Auf der Stadtteilkarte des Berliner Mietervereins „Wem gehört Moabit?“ kleben viele gelbe Zettel mit Straßennamen und Hausnummern. Jeder steht für ein Mietshaus, dessen Bewohner befürchten, durch hohe Mieten aus ihrem Viertel gedrängt zu werden: Perleberger, Oldenburger, Krefelder, Stendaler, Lehrter Straße. „Wir wollen verhindern, dass Mieter mit kleinen und mittleren Einkommen aus Moabit vertrieben werden, und so die gemischte Sozialstruktur erhalten“, sagt Vereins-Vertreterin Susanne Torka. 2015 laufe bei vielen Mietverträgen in der Lehrter Straße die Sozialbindung aus. In den vergangenen Jahren hätten Investoren aus Luxemburg Wohnungen, die bis dahin in öffentlicher Hand waren, aufgekauft. Mieter müssten nach dem Wegfall der Sozialklauseln mit deutlichen Erhöhungen rechnen, so Torka – oder ausziehen. In Berlin gibt es mittlerweile Dienstleister wie Pro Soluta, die im Auftrag von Eigentümern, die sanieren wollen, Mieter überzeugen sollen, doch auszuziehen.
Der Immobilienboom fordert seinen Tribut. Wohnen wird teurer, vor allem für diejenigen, die jetzt eine neue Wohnung beziehen. „In Ballungszentren und Universitätsstädten, aber auch in deren Umlandgemeinden, rechnen wir damit, dass die Mietbelastung in diesem Jahr um etwa sieben bis in der Spitze zehn Prozent steigt – jedenfalls bei Neuverträgen“, sagt Lukas Siebenkotten, Direktor des Deutschen Mieterbunds.
Eigentümer, die in einen Markt mit steigenden Preisen hineingekauft haben, müssen bei Neuverträgen kräftig draufschlagen, um ihre Kosten hereinzuholen und noch Rendite zu erzielen (siehe Grafik unten). Nach Zahlen der Immobilienmarktforscher F+B aus Hamburg stiegen die Neumieten zuletzt doppelt so stark wie die Bestandsmieten.
Die Bundesregierung will die Mietpreisspirale stoppen. Künftig sollen die Bestands- und Neumieten binnen vier Jahren nur um maximal 15 Prozent steigen dürfen. Im März will die große Koalition einen Gesetzentwurf für die Mietpreisbremse vorlegen. Justizminister Heiko Maas fordert: „Auch in Großstädten muss das Wohnen bezahlbar bleiben. Wir wollen keine Gentrifizierung.“ Mit Gentrifizierung meint Maas, dass einkommensschwächere Mieter aus ihren Stadtvierteln gedrängt werden.
Wie die Mietpreisbremse wirkt
Wo die Preisbremse greift, entscheiden die Länder. Nordrhein-Westfalen hat gleich 59 Kommunen genannt. Mit dabei sind auch Bottrop, Wesel oder Leverkusen, deren Immobilienmärkte nicht gerade boomen. Ob die Mietpreisbremse erfolgreich sein wird, bleibt fraglich. „Wenn das Gesetz kommt, ist mit Torschluss-Preiserhöhungen durch Vermieter zu rechnen“, sagt Roland Maria Schäfer, Rechtsanwalt der Kanzlei GTW in Düsseldorf. In der Fläche ist eine Mietpreisbremse zudem überflüssig. In den vergangenen 15 Jahren stiegen die Mieten in Deutschland im Schnitt langsamer als die Verbraucherpreise (siehe Grafik oben). Nur in München zogen die Mieten mit plus 16 Prozent seit 2006 schneller an.
Schon heute greifen Kommunen ein. In Berlin, Hamburg und München dürfen Mieten über drei Jahre maximal um 15 Prozent steigen. Bundesweit liegt das Limit bei 20 Prozent über drei Jahre. Beide Obergrenzen gelten nur für bestehende Mietverträge – anders als bei der geplanten Mietpreisbremse, die auch bei einem Mieterwechsel greifen würde.
Schlechte Aussichten für langjährige Mieter
Kommt die Preisbremse, wird für Vermieter der Mieterwechsel weniger profitabel. Zudem haben sie weniger Anreiz, die Immobilie instand zu halten, weil sich Kosten nicht auf die Mieter umlegen lassen. Rücklagen für Instandhaltung müssen Vermieter aus der Kaltmiete erwirtschaften. Das Modernisieren von Wohnungen bliebe hingegen attraktiv, weil daraus resultierende Mieterhöhungen nicht von der Mietpreisbremse erfasst würden.
