Verwahrloste Mietshäuser Das lukrative Geschäft mit Schrottimmobilien

Hunderte Südosteuropäer leben in Duisburg in Häusern voller Müll und Chaos, ohne Strom und Wasser. Über das hochlukrative Geschäft mit den Elendsimmobilien.

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Duisburg-Marxloh: Maklerin Nazanin Kordi bekämpft Schrotthäuser. Quelle: Marcus Simaitis für WirtschaftsWoche

Nun also steht Elwis auf der Straße vor dem Mehrfamilienhaus, in dem er zuletzt Unterschlupf gefunden hat, und holt sein Handy aus der Hosentasche. Der 45-Jährige wählt die Nummer von Nazanin Kordi. Die Maklerin aus Düsseldorf ist in diesem Moment in ihrem Büro an der Königsallee. Wenige Minuten später sitzt sie in ihrem silbernen Porsche auf dem Weg nach Duisburg-Marxloh. Zwischen den beiden liegt eine halbe Stunde Autofahrt, die zwei Welten voneinander trennt.

Elwis steckt sein Handy ein und läuft zu der Menschenmenge auf dem Gehweg. Eine Schar Reporter hat sich dort um eine blonde Frau versammelt. Es ist Daniela Lesmeister, die Chefin des Duisburger Ordnungsamts. In druckreifen Sätzen spricht sie in das Mikrofon der Fernsehjournalisten: „Wir mussten das Haus für unbewohnbar erklären.“

Elwis drängt sich durch die Reportermenge und ruft über die Köpfe hinweg: „Ich will auch eine Frage stellen. Warum müssen wir raus?“ Die Journalisten drehen sich um. Die Beamtin wirkt einen Moment lang irritiert. Dann zeigt sie auf die andere Straßenseite. „Wenden Sie sich bitte an den Mitarbeiter dort drüben, dort sind auch Dolmetscher“, sagt sie. Sie zeigt auf rund ein Dutzend Menschen, die wenige Meter weiter stehen. Es ist die Taskforce Problemimmobilien. So nennt Daniela Lesmeister ihre Einsatztruppe. Mit ihr will sie das bekämpfen, was man hier in Duisburg als Schrotthäuser bezeichnet. Berühmt wegen des Mülls. Berüchtigt wegen der Bewohner: Menschen aus Südosteuropa, überwiegend Rumänen und Bulgaren. Kaum jemand spricht Deutsch. Über 40 Prozent beziehen Sozialleistungen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, genau wie die Armut.

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Für viele sind die Häuser, gerade in diesen Wochen, da in Nordrhein-Westfalen eine Landtagswahl ansteht, der Inbegriff für ein Politikversagen, Herbergen für Parallelgesellschaften, Denkmäler für eine gescheiterte Einwanderungspolitik. Die Opposition nutzt die Lage hier gerne, um der unrühmlichen Bilanz des aufgrund bemerkenswert vieler Fehltritte zu einer gewissen bundespolitischen Berühmtheit erlangten Landesinnenministers Ralf Jäger (SPD) weitere Posten zuzufügen. Tatsächlich hat sich diese sehr besondere Form des Immobilienbooms im ganzen Ruhrgebiet ausgebreitet: in Gelsenkirchen, in Dortmund. Doch nirgendwo gibt es so viele der verwahrlosten Immobilien wie in Duisburg.

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Die Politik versucht, dagegenzuhalten. Vor drei Jahren verabschiedete die Landesregierung Nordrhein-Westfalens ein Gesetz, das den Städten erlaubt, die Häuser zu kontrollieren. Die Aktionen laufen meistens ab wie an diesem Morgen. Einige Polizisten sichern die Straße, während sich die Einsatztruppe formiert. Das Team aus rund zwölf Leuten besteht aus Ordnungsamt, Feuerwehr, TÜV, Familienkasse, Arbeitsamt, manchmal auch dem Zoll. Bevor sie das Haus begehen, besprechen sie sich ein paar Minuten lang im Kreis wie eine Fußballmannschaft. Dann gehen sie geschlossen rein. Im Treppenhaus liegen angebissene Brötchen, Zigarettenstummel und leere Flaschen. Die Wände waren irgendwann mal weiß, das Geländer irgendwann mal blau. Zwei Polizisten klopfen an eine Tür. Sie öffnet sich einen Spalt breit, eine junge Frau schaut in die Runde von Beamten. Ein ärmelloses Top spannt sich über den schwangeren Bauch. Nach einigen Sekunden stehen drei kleine Kinder um ihre Knie.

