Euro weniger als ein Drittel der Rate vom Juni 1980 – als rund 1.750 Euro für dasselbe Darlehen fällig waren. Und während Kreditnehmer in den achtziger Jahren allein fast die komplette Kreditsumme als Kosten kalkulieren mussten, müssen Häuslebauer heute nur noch knapp 42.000 Euro binnen zehn Jahren zahlen.
Gericht kann Chance auf hohe Zinsen erhalten
Stellt sich der BGH auf die Seite der Bausparer, können die Kassen in Zukunft Verträge, die zehn Jahre zuteilungsreif sind, nicht mehr kündigen. Nicht nur das: Diejenigen, denen bereits aus diesem Grund gekündigt wurde, können die Fortsetzung ihrer Verträge verlangen. Dies gelte, wenn der Kündigung widersprochen wurde, erläutert von Buttlar.
Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Stuttgart ist vorsichtig. Er befürchtet, dass auch das von Gerichten geklärt werden muss. Eine Klage gegen die auszahlende Kasse sei jedenfalls nicht Voraussetzung, um sein Geld zurückzufordern, glaubt von Buttlar. In der Praxis zahlten die Kassen vielfach die Guthaben aus zuteilungsreifen Verträgen trotz Widerspruchs per Scheck oder Überweisung zurück.
Guthaben als Darlehen an die Bausparkasse
Ein zuteilungsreifer Vertrag war früher der Startschuss für den Bau eines Eigenheims. Früher waren auch die Zinsen auf Bauspardarlehen geringer als die auf Baugeld von der Bank. Das ist heute umgekehrt. Dafür sind die Zinsen auf Bausparguthaben heute wesentlich höher als auf andere Spareinlagen. Dies ist eine Folge der von der EZB eingeleiteten Niedrigzinsphase, auf die die Bausparkassen keinen Einfluss haben.
So funktioniert Bausparen
Bausparer sammeln zunächst ihr Guthaben an. Bei Verträgen, die für eine spätere Finanzierung gedacht sind, ist die Verzinsung nicht so wichtig und auch häufig schlechter als bei den besten Banksparplänen. Die Sparphase läuft mindestens so lange, bis der Kunde das Mindestguthaben erreicht hat.
Wenn der Bausparer das vereinbarte Mindestguthaben angespart, die abhängige Bewertungszahl erreicht und die Mindestwartezeiten eingehalten hat, ist der Vertrag zuteilungsreif. Dann kann der Kunde die Bausparsumme (Sparguthaben plus Bauspardarlehen) für die Finanzierung nutzen.
Der Kunde zahlt für den Kredit einen bei Vertragsschluss bereits vereinbarten Zinssatz. Die monatliche Rückzahlung des Darlehens wird auch Tilgungsrate genannt und fast immer in Promille der Bausparsumme aus gewiesen. Es ist schon bei Vertragsabschluss daher auf eine angemessene Ratenhöhe zu achten.
Allerdings haben sie mit ihren in den 1990er-Jahren eingeführten so genannten Renditeverträgen die hohen Differenzen zu den aktuellen Sparzinsen selbst verursacht. Mit diesen Verträgen belohnten sie den Darlehensverzicht. Zwei bis drei Prozent Guthabenzins und bei Darlehensverzicht zusätzlich ein Bonuszins in ähnlicher Höhe rückwirkend plus Erlass der Abschlussgebühr waren typische Konditionen dieser Renditeverträge. In der aktuellen Niedrigzinsphase ergibt das für Sparer traumhaft hohe Guthabenzinsen – nahezu risikolos dank Einlagensicherung. Umgekehrt sind Bauspardarlehen viel teuer als Baugeld von der Bank und deshalb kaum gefragt.
Bei ihren Kündigungen berufen sich die Kassen auf Paragraf 489 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Darin ist geregelt, dass ein Kreditvertrag nach zehn Jahren gekündigt werden darf. Die Bausparkassen legen den Paragraphen so aus, dass die Bausparguthaben Darlehen sind, die sie von ihren Kunden erhalten. Wenn der Kunde ein Bauspardarlehen in Anspruch nimmt, dann zahlt die Kasse nicht nur das Darlehen, sondern auch das Guthaben aus. Verweigert der Kunde das Bauspardarlehen, so wollen doch die Bausparkassen wenigstens den Kredit, den sie aus ihrer Sicht bei Kunden aufgenommen haben, zurückzahlen.
