Mietendeckel Sieg für die Marktfreiheit – Verfassungsgericht beendet Berliner Sonderweg

Dass Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt. Quelle: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel für ungültig erklärt: Das Gesetz sei nichtig. Was bedeutet das nun für Mieter und Vermieter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Es war ein lang erwartetes Grundsatzurteil. Nun ist es da. Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt. Was bedeutet das? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie sind die Reaktionen?
Die Erleichterung bei der Immobilienwirtschaft ist deutlich spürbar. „Wir begrüßen das Urteil und sind sehr erleichtert, dass das oberste Verfassungsgericht unsere Rechtsauffassung teilt und den sogenannten Mietendeckel in Berlin für verfassungswidrig erklärt hat. Das ist ein guter Tag für den Erhalt der Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW.

Die Aktie des Wohnungskonzerns Deutsche Wohnen, mit einem besonders großen Berlin-Anteil im Portfolio, reagierte am Donnerstagvormittag mit gut vier Prozent Kurssprung auf die Nachricht aus Karlsruhe. Sebastian Scheel, Berliner Bausenator von der Partei Die Linke, zeigte sich hingegen geknickt. Man habe „Neuland betreten und mit einer anderen Entscheidung gerechnet“. 

Klar ist schon jetzt, dass der Berliner Immobilienmarkt politisch weiter umkämpft bleibt. So strebt eine Initiative weiterhin einen Volksentscheid zur Enteignung von Wohnungskonzernen an. Dieser könnte zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden, teilte die Initiative mit. Das Aus des Mietendeckels sehe man als Ansporn: „Nur die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnraum bieten die Perspektive für ein Berlin mit bezahlbaren Mieten – jetzt erst recht,“ teilte Jenny Stupka, Sprecherin der Initiative, dazu mit.  

Was folgt für Mieter?
Die Folgen für Mieter sind groß: Weil das Bundesverfassungsgericht das Berliner Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen für von Anfang an nichtig erklärt hat (2 BvF 1/20 u.a.), müssen sie nun unter Umständen die Differenz zwischen der gedeckelten Miete und der Vertragsmiete seit Inkrafttreten des Gesetzes im Februar 2020 nachzahlen. Viele Vermieter hatten beim Neueinzug direkt Schattenmieten aufgerufen, die fällig werden sollten, sobald der Mietendeckel rechtlich gekippt wird. Allerdings kündigte zum Beispiel der Wohnungskonzern Vonovia bereits an, auf Nachzahlungen der Mietdifferenz verzichten zu wollen. In diesem Fall geht es um rund zehn Millionen Euro.

„Auch zwischenzeitlich erfolgte Mieterhöhungen könnten nun wirksam sein“, sagt Sebastian Orthmann, Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Er weist allerdings auf ein praktisches Problem hin. Berlin verfüge aktuell vermutlich nicht mehr über einen qualifizierten Mietspiegel, der die aktuelle Marktmiete abbildet. Denn in einem solchen Mietspiegel dürfen regulatorisch verzerrte Mieten nicht einfließen. Diese ortsübliche Miete ist indes ein wichtiger Maßstab: Sowohl für Vermieter, die ihre Mieten in bestehenden Verträgen erhöhen wollen und maximal bis zu diesem Niveau gehen dürfen. Als auch für Vermieter, die von neu einziehenden Mietern gemäß der bundesweit geltenden Mietpreisbremse maximal zehn Prozent mehr als die Vergleichsmiete nehmen dürfen, sofern es sich nicht um einen Neubau handelt oder schon die Vormiete oberhalb dieses Niveaus lag. Damit könnten sich nach dem Aus für den Mietendeckel erneut rechtliche Unsicherheiten ergeben.

von Niklas Hoyer, Theresa Rauffmann

Wie argumentieren die Richter?
Kritiker waren früh davon überzeugt, dass der Berliner Mietendeckel rechtlich nicht haltbar ist. Denn Mietrecht ist eigentlich Bundessache. Doch den rot-rot-grünen Berliner Senat hielt das nicht davon ab, trotzdem einzugreifen. Er erklärte schlicht die Annahme einer aus seiner Sicht überhöhten Miete zur Ordnungswidrigkeit. Als „Taschenspielertrick“ hatte Rainer Stockmann, auf Immobilienrecht spezialisierter Anwalt der Kanzlei GSK Stockmann, diese Strategie bezeichnet. Er sah im Mietendeckel einen „Angriff gegen die bürgerliche Mittelschicht“

Genau diese rechtlichen Hürden fielen dem Berliner Senat nun auf die Füße. Laut Verfassungsgericht sind die Regelungen dem zivilrechtlichen Mietrecht zuzuordnen und damit Bundesrecht. Eine Gesetzgebungskompetenz der Länder ist damit gesperrt.

Welche Regeln wurden gekippt?
Der Mietendeckel betraf immerhin rund 1,5 von 2,0 Millionen Berliner Mietwohnungen, die vor 2014 bezugsfertig waren. Die Details waren komplex: Bei bestehenden Verträgen wurde die Miete auf dem Niveau vom Juni 2019 eingefroren. Für Neuvertragsmieten gab es eine Obergrenze, gestaffelt nach Baujahr und Ausstattung. Ein gut ausgestatteter Stuckaltbau aus der Zeit vor 1918 beispielsweise durfte selbst in guter Lage bei Neuvermietung nicht mehr als monatlich 7,19 Euro pro Quadratmeter kosten. Noch härter griff die zweite Stufe des Mietendeckels ein, im November 2020: Lag die Miete mehr als 20 Prozent über der Obergrenze, musste der Vermieter sie senken. 



Was folgt für den Immobilienmarkt?
Diese Regeln sind nun hinfällig. Damit bleibt Deutschland auch ein Flickenteppich von unterschiedlichen regionalen Regelungen erspart. Denn schon jetzt gibt es zahlreiche andere Mietregeln, etwa für Mieterhöhungen (in der Regel maximal 20 Prozent Erhöhung binnen drei Jahren zulässig, teils nur 15 Prozent - bis maximal zur ortsüblichen Miete) oder die aufgerufene Miete bei neu einziehenden Mieter (mit der sogenannten Mietpreisbremse). Der Mietendeckel war nur so eine Waffe in der Kampfzone am Immobilienmarkt.

Allerdings war es der stärkste staatliche Eingriff. Berlins Bausenator Scheel sieht ihn auch nachwievor als „geeignetes Instrument“ an. Schließlich sei der soziale Friede durch steigende Mieten und die damit verbundene Verdrängung in Gefahr. Politiker dürften dem nicht tatenlos zusehen.

In der Praxis fiel die Bilanz des Mietendeckels bislang allerdings verheerend aus. So waren die gedeckelten Angebotsmieten in Berlin laut Immobilienscout24 seit Einführung zwar tatsächlich um 7,8 Prozent gesunken. Dafür aber brach das Angebot an Mietwohnungen ein. Bei Wohnungen, die unter den Mietendeckel fielen, binnen eines Jahres um 30 Prozent. Das Angebot an Mietwohnungen insgesamt sank innerhalb eines Jahres um 19 Prozent. In vielen anderen deutschen Metropolen hingegen stieg das Angebot im gleichen Zeitraum um 11 bis 66 Prozent; nur Hamburg verzeichnete einen minimalen Rückgang.

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So dürfte die Karlsruher Entscheidung am Ende auch vielen Mietern nützen. Denn sie können nun eher darauf hoffen, tatsächlich eine Mietwohnung in Berlin zu finden.

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