Sie geht zur Seite, und die Beamten treten ein. Die Zimmer sind kaum eingerichtet. Entlang der Wände stehen Sofas, mehrere Matratzen liegen im Wohn- und Schlafzimmer. Am Ende wird das Team feststellen, dass in dieser und den sieben weiteren Wohnungen des Hauses über 82 Personen angemeldet sind. Nach einer Stunde hängt eine Mitarbeiterin einen weißen Zettel an die Eingangstür: „Derzeit ist das Gebäude aufgrund einer drohenden Gefahr für Leib und Leben unbewohnbar.“

Die Hoffnung naht auf High Heels

In diesem Moment parkt Nazanin Kordi ihren Porsche ein. Die 36-Jährige steigt aus und läuft zu der Gruppe von Männern, darunter Elwis. Ihre High Heels hallen über den Asphalt. Noch bevor sie sich begrüßen, beginnt Kordi zu schreien: „Ich habe euch doch gewarnt! Warum haltet ihr eure Wohnungen nicht sauber?“ Die Hausbewohner scharen sich um die Frau mit den langen schwarzen Haaren. Doch die Pelzjacke, die akkurat manikürten Fingernägel grenzen die Frau von der Kulisse ab. Elwis geht auf sie zu. Kordi hebt die Hände. „Ich kann euch höchstens ein paar Tage in meinen anderen Häuser wohnen lassen. Aber mehr geht nicht“, sagt sie.

Kordi ist Immobilienmaklerin. Sie gehört zu jenen, die Geschäfte mit all den Häusern machen, die die Stadt als „Problemimmobilie“ einstuft. Jahrelang handelte sie mit Wohnungen in der reichen Landeshauptstadt. Doch dann hat sie sich auf den Problemmarkt in Duisburg spezialisiert. „In Marxloh laufen die Geschäfte sehr schnell ab. Die Häuser gehen innerhalb weniger Wochen weg“, sagt sie. Die Quadratmeterpreise sind nirgendwo so günstig.

Die Besitzer kommen aus den unterschiedlichsten Milieus. Mal sind es Immobiliensammler aus anderen Städten. Mal ist es jemand aus der Marxloher Nachbarschaft, der mit wenig Kapital zum Hausbesitzer und Vermieter werden kann. Mal sind es Investoren aus dem Ausland, die die Billighäuser im Internet finden. Sie alle haben nur eine Gemeinsamkeit: die Hoffnung auf den großen Profit.

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Doch die wird allzu häufig enttäuscht. Das merkte auch der schlaksige Mann mit dunklem Vollbart, der als Chirurg in einer der großen Nachbarstädte Duisburgs arbeitet. Auch er kaufte ein Haus mit vielversprechender Rendite. Die neuen Bewohner zahlten ihre Miete nicht. Rechnungen der Stadtwerke stapelten sich, der Strom wurde jeden Monat von seinem Konto abgebucht. Statt Geld einzubringen, kostete ihn das Haus jeden Monat mehr als 1000 Euro. Eines Nachts fuhr er zu seinem Haus, ging in den Keller und versuchte, den Stromverteiler auszuschalten. Die Mieter gingen erst, als die Stadt mit der Taskforce vor der Tür stand und die Bewohner aufforderten, zu gehen.

In anderen Fällen wiederum lohnt sich das Geschäft. Notdürftig renoviert, lassen sich mehrere Dutzend Menschen in den Häusern einquartieren – und abkassieren. Als die Stadt zwei der Häuser wegen Brandschutzmängel räumte, klagten die Vermieter gegen die Stadt Duisburg. Ihr Argument: Binnen eines Jahres entgingen den Besitzern rund 15.000 Euro.

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Auch Kordi gehört zu den Profiteuren. Vermittelt sie eines der Häuser, verlangt sie eine Provision von vier Prozent. Im vergangenen Jahr hat sie rund 50 dieser Häuser verkauft, am Tag der Razzia stehen drei auf ihrer Homepage. Mittlerweile hat die Stadt Duisburg ihre Strategie im Häuserkampf erweitert. Sie will die Häuser selbst kaufen. Derzeit läuft ein Projekt des Landes, das 95 Prozent der Kosten übernimmt. Sobald die Stadt eines der Häuser bekommt, wird es saniert oder abgerissen.

Dafür müssen jedoch die Menschen raus. Viele Menschen in Marxloh haben deshalb die Handynummer von Maklerin Kordi. So ist sie es, die die Bewohner anrufen, wenn sie nicht weiterwissen. Von Elwis hat sie nichts mehr gehört. Sein Handy war dann irgendwann aus. Vielleicht ist er zurück nach Albanien, vielleicht in ein anderes Haus in Marxloh.

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