Eine Sicht, der Verbraucherschützer widersprechen. Für sie kann ein Guthaben nicht zum Darlehen werden. Einig ist man sich – wenn von Seiten der Verbraucherzentralen auch zähneknirschend – dass die Kassen Verträge kündigen können, sofern das Guthaben des Kunden die volle Bausparsumme erreicht hat. Denn: Wenn die Differenz zwischen Guthaben und Bausparsumme null ist, kann kein Darlehen ausgezahlt werden. Auch ohne Zahlungen wächst das Guthaben durch die jährlichen Zinsgutschriften. Manche Bausparer unterbrechen ihre Zahlungen, damit das Guthaben möglichst spät die Bausparsumme erreicht. Die Taktik geht nicht immer auf. Einige Kassen drohen mit Kündigung, wenn die vertraglich vereinbarten Regelsparraten nicht gezahlt werden.
Verträge aus dem vorigen Jahrhundert
In den konkreten beiden Fällen entscheidet der BGH über Streitigkeiten der Bausparkasse Wüstenrot (Az.: XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16) mit ihren Kunden. Die Sparer hatten vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart Recht bekommen. Im Fall XI ZR 272/16 hatte sich eine Witwe gegen die Auszahlung von zwei 1999 abgeschlossenen Verträgen mit einer Gesamtbausparsumme von rund 102.000 Euro gewehrt. Die Verträge waren im Juli 2001 zuteilungsreif geworden und wurden mit 2,5 Prozent verzinst. Ende 2014 hatte sich in Summe ein Guthaben von fast 56.000 Euro angesammelt. Einen Monat später kündigte Wüstenrot unter Berufung auf Paragraph 489 BGB mit der gesetzlich vorgeschriebenen Kündigungsfrist von sechs Monaten.
Teure Fallen in der Baufinanzierung
Wenn eine Bank Top-Konditionen anbietet, stürzen sich die Kunden geradezu auf das Angebot. Vor allem Kreditvermittler leiten in einem solchen Falle die Kunden scharenweise an Banken mit Niedrigzins-Offerten weiter. Manche Banken können diesen Ansturm nicht bewältigen. In Einzelfällen können die Bearbeitungszeiten dann vier bis acht Wochen dauern. Branchenkenner berichten, dass sich einige Banken dann angesichts der hohen Antragszahl Kunden mit guten Risiken herauspicken und einen Rest pauschal ablehnen. Kunden, die schon kurz vor Baubeginn stehen oder Kaufpreiszahlung schon ansteht, sind dann gezwungen, auf die Schnelle eine andere Finanzierung zu finden oder einen höheren Zinssatz zu akzeptieren. Bei verspäteter Zahlung werden für den Käufer oder Bauherren Vertragsstrafen fällig.
Viele Banken bieten bei der Finanzierung neben dem Kredit einen Bausparvertrag an, vor allem Sparkassen und Volksbanken neigen dazu. Entweder es wird der Bausparvertrag gleich als Tilgungsersatz eingearbeitet, zur späteren Zinssicherung separat abgeschlossen oder für eine spätere Renovierung vorgesehen. Während die Vorsorge für eine Renovierungsvorsorge bis zu einem Volumen von 20.000 Euro noch akzeptabel ist, haben die anderen Varianten Nachteile. Die Finanzberatung FMH berechnete den Grenzzins, ab wann die Finanzierung mit Bausparverträgen lohnt. Erst wenn der Bankzins beim Anschlussdarlehen bei mehr als 7,5 Prozent, im Einzelfall sogar bei mehr als 11,5 Prozent liege, würde sich das Bausparmodell lohnen. Einen derartigen Zinsanstieg erwarten aber nur Pessimisten.
Fast jeder Bauherr denkt, dass sein Bankberater über seine Finanzierung entscheiden könnte. Doch heutzutage werden Kredite nicht mehr in der Filiale abgewickelt, sondern zentral bearbeitet. Wenn sich der Banker mit seiner Zusage zu weit aus dem Fenster gelehnt hat, hat der Kunde keine Verhandlungsbasis, weil sich der Berater auf die Entscheidung der Kreditabteilung rausredet und er selber keine Befugnis hat, den Kredit doch zu vergeben. Kulanz und gute Kundenbeziehungen nützen in solchen Fällen in der Regel nichts.