Wer als Mieter umziehen muss, dürfte profitieren – der Eigentümer kann bei der Neuvermietung weniger draufschlagen als früher. Schlechter sieht es für langjährige Mieter aus, die noch nicht die ortsübliche Miete zahlen: Ihnen drohen Erhöhungen, weil Vermieter damit rechnen, bei einer Neuvermietung nicht mehr so stark erhöhen zu können.
Mieterhöhungen mit dem Hinweis auf Mängel der Wohnung zu kontern ist problematisch. Erhöhung und Mietminderung lassen sich nicht automatisch verrechnen. Mieter müssen Mängel dem Eigentümer zunächst anzeigen. Damit sich die Miete mindern lässt, muss der Mangel gravierend sein: beispielsweise Schimmel und Feuchtigkeit in der Wohnung, zugige Fenster oder eine defekte Heizung.
Mieter sollten nicht eigenmächtig und ohne juristische Beratung die Miete mindern. Anderenfalls riskieren sie hohe Nachzahlungen und im schlimmsten Fall die fristlose Kündigung. Wie viel sich bei welchem Mangel mindern lässt, entscheiden die Gerichte. Mietervereine sammeln Urteile und stellen sie zu Mietminderungstabellen zusammen.
Der Berliner Mieterverein beispielsweise hat folgende Quoten gesammelt: 100 Prozent bei Schimmel, der die Gesundheit der Mieter gefährdet (Amtsgericht Charlottenburg, 203 C 607/06), 30 Prozent bei Rattenbefall (Berliner Kammergericht 8 U 38/09), 10 Prozent für Bordellbetrieb im Haus (Landgericht Berlin, 65 S 131/07).
Mietspiegel lässt Spielraum
Vermieter müssen sich über bestehende und neue Mietverträge refinanzieren. Bei einem Mieterwechsel können sie sich bisher weitgehend nach Angebot und Nachfrage richten. Im Bestand dürfen Vermieter nur bis zur ortsüblichen Miete erhöhen. Wie hoch das ortsübliche Niveau ist, lässt sich am Mietspiegel ablesen.
In den Mietspiegel gehen die Mieten ein, die sich in den vergangenen vier Jahren verändert haben. Das sind sowohl Mieten von bestehenden als auch von neuen Verträgen. Der aktuelle Berliner Mietspiegel besteht zu 60 Prozent aus Bestandsmieten und zu 40 Prozent aus Neumieten.
In der Regel wird der Mietspiegel alle zwei Jahre angepasst. Steigen die ortsüblichen Mieten, haben Vermieter wieder Luft nach oben. In Hamburg trat der neue Mietspiegel im November in Kraft: Im Schnitt verzeichnete er um 5,7 Prozent höhere Mieten. „Seit Anfang des Jahres laufen die Telefone unserer Rechtsberater heiß, und die Geschäftsstellen werden überlaufen, weil die Vermieter die ersten Bescheide über Mieterhöhungen verschickt haben“, sagt Siegmund Chychla, Geschäftsführer des Mietervereins Hamburg.
Mieterhöhungen durchsetzen
Ein Mietspiegel liefert die passende Miete nicht auf Knopfdruck, sondern gibt für einen Wohnungstyp in einer bestimmten Lage und mit einer bestimmten Ausstattung eine Spanne an. Im Mietspiegel von Hannover etwa liegt die Spanne für Wohnungen zwischen 65 und 85 Quadratmeter der Baujahre 1990 bis 2012 in guten Wohnlagen zwischen 6,87 und 9,56 Euro je Quadratmeter.
Für Wohnungen ohne Besonderheiten ist der Mittelwert innerhalb der Spanne die korrekte ortsübliche Miete. Volker Winands, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Eigentümerverbands Haus und Grund in Leverkusen, hält es für ratsam, nur dann an den obersten Rand der Mietpreisspanne zu gehen, wenn die Ausstattung der Wohnung dies auch hergebe.
Nicht alle Vermieter sind so vorsichtig. So versuchte der Wohnungskonzern LEG im vergangenen Jahr in der Herbeder Knappensiedlung in Witten die Mieten zu erhöhen. Einige Mieter lehnten ab und wurden von der LEG verklagt. „Die LEG hat den Oberwert von 5,86 Euro je Quadratmeter aus der Spanne des Mietspiegels als Maßstab genommen, obwohl die Wohnung nicht überdurchschnittlich gut ausgestattet ist“, sagt Anwältin Gertraud Cölsche aus Dortmund, die eine betroffene Mieterin vertritt.
