Streit um Mietspiegel Die Praxis zeigt: Mietspiegel sind oft weit vom Markt entfernt

Anders als ursprünglich geplant hat Berlin seit Mai einen neuen Mietspiegel. Quelle: dpa

Künftig müssen mehr Gemeinden einen Mietspiegel erstellen. Die große Koalition will damit zu hohe Mieten verhindern. Schon jetzt aber haben die ausgewiesenen ortsüblichen Mieten oft wenig mit der Realität zu tun. 

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Bundesregierung beschließt eine Mietspiegel-Pflicht für Kommunen ab 50.000 Einwohner. Schwarz-Grün will Mieter damit vor überzogenen Mieterhöhungen schützen. Derzeit gibt es in 80 der 200 größten deutschen Städten keinen Mietspiegel. Dazu zählt beispielsweise Bremen.

Für Mietwohnungen sind die Mietspiegel der Kommunen das wichtigste Barometer. Sie zeigen nach Lage, Baujahr und Ausstattung an, wie hoch die Mieten im Schnitt sind. Je nach Gemeinde gibt es mehr oder weniger ausgefeilte Tabellen mit Zu- und Abschlägen für bestimmte Merkmale der Mietwohnungen. So ist es auch in Düsseldorf, wo der Mietspiegel bürokratisch Mietrichtwert-Tabelle heißt. Für die Stadtviertel Kaiserswerth oder Oberkassel beispielsweise sieht die Tabelle Aufschläge von fünf bis zehn Prozent bei der Miete vor.

Mieterhöhungen müssen Vermieter den Mietern schriftlich ankündigen und dabei auf das ortsübliche Niveau verweisen. Sie sollten ihr Mietshaus in die richtige Kategorie des Mietspiegels einordnen, anderenfalls hätte der Mieter eine rechtliche Handhabe. Wenn es in der betroffenen Kommune keinen Mietspiegel gibt, können sie auf die Miete von mindestens drei vergleichbaren Wohnungen verweisen. Welche Wohnungen tatsächlich vergleichbar sind, darüber gibt es vor Gericht mitunter Streit.

Die Mietspiegel-Pflicht soll die Zahl solcher Gerichtsverfahren verringern, sagt die Bundesregierung. In Bremen allerdings argumentiert die regierende SPD genau umgekehrt. Dort verweist der Senat auf die gut funktionierende Praxis Mieterhöhungen mit Vergleichswohnungen zu begründen. Ein Mietspiegel würde tendenziell eher zu steigenden Mieten führen. Das Beispiel zeigt: Vor Ort läuft die Diskussion um die Mietspiegel oft anders als auf Bundesebene.

Rotwein-Mietspiegel

In Deutschland gibt es zwei Arten von Mietspiegeln: Beim einfachen Mietspiegel handeln Eigentümer- und Mietervereine das ortsübliche Niveau miteinander aus. In Fachkreisen heißen sie auch Rotwein-Mietspiegel, weil die Übersichten häufig in geselliger Runde abgesprochen werden. Genauer sind die qualifizierten Mietspiegel. Dabei fragen Kommunen die Mieten mit repräsentativen Stichproben ab. Die Daten werden von Wissenschaftlern ausgewertet. Diese Art von Mietspiegel ist kostspielig. Viele Gemeinden verzichten daher darauf wie beispielsweise auch die Millionenstadt Köln. Man kennt sich und man einigt sich lieber. 

Mit dem aktuellen Beschluss zur Mietspiegel-Pflicht will die Bundesregierung die Mietpreisbremse effektiver durchsetzen. Derzeit dürfen die neuen Mieten maximal zehn Prozent über dem Niveau laut Mietspiegel liegen. Mieten, die vor Einführung der Mietspreisbremse vereinbart wurden und darüber liegen, bleiben jedoch zulässig. Auch bei Neubauten greift die Mietpreisbremse bei der Erstvermietung nicht. Allerdings dürfen die Vermieter danach die Miete nicht mehr erhöhen, bis das ortsübliche Niveau entsprechend gestiegen ist. 

Alles Wichtige für Haus- und Wohnungskäufer: Was sie von der Budgetplanung bis zur Schlüsselübergabe beachten sollten, inklusive detaillierter Preisanalysen zu den 50 größten deutschen Städten.

Dort, wo Wohnraum knapp ist, wirkt die Bremse bei Neuvermietungen kaum. Mieter, die dringend Wohnraum suchen, werden im Zweifelsfall auch mehr als das ortsübliche Niveau zahlen. Die große Koalition setzt daher mehr auf die Wirkung der Mietspiegel bei Mieterhöhungen. Ist ein Mieter erstmal eingezogen, kann er weitgehend risikolos Konflikte mit dem Vermieter eingehen. Hält sich der Vermieter nicht an die Vorgaben des Mietspiegels, hat der Mieter bei einer Klage gute Chancen, die Mieterhöhung zu kippen.

München vernichtet Mietdaten 

Die Mietspiegel sind gleich in mehrfacher Hinsicht ein Politikum. Zum einen haben die Kommunen in der Regel kein Interesse daran, dass die vom Mietspiegel angezeigten Mieten zu hoch sind. Das würde Versäumnisse, beispielsweise beim Wohnungsbau, offenlegen. Hinzu kommt, dass Sozialleistungen wie das Wohngeld für finanzschwache Haushalte an den Mietspiegel geknüpft sind. Je höher das ortsübliche Niveau, desto mehr muss die Gemeinde fürs Wohngeld aufwenden. 