Ebenfalls unangenehm kann es werden, wenn der Zahlungstermin ansteht und die Kreditvergabe plötzlich mit Zinsaufschlägen versehen wird, von denen bei der Antragstellung nicht die Rede war. Aus Zeitgründen wird dann oft auf ein Angebot bei einer anderen Bank verzichtet. Unfair ist es auch, wenn die Kreditzusage an die Besparung eines Bausparvertrages gekoppelt wird. So maximiert der Banker Ertrag und Provision. Kunden sollten solche Offerten ablehnen und zu einem anderen Institut wechseln.
Viele Baugeld-Vermittler setzen ihre Kunden unter Druck und verlangen beispielsweise die Annahme eines Angebots binnen einer kurzen Frist. Andernfalls würde die Offerte wieder zurückgenommen. Ein reiner Vertriebstrick, wie etwa Max Herbst von der Finanzberatung FMH meint. Denn das Angebot des Vermittlers ist sowohl für die Bank wie auch für die Kunden immer unverbindlich. Erst wenn die Bank ihre Offerte schickt, gibt es ein konkretes Angebot. Da die Annahme des Vermittlerangebotes nicht rechtsverbindlich ist, ist auch eine Unterschrift nicht tragisch. Man sollte sich durch derartiges Vermittlerverhalten nicht abschrecken lassen und getrost weitere Angebote einholen.
Viele Hausbanken präsentieren ihren Kunden zunächst ein Angebot zu einem durchschnittlichen Zins. Der Banker ist auch gar nicht traurig, wenn sich der Bauherr bei Vermittlern und Direktbanken ein besseres Angebot einholen wird. Auf Anraten seines Beraters solle er aber vor einem Abschluss dort das Angebot ihm nochmals vorlegen, denn es sei nicht ausgeschlossen, dass er nochmals nachbessern könne. Ein solches Vorgehen zeugt nicht gerade von einer guten Geschäftsbeziehung. So handeln vor allem Banken, die ihren Kunden auch in Zukunft tendenziell immer zuerst zweitklassige Produkte anbieten. In einem solchen Fall sollten die Kunden das Institut lieber wechseln und bei einer anderen Bank nachverhandeln. Prinzipiell gilt: Kunden sollten immer das bestmögliche Angebot erwarten dürfen.
Im Fall mit Aktenzeichen XI ZR 185/16 geht es um einen bereits 1978 abgeschlossenen Vertrag über rund 20.500 Euro, für den drei Prozent Zinsen vereinbart sind. Der Vertrag war bereits 1993 zuteilungsreif geworden und wurde von Wüstenrot gleichfalls im Januar 2015 gekündigt, obwohl die Bausparsumme noch nicht erreicht war.
Wenn es allein nach dem Verhältnis der gewonnen und verlorenen vorinstanzlichen Urteilen ginge, hätten die Bausparer keine Chance. Auf ihre Seite stellten sich außer dem OLG Stuttgart bisher nur die Oberlandesgerichte in Karlsruhe und Bamberg mit je einem Urteil. Sieben andere Oberlandesgerichte mit 75 Urteilen zugunsten der Kassen stützten die Ansicht der Unternehmen. Dazu kommt eine Vielzahl von Urteilen von Gerichten niedriger Instanzen gegen die Verbraucher. Mit einer Prognose, wie das Urteil ausgeht, hält sich der Verband der Privaten Bausparkassen zurück.
Wissenswertes zur Kündigungswelle bei Bausparkassen (05.2015)
Dieser Tage bekommen erneut Tausende Bausparer Post von ihrer Bausparkasse. Derzeit sind das etwa Kunden der Bausparkasse Wüstenrot. Nach deren Angaben handelt es sich um ein Prozent der Kunden - das sind immerhin rund 30.000 Verträge.
Auch die Landesbausparkasse (LBS) Baden-Württemberg wies Ende des Jahres 22.000 Kunden schriftlich darauf hin, dass sie kündigen will, wie ein Sprecher bestätigt. Ihm zufolge handelt es sich dabei um Verträge, die seit zehn oder mehr Jahren zuteilungsreif sind - für die also längst ein Darlehen in Anspruch genommen werden kann. Die LBS Bayern und Nordrhein-Westfalen handelten ähnlich.
Die Bausparkasse BHW hatte kürzlich ebenfalls 25.000 Verträge gekündigt, bei denen Kunden seit mehr als zehn Jahren kein Darlehen in Anspruch genommen hatten.