Nach Abzügen für fehlenden Bodenbelag und ein Durchgangszimmer habe die LEG 5,00 Euro statt bisher 4,87 Euro je Quadratmeter verlangt, so Cölsche. Das Gericht habe dagegen 4,72 Euro als zulässige Miete ermittelt. „Da die 4,87 Euro in einem gültigen Mietvertrag festgeschrieben wurden, lässt die Miete sich aber nicht mehr nachträglich senken“, sagt Anwältin Cölsche. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Das Wohnungsunternehmen LEG war vor gut einem Jahr an die Börse gegangen und hatte Mieterhöhungen von im Schnitt zwei bis drei Prozent pro Jahr angekündigt.
Auf Stur gestellt
Solange Vermieter die richtigen Werte aus dem Mietspiegel nehmen, können sie eine Mieterhöhung durchsetzen. Joachim Weidmüller (Name von der Redaktion geändert), Ende 50, Vermieter aus Leverkusen, hatte es mit einem besonders schwierigen Fall zu tun. Sein Mieter bewohnt mit seiner Familie ein Haus mit 236 Quadratmeter Wohnfläche im Stadtteil Pattscheid. Im September 2013 schickte Weidmüller eine Mieterhöhung. Zum 1. Dezember sollte die Miete von 1.200 auf 1.440 Euro steigen.
Der Mieter lehnte dies ab. Er habe im Internet ein vergleichbares Haus in der Nachbarschaft für 1.200 Euro Miete pro Monat gesehen. Zwar sei die Wohnfläche etwas geringer, das Haus jedoch zehn Jahre jünger. Auf diese Diskussion wollte sich Weidmüller nicht einlassen und schaltete den Eigentümerverband Haus und Grund ein. Der Jurist des Verbands verwies den Mieter auf den Mietspiegel für Leverkusen, der eine ortsübliche Miete von 1.583 Euro auswies. Die Miete blieb mit 1.440 Euro um 143 Euro unter dem ortsüblichen Niveau. Ende Januar stimmte der Mieter der Erhöhung rückwirkend zu.
Zu niedrig und nicht marktwirtschaftlich?
„Gegen eine Mieterhöhung, die auf einem Mietspiegel beruht, der die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, kann sich der Mieter in der Regel nicht wehren“, sagt Rolf Janßen, Geschäftsführer des DMB Mieterschutzvereins Frankfurt. Nur wenn der Mieter nachweist, dass seine Wohnung auf der Grenze zwischen einer normalen und einer guten Lage oder an einer Durchgangsstraße liegt, hätte er vor Gericht eine Chance, die Mieterhöhung zu stoppen.
In Frankfurt erfüllt der Mietspiegel zwar die Vorgaben, ist aber dennoch umstritten. Die Mietervereine finden die Zuschläge für Innenstadtlagen zu hoch. „ Zuschläge von 1,94 oder 1,29 Euro je Quadratmeter gelten auch in Zonen mit einem erheblichen Anteil von Sozialwohnungen“, sagt Adrian Wegel, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in Frankfurt.
Flucht in den Index
In München kritisiert die Eigentümer-Lobby den Mietspiegel als generell zu niedrig und nicht marktwirtschaftlich. „Mit zu niedrigen Werten im Mietspiegel will die Politik ihr Versagen bei der Wohnungspolitik verschleiern“, sagt Rudolf Stürzer, Vorsitzender von Haus und Grund in München. Laut Mietspiegel liegt die Miete in der bayrischen Landeshauptstadt im Schnitt bei 10,13 Euro pro Quadratmeter. Tatsächlich seien es aber 13,20 Euro.
Viele Vermieter hätten sich in München daher vom Mietspiegel abgekoppelt, der zu wenig Spielraum für Mieterhöhungen lasse. „Zwei Drittel der neuen Mietverträge werden als Indexverträge abgeschlossen“, sagt Eigentümer-Vertreter Stürzer. Indexmieten sind an den Verbraucherpreisindex gebunden, die Miete wird regelmäßig mit der Inflationsrate erhöht. Vermieter dürfen die Kosten für eine Modernisierung jedoch nicht umlegen. Da der Verbraucherpreisindex amtlich ist, gibt es bei Indexmieten kaum Rechtsstreit um Mieterhöhungen.
Dämmung treibt Mieten
Vermieter, die ihre Mietshäuser energetisch sanieren, dürfen derzeit elf Prozent der Dämmkosten pro Jahr auf die Miete umlegen. „Im Koalitionsvertrag steht, dass die Umlage künftig auf zehn Prozent pro Jahr begrenzt werden soll“, sagt Franca Stegemann, auf Mietrecht spezialisierte Anwältin der Beratungsgesellschaft Ebner Stolz. Mieterhöhungen wegen Dämmung sind weder an Mietspiegel noch Mietpreisbremsen gebunden. Wenn Vermieter bei Formalien patzen, kann die Mieterhöhung scheitern oder sich verzögern:
- Vermieter sollten Baumaßnahmen und Mieterhöhung drei Monate vorher ankündigen. Die letzte Mieterhöhung muss zudem zwölf Monate zurückliegen.
