Raus aus den teuren Metropolen Wo Familien im Umland günstig wohnen

Neubausiedlung in Potsdam Quelle: dpa

Wohnen in der Großstadt ist für viele Familien unbezahlbar. Im Umland ist es günstiger. Vier Kriterien entscheiden, ob sich der Umzug in den Speckgürtel lohnt.

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Im Bezirk Hamburg-Nord, in dem auch Altkanzler Helmut Schmidt wohnte, wird kein neues Einfamilienhaus mehr gebaut. Baugenehmigungen soll es stattdessen nur noch für den Geschosswohnungsbau geben. Der Bezirk, geführt von Amtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne), will so den vorhandenen Baugrund besser nutzen. Das dürfte die Preise für Eigenheime im Hamburger Norden weiter treiben. 

In den größten deutschen Städten sind Einfamilienhäuser auch ohne Neubauverbot kaum noch bezahlbar. Ein Einfamilienhaus in München etwa kostet laut Empirica Regio inzwischen 10.127 Euro pro Quadratmeter. Bei einer Größe von 150 Quadratmetern Wohnfläche wären das rund 1,5 Millionen Euro. Wegen der hohen Kaufpreise ziehen Familien ins Umland der Großstädte. Das heißt für sie in der Regel: Wohnen im Speckgürtel und Arbeiten in der Stadt.

Inzwischen haben die Preise für Wohnungen und Häuser jedoch auch in den umliegenden Landkreisen angezogen. Bei fünf der sieben größten Metropolen Deutschlands sind die Preise seit 2017 im Speckgürtel sogar stärker gestiegen als im Stadtgebiet, hat das Kölner IW Institut herausgefunden. Es ist also für Familien auch im Speckgürtel schwieriger geworden, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Vier Kriterien sollten Familien bei der Wahl des Wohnortes im Blick behalten: bezahlbarer Wohnraum, gute Infrastruktur, schnelle Verkehrsanbindung und eine gute Anbindung für Pendler.

Das Prognos Institut hat in Deutschland rund 700 Landkreise und Städte danach bewertet, wie geeignet sie für Familien sind. Jedem der 700 Wohnorte hat sie einen Platz in dem bundesweiten Ranking zugewiesen. Die WirtschaftsWoche hat die Prognos-Ergebnisse für das Umland der fünf größten deutschen Städte mit den aktuellen Kaufpreisen von Empirica Regio verglichen (siehe Tabelle unten).



1. Bezahlbarer Wohnraum

Die Unterschiede bei den Kaufpreisen für Einfamilienhäuser im Umland und der Kernstadt sind teilweise sehr groß. In Berlin beispielsweise kostet der Quadratmeter inzwischen rund 4600 Euro. Im benachbarten Landkreis Oder-Spree nur 2600 Euro. Ähnlich sieht es in Frankfurt aus. Dort kostet der Quadratmeter für Einfamilienhäuser 5280 Euro. Im Wetteraukreis dagegen sind es nur 2545 Euro, also weniger als die Hälfte.

Wie teuer ein Wohnort für Familien ist, lässt sich jedoch nicht allein am Kaufpreis oder der Miete ablesen. Es kommt viel mehr auf das Verhältnis zum verfügbaren Einkommen an. Verfügbar meint das Einkommen nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben plus staatliche Transfers. Nur dieses Geld steht den Familien für Wohnen, Konsum und Ersparnisse zur Verfügung.

Im Landkreis Oder-Spree beispielsweise zahlt ein Käufer das 19-Fache des verfügbaren Jahreseinkommens für ein Einfamilienhaus mit 150 Quadratmetern. Im Berliner Umland ist diese Region damit die preiswerteste. Beim Anteil der Miete am verfügbaren Einkommen gibt es im Berliner Speckgürtel dagegen kaum Unterschiede. Mit 22 bis 25 liegt die Quote knapp unter dem Bundesdurchschnitt von 26 Prozent.

Anders sieht es im Umland von Frankfurt aus. In den betreffenden Landkreisen schwankt der Anteil der Mietkosten am verfügbaren Einkommen zwischen 25 und 31 Prozent. Das liegt vor allem am Kreis Groß-Gerau, in dem die Mieten gemessen am niedrigem verfügbaren Einkommen vergleichsweise hoch sind. Es ist daher nicht überraschend, dass der Landkreis bei den Wohnkosten im Prognos-Ranking nur Platz 370 belegt.

Tipp: Familien sollten ihr eigenes verfügbares Einkommen mit dem Schnitt des jeweiligen Landkreises vergleichen. So können sie abschätzen, ob Wohnen dort noch preiswert ist oder schon nicht mehr.

2. Gute Infrastruktur

Familien wollen am Wohnort ein Mindestmaß an Infrastruktur: Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangebote. Wo Eigenheime besonders günstig sind, müssen die Bewohner häufig Abstriche machen. So stuft Prognos beispielsweise den Landkreis Oder-Spree in der Kategorie Bildung & Soziales nur auf Platz 308 ein. Bei Freizeit & Kultur ist es Rang 275.

