Vor Schauff sind schon einige Nachbarn an den Bonner Beamten verzweifelt. Rund 60 Mieter verfassten eine Petition für Mietsenkungen. Drei Monate später kam ein Brief. Die Liegenschaft biete „aufgrund der außergewöhnlichen Ausstattung“, der Nähe zur deutschen Schule und hoher Sicherheitsstandards „überaus hohen Wohnwert“ für deutsche Bürger. Eine Absenkung der Mieten sei „derzeit nicht angezeigt“, ist darin zu lesen. Mit freundlichen Grüßen.
Lange Zeit war das „deutsche Dorf“ eine Goldgrube für die Bonner Bundesanstalt. Mit 380 Wohnungen die mit Abstand größte Liegenschaft der Bundesrepublik außerhalb der EU. Bis vor drei Jahren gab es praktisch keinen Leerstand, Interessenten mussten sich in Wartelisten eintragen. 2015 kam es plötzlich zu 118 Kündigungen, so berichten die Vermieter – 18 Prozent der Wohnungen stehen leer. An den Euro-Mieten will das BImA trotzdem festhalten. Man sei bemüht, durch „laufende Investitionen in die Bausubstanz“ und „weitere Optimierung der Sicherheits- und Servicestandards“ die Attraktivität zu erhöhen.
Mittlerweile sind Nachbarn zu Gast in der Wohnung von Frank Schauff. „Schauen Sie sich um“, sagt einer und zeigt aus dem Fenster: „Das ist einfachste Platte!“ Die Küche sei „von anno dazumal“, Bäder „eine Katastrophe“. Auch André Scholz ist gekommen. Der Initiator der Mieter-Petition lebt als Wirtschaftsprüfer seit 13 Jahren in Moskau. Er glaubt, dass allenfalls die Nähe zu deutscher Schule und Kindergarten verhindere, dass sich noch mehr Mieter von überhöhten Mieten in die Flucht schlagen lassen.
Zumal sich das „deutsche Dorf“ in den vergangenen Jahren verändert hat; zum Negativen, sagen die Bewohner. Als Erstes ging der Metzger pleite, dann gab es plötzlich auch den deutschen Bäcker nicht mehr.
Das Deutsche Eck ist eine Dorfkneipe mit rustikaler und dennoch moderner Einrichtung. Überall harren Flachbildfernseher der Gäste, die allenfalls zum Fußball beide Schankräume füllen. Im Nichtraucherraum speist ein Russe, ohne den Bayernhut abzunehmen, im Raucherraum qualmt Hubert Willms vor dem Aquarium, in dem ein mürrischer Karpfen schwimmt.
Willms bestellt sich ein Glas Cola und kippt sich einen Wodka hinein. Fröhlich ist er dennoch nicht. Das war er früher mal, als das Geschäft noch lief. Der Aachener ist selbstständiger Messebauer und bastelt seit 27 Jahren die Stände für Bundesagenturen, die in Russland ausstellen. Früher war er oft monatelang in Russland, heute nur wochenweise.
Aus Gewohnheit mietet er sich im „deutschen Dorf“ ein Hotelzimmer – und sagt: „Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt hier überhaupt nicht mehr.“ Aber an wen solle er sich wenden? „Das gehört ja alles dem deutschen Staat, und der stellt sich stur.“ Es dauert nicht lange, bis er über Wladimir Putin und dessen Wirtschaftspolitik schimpft, über korrupte Messebetreiber, die Armut da draußen.
Bald wird es selbst das Eck nicht mehr geben: Der Pächter soll gekündigt haben – sicher auch der Miete wegen. Und so stirbt es langsam aus, das „deutsche Dorf“ von Moskau. Wohl auch, da die Beamten in Bonn die Marktlage der postsowjetischen Realität jenseits des dunkelgrünen Zauns nicht respektieren wollen.