Trotz Preisrückgang im Großhandel Warum Gas für Verbraucher erstmal nicht günstiger wird

Quelle: dpa

Während die Großhandelspreise für Gas einbrechen, wird es für Haushalte nur moderat preiswerter. Das liegt vor allem an den lange laufenden Lieferverträgen der Versorger.

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Der Gaspreis bewegt die Nation: Zum 1. Januar flatterten vielen privaten Haushalten saftige Preiserhöhungen ins Haus. Auch deshalb griff Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Gaspreis in seiner Neujahrsansprache auf. Scholz bezeichnete die vom russischen Einmarsch in die Ukraine ausgelöste Energiekrise als „harte Probe“. Allerdings machten die neuen Terminals für Flüssigerdgas (LNG) „unser Land und Europa dauerhaft unabhängig von russischem Gas“, so der Kanzler. 

Verständlich, dass Scholz Optimismus verbreiten will. Allerdings ist die Kapazität der ersten schwimmenden LNG-Terminals noch zu gering, um den Gaspreis spürbar zu beeinflussen. Dass er dennoch zuletzt gesunken ist, lag unter anderem am milden Wetter. Zum Jahreswechsel herrschten in Deutschland frühlingshafte Temperaturen. Privathaushalte mussten daher zuletzt kaum heizen. Laut der Vergleichsplattform Check24 wurden von September bis Dezember 2022 sieben Prozent weniger Energie fürs Heizen verbraucht als im Vorjahreszeitraum.

Weil der Verbrauch niedriger ausfällt, mussten die Versorger die Gasspeicher kaum anzapfen. Im Herbst gab es noch Befürchtungen, dass sich wegen der geringeren Gasimporte aus Russland die Vorräte nicht auf die für die Jahreszeit übliche Quote auffüllen lassen würden. Tatsächlich sind die Speicher derzeit aber zu rund 90 Prozent voll. Im langjährigen Mittel liegt der Stand zu dieser Jahreszeit üblicherweise unter 80 Prozent.

Mildes Wetter und volle Speicher drücken den Gaspreis. Vor allem im Großhandel brechen die Preise ein. Am Spotmarkt der Strombörse Leipzig (EEX) hat sich im Dezember der Preis für Erdgas mehr als halbiert. Dennoch haben viele Versorger ihre Gaspreise für Privathaushalte zum 1. Januar deutlich erhöht. Wie passt das zusammen?

Verbraucherpreise hinken hinterher

Die scheinbar paradoxe Preisentwicklung hat mit der Struktur des Gasmarkts in Deutschland zu tun. Der Großhandel und die Versorgung von privaten Haushalten mit Energie funktionieren unterschiedlich. Da hier vor Ort kaum Gas gefördert wird, muss es zunächst importiert werden, beispielsweise durch Unternehmen wie Uniper. Die Versorger schließen mit den Importeuren langfristige Verträge. Grundlage dieser Deals sind langjährige Durchschnittspreise.

Am Spotmarkt decken sich Versorger kurzfristig mit Erdgas ein, wenn mehr benötigt wird, als die langfristigen Lieferverträge hergeben, oder wenn ein Importeur ausfällt. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs fiel ein Großteil des über Pipelines aus Russland gelieferten Gases weg. Wegen des Krieges erreichte der Gaspreis am Spotmarkt im vergangenen Jahr zeitweise Rekordstände, bei denen nur wenige Versorger kaufen wollten. Am Spotmarkt der Strombörse brachen die Handelsumsätze ein.

Dennoch lieferten die meisten Versorger weiter zuverlässig Gas an deutsche Privathaushalte, weil der Einkauf am Spotmarkt nur einen kleinen Teil der verbrauchten Gasmenge ausmacht. Ein Großteil des von den Energiekonzernen beschafften Gases stammt aus langfristigen Lieferverträgen. Der Preis, der derzeit beim Privatkunden ankommt, ist ein Mix aus langjährigen Durchschnittspreisen und den Marktbewegungen im Großhandel. Erst wenn die langfristigen Lieferverträge auslaufen, schlagen die niedrigeren Preise am Spotmarkt mit größerer Wucht bei den Privathaushalten durch.



Wie schnell sich der niedrigere Gaspreis der Strombörse auf den Preis, den Privathaushalte zahlen, auswirkt, hängt auch vom jeweiligen Gastarif ab. In Deutschland gibt es zwei Arten von Verträgen. Bei der Grundversorgung kann der Versorger den Gaspreis laufend anpassen. In Sonderkundenverträgen sind die Preise mit einer Garantie befristet auf ein oder zwei Jahre festgezurrt. Die Preise lassen sich erst ändern, wenn die Garantie ausgelaufen ist.

