Neue Studie Immer mehr deutsche Familien verlassen die Städte

Immobilien: Deutsche Familien verlassen die Städte Quelle: Illustration: Marin Haake

Ungeachtet der steigenden Preise wachsen Deutschlands Großstädte immer weiter. Doch eine neue Untersuchung hat die Wanderungsbewegungen genauer unter die Lupe genommen – und Überraschendes festgestellt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Deutschlands Großstädte müssen außerordentlich attraktiv sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie immer weiterwachsen, obwohl die Immobilienpreise kein Halten kennen? Allein voriges Jahr stiegen die Kaufpreise in den sieben Top-Städten wieder um bis zu 11,5 Prozent, wie der neue Wohnatlas der Postbank belegt – und das, obwohl Experten eigentlich längst das Ende der Blase beschworen hatten.

Gleichzeitig ziehen immer neue Menschen auf das teure Pflaster, auch auf das teuerste: Allein München soll bis 2022 von 1,5 Millionen Menschen auf 1,7 Millionen Menschen wachsen. Dabei kostet der Quadratmeter Wohneigentum hier schon heute über 7500 Euro – im Schnitt, versteht sich. Es geht also noch deutlich teurer.

Der Reiz der Stadt, er scheint ungebrochen – von wegen Stadtflucht. Doch diese Interpretation greift zu kurz. Das Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln hat sich die Wanderungsbewegungen in die Städte und aus ihnen heraus genauer angeschaut – und Überraschendes festgestellt.

Die Kaufpreise von Immobilien sind in vielen Städten und Vierteln stärker gestiegen als die Mieten. Wo der Kauf von Haus und Wohnung noch lohnt, zeigt unser Immobilienatlas für die 50 größten Städte.
von Niklas Hoyer

Der erste Befund der Wissenschaftler ist eher naheliegend: Haupttreiber des städtischen Wachstums sind demnach junge Menschen, seien es Studierende oder Berufseinsteiger. Sie sorgen maßgeblich dafür, dass 63 der 71 kreisfreien Großstädte in den vergangenen Jahren netto gewachsen sind.

Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man wie das IW Köln die Nationalität der Wandernden untersucht. Betrachtet man den Zu- und Wegzug der deutschen Bevölkerung, so sind im selben Zeitraum nur 14 der Großstädte netto gewachsen, davon keine einzige der Top-Sieben-Städte. „Seit dem Jahr 2014 wandern mehr Inländer aus den Großstädten raus als hinein“, sagt Ralph Henger, einer der Autoren der Studie.

Das Wachstum der Städte liegt also vor allem am Zuzug von Menschen mit anderen Nationalitäten. Das sei erst einmal zu begrüßen, betonen die Autoren der Studie, schließlich handele es sich dabei oftmals um gut qualifizierte Einwanderer, die gleichzeitig den Fachkräftemangel lindern. 20 Prozent der Zuzügler waren Asylsuchende.

Doch dass der Wanderungssaldo der Deutschen meist negativ ist, liegt an einem anderen Trend: Deutsche ziehen nicht nur weniger zu, sondern verlassen die Großstädte immer öfter. Das gilt vor allem für Familien.

Deutschlands führende Immobilienverbände haben eine Studie über die Zukunft des Eigentums herausgegeben. Darin warnen sie, dass immer mehr Deutsche sich im Alter arm wohnen – doch ihre Schlussfolgerungen sind umstritten.
von Kristina Antonia Schäfer

Klassischerweise ziehen junge Menschen für Studium oder den ersten Job in die Großstadt. Dort finden sie einen Partner – wenn sie nicht schon mit einem hergezogen sind – und gründen eine Familie. Für die zusätzlichen Familienmitglieder bräuchte es dann eine größere Wohnung. Weil es die jedoch nicht gibt oder sie schlicht zu teuer ist, zieht die junge Familie irgendwann ins Umland.

Das liegt neben den Preisen auch daran, dass Deutsche im Schnitt offenbar Wert auf relativ große Wohnungen legen – und die existieren in den Städten eben kaum zu erschwinglichen Preisen. So wohnen Deutsche im Schnitt auf 48 Quadratmetern pro Person. Bei Ausländern sind es nur 33 Quadratmeter. In den großen Städten dürften die absoluten Werte geringer ausfallen, das Verhältnis jedoch ähnlich sein.

Wer sehen will, welche gesellschaftlichen Verschiebungen auf die Großstädte zukommen, sollte sich das Beispiel München ansehen. Hier wanderten 2017 netto 12.600 deutsche Einwohner ab. Dabei gab es große Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Knapp 14.000 18- bis 30-jährige Deutsche zogen in dem Jahr neu nach München.

Ganz anders sah es in einer anderen Altersgruppe aus, der der 30- bis 50-Jährigen. Die ist insofern besonders relevant, als in dieser Altersgruppe die meisten Kinder geboren werden. „In dieser Gruppe war die Abwanderung aus München heraus im Jahr 2017 mit einem Saldo von minus 13.800 Einwohnern am stärksten“, sagt Studienautor Henger.

Heißt: Fast 14.000 deutsche Einwohner im Familienalter haben in nur einem Jahr München verlassen. Netto. Und dieser Trend beschränkt sich nicht auf die bayerische Landeshauptstadt, wie Henger ergänzt. „München ist hier Vorreiter eines sich abzeichnenden Trends.“

Es muss nicht automatisch ein Problem sein, dass die Familien ins Umland ziehen. Die IW-Experten halten das für einen ganz normalen zyklischen Trend. In den Neunzigerjahren gab es schon einmal eine Abwanderungswelle aus der Stadt.

Entscheidend seien hier jedoch die Relationen, mahnt Henger, dass sich also das Verhältnis zwischen den Gruppen nicht zu sehr verschiebt, und verbindet seinen Studienbefund mit einem Appell an die Politik: „Die Großstädte müssen zukünftig deutlich aktiver für mehr Wohnungsbau sorgen, um auch weiterhin ausreichend Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten anbieten zu können.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%