Die kursierenden Zahlen zu den betroffenen Bausparern schwanken gehörig: von mehr als 40.000 gekündigten zuteilungsreifen Verträgen seit 2013 spricht etwa das Fachmedium „Der Versicherungsbote“. Nach Zählung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sind es bislang mehr als 120.000 Kündigungen und Kündigungsandrohungen, laut Finanzberatermagazin "Procontra" erhielten mehr als 150.000 Bausparer ein Kündigungsschreiben oder die Aufforderung, sich bei ihrer Bausparkasse zu melden. Bei den Bausparkassen, von deren Kündigungen die Öffentlichkeit erfahren hat, waren bisher zwischen 0,2 und 1,0 Prozent der Kunden betroffen. Aber es ist davon auszugehen, dass künftig noch mehr Kunden von den Bausparkassen Post bekommen werden.
Alte Bausparverträge mit einer im Vergleich zu heute hohen Verzinsung sind vielen Anbietern inzwischen schlicht zu kostspielig. In den Neunzigerjahren bekamen Bausparer auf ihr angespartes Guthaben durchaus vier Prozent Zinsen und mehr. Bei neuen Verträgen liegen die Zinsen heute im Durchschnitt nur noch um 0,25 Prozent.
Das Problem der Bausparkassen: Für das angelegte Kapital bekommen die Anbieter selbst kaum Zinsen, da sie zum Schutz der Sparguthaben nur in besonders risikoarme Wertpapiere investieren dürfen. Die Ausgaben für die Verzinsung alter Verträge sind somit höher als Einnahmen am Kapitalmarkt.
Betroffen sind vor allem Kunden, die das vorgesehene Darlehen nicht nutzen oder die vereinbarte Sparsumme schon überschritten haben und nun das Geld in ihrem Bausparvertrag stehen lassen, um von den hohen Guthabenzinsen zu profitieren. Als hierzulande im Zuge der Finanzkrise die Zinsen – insbesondere für Bauspardarlehen – deutlich sanken, lockten die Bausparkassen sogar vermehrt Sparer, die gar nicht zwingend ein günstiges Baudarlehen wollten, sondern nur eine gut verzinste und sichere Sparmöglichkeit suchten. Vereinzelt warben die Bausparkassen sogar mit einer Rückerstattung der Abschlussgebühr von einem Prozent, wenn das Baudarlehen nicht abgerufen wird.
Die Experten sind sich in dieser Frage uneins. Gemeinhin gelten die Kündigungen als rechtlich sauber, wenn die gesamte Bausparsumme bereits angespart wurde, aber nicht zum Immobilienkauf genutzt wird. Sinn und Zweck des Bausparens ist gemeinhin die Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens nach der Sparphase. Ist die gesamte Bausparsumme jedoch schon angespart, ist das Darlehen obsolet, die Bausparkasse kann das beabsichtigte Kreditgeschäft nicht machen. Die meisten Kommentatoren gehen daher davon aus, dass eine Kündigung durch die Bausparkasse in solchen Fällen rechtens ist. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu fehlt bislang.
Zumindest die Bausparkasse Schwäbisch Hall erklärte, nur zu kündigen, wenn das angesparte Guthaben die Bausparsumme überschritten habe. Andere Bausparkassen lassen diese Fairness bislang vermissen. Die Kündigung von Verträgen, die bereits seit langem zuteilungsreif sind, aber bei denen die Kunden auf Inanspruchnahme des Baudarlehens verzichten, ist allerdings umstritten. Zuteilungsreif ist ein Bausparvertrag, wenn das Sparguthaben 40 bis 50 Prozent der vereinbarten Bausparsumme erreicht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden (9 U 151/11), dass die Kündigung von Verträgen rechtswidrig ist, wenn der Bausparer das Darlehen in Anspruch nehmen könnte (zuteilungsreifer Vertrag), die Bausparsumme aber noch nicht zu 100 Prozent erreicht ist. Letzten Endes ist jedoch der Einzelfall entscheidend.