- Kosten des Dämmprojekts, die nur durch Instandhaltung der Immobilie entstehen, muss der Vermieter herausrechnen, bevor er die Kosten auf die Mieter umlegt.
- Vermieter können trotz Dämmzuschlag zusätzlich die Miete bis zum ortsüblichen Niveau erhöhen. Basis für die Mieterhöhung ist dann die Nettokaltmiete inklusive Dämmzuschlag.
Streit um Nebenkosten
Hält der Vermieter die gesetzlichen Fristen beim Dämmen nicht ein, macht er sich angreifbar. Folge: Die Mieterhöhung läuft ins Leere, wie im Fall des Rentnerehepaares Helmut und Sybille Hornig* aus Bonn. Ihr Vermieter ließ im Sommer 2013 die Fassade seines Mietshauses dämmen. Nach der Modernisierung sollten die Hornigs für ihre 85-Quadratmeter-Wohnung im Stadtteil Beuel statt 516 Euro Kaltmiete pro Monat künftig 616 Euro zahlen. Weil der Vermieter vergaß, die Mieter rechtzeitig vor Anrücken der Handwerker zu informieren, konnte das Rentnerpaar die Mieterhöhung außergerichtlich auf 30 Euro pro Monat drücken. Durchs Dämmen sparen sie etwa 25 Euro Heizkosten pro Monat.
„Hätte der Vermieter rechtzeitig über die Dämmmaßnahmen informiert, hätten die Mieter 100 Euro mehr zahlen müssen, unabhängig davon, wie viel sie an Heizkosten eingespart hätten“, sagt Werner Reinlein, Fachanwalt für Miet- und Wohneigentumsrecht in Bonn.
Ärgernis Nebenkosten
Streit um Nebenkosten gibt es auch auf höchstem Niveau. So weigern sich die Mieter des Burj Khalifa, des höchsten Gebäudes der Welt in Dubai, die geforderten Nebenkosten von bis zu 25 000 Dollar pro Jahr zu zahlen. Vermieter Emaar Properties droht nun damit, Fahrstuhl und Klimaanlagen abzuschalten.
In Deutschland versuchen vom Mietspiegel geknebelte Vermieter bisweilen, sich über die Nebenkosten schadlos zu halten. Streit ist dann programmiert.
Mieter müssen Erhöhungen nicht widerstandslos hinnehmen. Viele Abrechnungen sind fehlerhaft oder unverständlich. Wichtig sind folgende Punkte.
Kaufen statt mieten?
- Frist: Die Abrechnung sollte spätestens zwölf Monate nach Ende des abgerechneten Zeitraums vorliegen.
- Umlage: Alle Kosten sollten nach dem im Mietvertrag vereinbarten Schlüssel korrekt auf die Mietparteien verteilt werden.
- Kosten: Der Vermieter darf nur solche Kosten abrechnen, die auch umlagefähig sind. Nicht dazu zählen beispielsweise Verwaltungskosten, Kreditzinsen und die Rücklagen für Instandhaltung.
- Verständlichkeit: Alle Rechenschritte, Verteilerschlüssel und Kostenpositionen sollten nachvollziehbar sein.
- Wirtschaftlichkeit: Ob Kosten überhöht sind, lässt sich anhand der Betriebskostenspiegel der Mietervereine überprüfen.
Mieter haben zwölf Monate Zeit, eine Abrechnung zu prüfen und zu widersprechen. Sie können auch dann widersprechen, wenn sie bereits nachgezahlt haben.
Die Frist von zwölf Monaten gilt nicht, wenn die Kalkulation des Vermieters nicht nachvollziehbar ist. Erst wenn der Vermieter dann eine nachgebesserte Abrechnung vorgelegt hat, läuft die Frist. Da Mieter ihre Einwände konkret anhand einzelner Abrechnungsposten begründen müssen, sollten sie beim Vermieter Einblick in die Unterlagen verlangen.
Susanne Torka aus Moabit hat das nicht mehr nötig. Die steigenden Nebenkosten spürt sie zwar auch. Mit einem Vermieter aber muss sie darüber nicht mehr streiten.
Die Frage „Wem gehört Moabit?“ hat sie, zumindest für die von ihr bewohnten Quadratmeter, schon vor Jahren beantwortet – und die Wohnung gekauft, in der sie zuvor zur Miete wohnte.