Mehr in diesen Kategorien zu bieten hat der Landkreis Potsdam-Mittelmark, der bei Bildung & Soziales bundesweit auf Platz 43 liegt. Besonders viele Punkte machte die Region beispielsweise mit der vorbildlichen Kinderbetreuung. Preislich liegt Potsdam-Mittelmark mit etwa 3600 Euro je Quadratmeter für ein Einfamilienhaus zwischen Berlin und dem Landkreis Oder-Spree. Der Landkreis ist daher eine beliebte Region für Stadtflüchtlinge. Im bundesweiten Prognos-Ranking für die Nettozuwanderungen von Familien liegt Potsdam-Mittelmark auf Platz 7.

Tipp: Familien sollten zunächst ihr Budget prüfen. In einem zweiten Schritt sollten sie die Regionen aus dem Umland heraussuchen, in denen sich ein Einfamilienhaus für sie noch finanzieren lässt. Aus den verbleibenden Landkreisen können die Familien dann jene aussuchen, die die beste Infrastruktur bieten.

Wirtschaftlich Pendeln

3. Schnelle Verkehrsanbindung

Wenn Familien raus in den Speckgürtel ziehen, bleibt der Arbeitsplatz meist in der Stadt. Das heißt, berufstätige Eltern müssen pendeln. Je besser die Verkehrsanbindung ist, desto weniger Zeit verlieren sie auf dem Weg zur Arbeit. Wer pendelt, will laut einer Umfrage des Statistischen Bundesamts nicht mehr als eine Stunde pro Richtung unterwegs sein. In der Praxis legen 81 Prozent der deutschen Pendler weniger als 25 Kilometer für den einfachen Weg zur Arbeit zurück.

Wer wegen der Arbeitszeiten den Stoßzeiten im Straßenverkehr nicht ausweichen kann, sollte auch das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs am Wohnort prüfen. Im ÖPNV entscheidet nicht allein die Luftlinie darüber, wie schnell der Arbeitsplatz erreichbar ist. Es kommt viel mehr auf das Tempo, die Taktung und kurze Umstiegszeiten an. Eine schnelle Anbindung, beispielsweise über eine S-Bahnlinie, ist für einen familienfreundlichen Wohnort daher Grundvoraussetzung.

Die Datendienstleister Price Hubble und Targomo haben beispielhaft das Umland von Köln analysiert. Dabei sollte die Kölner Innenstadt von der Wohnung im Umland innerhalb von 60 Minuten mit dem ÖPNV erreichbar sein (siehe Grafik unten). Dabei zeigt sich, dass Pendler auch aus weiter entfernten Gemeinden innerhalb des Zeitlimits bleiben, wenn es der Fahrplan zulässt.

Price Hubble hat in einem zweiten Schritt alle Wohnorte herausgefiltert, die ein Mindestmaß an Infrastruktur, beispielsweise Schulen oder Supermärkten bieten. Im dritten Schritt wurden die Angebote an familienfreundlichen Wohnungen geprüft. Vorgegeben war eine Musterwohnung mit 100 Quadratmetern und vier Zimmern. Price Hubble hat dann mithilfe von Angebotspreisen und weiterer Daten ermittelt, wie teuer die Musterwohnung in den Umlandgemeinden ist, die die Vorgaben erfüllen.



Südöstlich von Köln liegt beispielsweise die Kleinstadt Troisdorf. Dort kostet die Musterwohnung durchschnittlich 2360 Euro pro Quadratmeter. Das ist rund ein Drittel weniger als im Kölner Stadtgebiet. In Troisdorf müsste die Familie für die Eigentumswohnung insgesamt 236.000 Euro zahlen. In Köln wären es dagegen 345.600 Euro.

Tipp: Ähnlich wie Price Hubble sollten Familien Mindestkriterien für die gesuchte Wohnung festlegen. Die Suche, beispielsweise über Immobilienportale im Internet, sollte für einen Wohnort im Umland ausreichend Treffer ergeben. Anderenfalls wäre der Markt vor Ort so eng, dass ein angemessenes Verhältnis zwischen Infrastruktur und Kaufpreis kaum zu erwarten ist.

4. Wirtschaftliches Pendeln

Wenn der Wohnort eine hinreichend gute Verkehrsanbindung in die Stadt bietet, bleibt zu prüfen, ob die Höhe der Fahrtkosten wirtschaftlich vertretbar ist. Dabei sind der Preisvorteil fürs Wohnen und die Kosten fürs Pendeln zu vergleichen.

Zu den Fahrtkosten zählen entweder die Ausgaben fürs Auto in Kilometern oder eine entsprechende Jahreskarte für den ÖPNV. Davon abzuziehen ist die Steuererstattung durch die Entfernungspauschale. Derzeit beträgt die Pauschale bis zu 20 Kilometer Arbeitsweg (einfache Strecke) 30 Cent je Kilometer. Ab dem 21. Kilometer sind es 35 Cent. Wie viel das Finanzamt davon erstattet, hängt vom Einkommensteuersatz ab.

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Für Bahnfahrer mit Wohnort Troisdorf (Steuersatz: 42 Prozent) beispielsweise bleibt nach Abzug der Steuererstattung eine Nettobelastung von 628 Euro pro Jahr. Pendler, die das Auto nutzen, um zum Arbeitsplatz zu kommen, müssen sogar mit 4311 Euro an jährlichen Zusatzkosten rechnen.

Tipp: Der finanzielle Vorteil beim Kauf einer Wohnung im Umland muss höher sein als die zusätzlichen Fahrtkosten über einige Jahre. Anderenfalls lohnt sich der Umzug ins Umland nicht.

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