Die Bausparkassen berufen sich auf Paragraf 489 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Demnach sind alle Darlehensverträge grundsätzlich nach zehn Jahren durch den Darlehensnehmer kündbar. Die Bausparkasse argumentieren, sie seien Darlehensnehmer, weil sie für die Überlassung des Sparguthabens dem Sparer Zinsen zahlen. Erst wenn die Sparer den Immobilienkredit abrufen, wechseln die Vertragsparteien die Rollen. Ist der Vertrag seit zehn Jahren zuteilungsreif, ohne dass der Bausparer das Darlehen abruft, sei die Kündigung rechtens, argumentiert die Branche. Selbst die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – die zuständige Aufsichtsbehörde – hat die Kündigungswelle der Bausparkassen verteidigt. "Von Abzocke kann keine Rede sein", sagte BaFin-Chefin Elke König Anfang Januar gegenüber der Tageszeitung "Bild".
Wessen Sparguthaben noch nicht die Bausparsumme erreicht hat, kann sich auf das Stuttgarter Urteil berufen und verlangen, dass der Vertrag weiterläuft, bis die volle Summe angespart sei. Noch ein Argument: Die hohen Guthabenzinsen dienten in der Vergangenheit Bausparkassen durchaus als Verkaufsargument. Wer Werbung oder Beratung in dieser Richtung in irgendeiner Form belegen kann, verbessert seine Chancen. Verbraucherschützer sehen zumindest eine rechtliche Grauzone, wenn die Bausparsumme noch nicht überschritten ist. Im Zweifel müssen Gerichte entscheiden, ob die Kündigungen rechtens sind.
„Bausparen an sich ist eine prima Idee“, heißt es bei der Stiftung Warentest. Wer in sieben oder zehn Jahren bauen wolle, sichere sich schon heute einen Kredit mit niedrigen Zinsen - auch wenn er für seine Sparraten kaum Zinsen von der Bausparkasse bekommt. Beim Sparkonto gibt es auch nicht mehr. Zum Teil schließen auch heutige Bauherren Bausparverträge ab, um mit dem Bauspardarlehen in zehn Jahren einen Kredit abzulösen.
Das hängt sehr stark von der Beratung ab, wie ein Test aller 20 Bausparkassen in Deutschland durch Stiftung Warentest ergab. Manche Verträge sind zu schmal bemessen, viele zu üppig, kritisieren Tester. Viele Berater setzten Bausparsumme, Guthaben oder Darlehensraten zu hoch an. Gleichzeitig enthielten sie ihren Kunden Informationen vor, um Angebotsvergleiche zu erschweren.
Der falsche Vertrag kann mehrere tausend Euro Mehrkosten bedeuten, wenn dem Kunden nicht sogar die Finanzierung um die Ohren fliegt. Das zu viel bezahlte Geld bleibt der Bausparkasse - hier sieht die Stiftung Warentest einen der Gründe für die Missstände.
Sie wollen der Kritik auf den Grund gehen. In einzelnen Beratungen seien offenbar Fehler gemacht worden, räumt der Verband der privaten Bausparkassen ein. Mit dem Gesamtbild könne man nicht zufrieden sein, betonen auch die Landesbausparkassen (LBS). Sie verweisen auf eigene Testkäufe, die regelmäßig bessere Ergebnisse zutage förderten.
„Wir sind nach wie vor überzeugt von der Rechtmäßigkeit dieser Kündigungen“, sagt Andreas J. Zehnder, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Privaten Bausparkassen. Er hofft, dass der BGH die Rechtsauffassung der weit überwiegenden Zahl der Vorinstanzen bestätigt. und gibt zu: „Würde es anders kommen, würde sich der Ertragsdruck verschärfen. Der Sparkurs müsste fortgesetzt werden.“ Die Nullzinspolitik der EZB hat laut Verband zwischen 2011 und 2015 den Zinsüberschuss – die wichtigste Ertragskomponente der Branche – für alle um 16 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro verringert. Laut Bundesbank Monatsbericht vom September 2016 befanden sich die operativen Erträge 2015 mit 2,2 Milliarden Euro „auf neuem historischen Tiefstand“.
Andererseits müssen die Bausparer wohl auch nicht fürchten, dass ihre Kassen unter der Last des Urteils zusammenbrechen. Denn der Verband ist stolz darauf, dass die Bausparkassen die Stresstests bestanden haben. Dabei wurde auch überprüft, ob sie 20 Jahre Niedrigzinsen durchhalten würden. Rüdiger Kamp, Chef der zum Sparkassenlager zählenden LBS Nord, demonstrierte vor wenigen Tagen Selbstbewusstsein: „Das Geschäftsmodell Bausparen hat sich trotz Nullzinspolitik robust gezeigt.“