Das heißt, dass sich die Preise für private Gaskunden je nach Tarif unterschiedlich schnell und verschieden stark verändern, sowohl nach oben als auch nach unten. Allen Privatkundentarifen ist gemeinsam, dass sie aufgrund der langfristigen Lieferverträge der Versorger mit den Gasimporteuren erst mit Verzögerung auf die schwankenden Großhandelspreise reagieren. Zum 1. Januar holen die Versorger noch den Preisanstieg des vergangenen Jahres im Einkauf nach. Erst 2024 dürfte sich der sinkende Preis im Großhandel stärker in den privaten Gasrechnungen niederschlagen.



Staatseingriffe hebeln Markt aus

Dass sich die privaten Gaskosten vorübergehend vom Markt abkoppeln, liegt auch an staatlichen Eingriffen. Angesichts der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise sah sich die Bundesregierung zu Hilfsmaßnahmen gezwungen. Denn astronomisch hohe Energiepreise oder gar der zeitweise Ausfall der Strom- oder Gasversorgung wären sozialer Sprengstoff. Das hätte die Ampelkoalition wohl politisch nicht überlebt.

So hat die Bundesregierung mit Uniper den wichtigsten Gasimporteur Deutschlands im Dezember vergangenen Jahres verstaatlicht. Der Energiekonzern deckt ein Drittel der Gasimporte ab. Ohne Staatshilfe wäre Uniper nach den Liefereinschränkungen Russlands wohl in die Insolvenz gerutscht. Da das Unternehmen im Gasmarkt als systemrelevant gilt, schnürte die Ampel ein Rettungspaket in zweistelliger Milliardenhöhe.

Gleichzeitig greift die Bundesregierung in die Preisbildung am Gasmarkt ein. So werden in Deutschland rückwirkend zum Januar Privathaushalte bei Gas und Strom finanziell entlastet. Die Gas- und Strompreisbremse deckeln die Energiepreise für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Check24 hat ausgerechnet, dass ein Vier-Personen-Haushalt durch die Preisbremse in diesem Jahr um rund 1000 Euro entlastet wird. Das heißt, die Preissignale kommen zum Großteil bei den Verbrauchern gar nicht an.



Zudem will die EU die Preise bei Gasimporten regulieren. Danach soll importiertes Gas ab Mitte Februar nicht mehr als 180 Euro pro Megawattstunde kosten. Das heißt, Versorger zahlen bei künftigen Peaks am Gasmarkt nicht mehr als das von der EU verordnete Limit. Derzeit liegt der Großhandelspreis für Gas am Spotmarkt der Strombörse Leipzig deutlich unter dem Deckel der EU. Allerdings reagiert der Gaspreis an der Börse sehr volatil auf schlechte Nachrichten.

Nischen profitieren vom Börsenstrom

Spätestens im März, wenn die Heizperiode endet, wird der Strompreis wieder in den Fokus rücken. Ähnlich wie beim Gas ist der private Strompreis weniger elastisch als der Preis auf dem Großmarkt. Laut Verivox ist der durchschnittliche Strompreis für private Haushalte erst im November 2022 wieder gesunken. An der Leipziger Strombörse war der Peak für den in 2023 zu liefernden Strom bereits im September zu beobachten. Danach ging es steil bergab.

Stromversorger schließen ebenfalls langfristige Verträge mit ihren Lieferanten. Was beim privaten Stromkunden ankommt, sind Durchschnittspreise, die dem Großhandelsmarkt hinterherlaufen. Während der Börsenpreis für Strom sinkt, erhöhen die Versorger nach wie vor ihre Preise. Das heißt, die privaten Haushalte profitieren bisher kaum von den sinkenden Großhandelspreisen.

Volatile Preismodelle gibt es für private Haushalte nur in Nischen wie dem Ladestrom für Autos. Anders als beim allgemeinen Haushaltsstrom wie Licht oder Kühlschrank lässt sich der Ladevorgang in Tageszeiten verlegen, in denen der Strompreis wegen der geringeren Nachfrage deutlich günstiger ist. Auch für Strom, den Wärmepumpen nutzen, gibt es gesonderte Tarife. Vor der Energiekrise waren diese Tarife günstiger als der Markt. Denn Versorger können Wärmepumpen so ansteuern, dass sie dann Strom verbrauchen, wenn die Preise niedrig sind.

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Alternativ können sich private Haushalte vom Markt abkoppeln und den Strom über eine eigene Solaranlage selbst erzeugen. Überschüssige Energie lässt sich in hausinternen Batterien speichern und damit beispielsweise Elektroautos aufladen. Skandinavien ist beim selbst erzeugten Solarstrom schon einen Schritt weiter. Dort können private Haushalte den im Haushalt ungenutzten Solarstrom in der Batterie des E-Autos speichern und ihn für den Verbrauch im Haushalt später abrufen, wenn die Sonne nicht scheint. In Deutschland scheitert dieses Verfahren bisher noch an bürokratischen Hürden.

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