Wegen dieser politischen Gemengelage kommt es immer wieder zu Konflikten mit der Vermieterlobby. Besonders heftig sind die Streitereien in München. Das ist kein Zufall, denn in der bayerischen Landeshauptstadt ist die Differenz zwischen aktueller Marktmiete und Mietspiegel besonders hoch. Zuletzt verzichtete die Stadt München auf eine Neuauflage des Mietspiegels – offiziell wegen Corona. 



Der Eigentümerverein Haus und Grund kritisiert den Beschluss Münchens. „Offensichtlich waren der Stadt die erhobenen Mieten zu hoch“, sagt Rudolf Stürzer, Vorsitzender von Haus und Grund in München. Haus und Grund vermutet, dass beruflich ausgelastete Gutverdiener vor Corona in den Umfragen zum Mietspiegel unterrepräsentiert waren, weil sie während der Befragungen nicht zu Hause erreichbar waren. Die während der Coronapandemie erhobenen Daten seien durch mehr Homeoffice-Arbeit näher an der Realität gewesen. Nachprüfen lässt sich das nicht, denn die Stadt, so Haus und Grund, habe die erhobenen Daten vernichtet. Stürzer erwartet beim Münchner Mietspiegel 2023 einen kräftigen Aufschlag bei den Mieten.

Auch in Berlin gab es viel Wirbel um den Mietspiegel. Wegen des Mietendeckels wollte der rot-rot-grüne Senat zunächst keinen neuen Mietspiegel. Denn Mieten, die gesetzlich festgezurrt sind, dürfen nicht in die Mietspiegel einfließen. Der Mietendeckel betraf immerhin 1,5 von 2,0 Millionen Mietwohnungen in Berlin; ein aussagekräftiger Mietspiegel war so kaum noch möglich. Das Bundesverfassungsgericht kippte jedoch den Mietendeckel. Im Mai stellte der Berliner Senat dann doch einen neuen Mietspiegel vor. Allerdings ist die Mietenübersicht nicht wirklich aktuell. Denn statt eine neue Umfrage bei Mietern durchzuführen, hat der Senat lediglich die Mieten des Mietspiegels von 2019 mit dem Verbraucherpreisindex fortgeschrieben.

Veraltete Basis

Der Streit in München ist nur die Spitze eines dauernden Konflikts darum, wie genau die Mietspiegel tatsächlich das Geschehen am Wohnungsmarkt abbilden. Zuletzt hatte die Bundesregierung den Zeitraum, für den Daten für den Mietspiegel erhoben werden, von vier auf sechs Jahre verlängert. Linke und Grüne fordern noch längere Zeiträume von bis zu 20 Jahren. Je länger der Betrachtungszeitraum ist, desto weniger fallen die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Mieten ins Gewicht. Die ausgewiesenen ortsüblichen Mieten sind dann niedriger, Mieterhöhungen so schwerer durchsetzbar.

Die Vermieterverbände sind verständlicherweise gegen eine Verlängerung der Erfassungszeiträume.  „Vor sechs Jahren vereinbarte oder geänderte Mieten haben in einem Mietspiegel nichts zu suchen. Sie verzerren das Bild“, sagt Kai Warnecke, Präsident von Haus und Grund. Der Beschluss der Bundesregierung sei eine offene Manipulation des Mietspiegels. 

Kommunen sind verpflichtet, ihre Mietspiegel regelmäßig zu aktualisieren, in der Regel alle zwei Jahre. Mieterhöhungen, die mit veralteten Mietspiegeln begründet sind, können unzulässig sein, entschied der Bundesgerichtshof (VIII ZR 340/18). Es ging um den Mietspiegel von Magdeburg, der seit 1998 nicht mehr angepasst wurde. Eine Mieterin hatte gegen eine Mieterhöhung von 300 auf 360 Euro pro Monat geklagt. 

Viele Hauseigentümer suchen wegen der zunehmenden Regulierung der Mieten nach Wegen, der Mietpreisbremse und den Vorgaben des Mietspiegels zu entgehen. Einige schließen dazu beispielsweise Indexmietverträge ab. Die Miete steigt dann mit der allgemeinen Preisentwicklung. Angesichts der anziehenden Inflation ist das für Vermieter nicht unbedingt die schlechteste Lösung.  

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Andere Vermieter machen sich die Schlupflöcher in der Mietpreisbremse zunutze. Zu diesen Notausgängen gehört die Kernsanierung. Wer beispielsweise ein sanierungsbedürftiges Mietshaus kauft und mindestens ein Drittel der Neubaukosten investiert, kann die Miete unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben erhöhen. Erst bei Mieterhöhungen muss sich der Vermieter dann wieder an die Mietpreisbremse halten. 

Mehr zum Thema: Was Sie von der Budgetplanung bis zur Schlüsselübergabe beachten sollten, inklusive detaillierter Preisanalysen zu den 50 größten deutschen Städten: das 1x1 des Immobilienkaufs.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%