Vonovia Platz für neue Mieter, Tortur für Altmieter

Vonovia-Mieterin Alexandra Heldt auf dem Balkon ihrer Wohnung in Dortmund Quelle: Stefan Schütze

Die Aufstockung alter Gebäude schont Ressourcen und schafft schnell dringend benötigten Wohnraum. Für Altmieter aber kann so ein Umbau zur Tortur werden. Ein Beispiel aus Dortmund.

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Der erste Eindruck ist freundlich. Unten zwei renovierte Stockwerke aus den 50er-Jahren, darüber eine frisch aufgesetzte neue Etage – die Häuser an der Blankensteiner Straße in Dortmund wirken ansprechend und modern. Die Handwerker verputzen noch die Wände im Treppenhaus und lackieren Geländer.

Aber von Vorfreude oder gar Dankbarkeit ist im Haus an der Blankensteiner Straße wenig zu spüren. Nur nur fünf Monate sollte die Aufstockung dauern. Rund ein Jahr wurde es dann tatsächlich seit dem Baubeginn am 28.02.2017. Die Mieter mussten viel über sich ergehen lassen in dieser Zeit. Ein halbes Jahr lang dröhnte an jedem Werktag Baulärm direkt über ihren Köpfen und vor ihren Fenstern. Oft erschütterten Vibrationen das ganze Haus zwölf Stunden täglich, unterbrochen nur durch kurze Frühstücks- und Mittagspausen der Bauarbeiter, berichtet Alexandra Heldt, die in der ersten Etage wohnt. Krankheitsbedingt kann die gelernte Ergotherapeutin nicht mehr arbeiten und hat ihre Wohnung geschmackvoll als Refugium eingerichtet. Dort musste die 43-Jährige die Baustelle um und über sich von früh bis spät ertragen bis zur Verzweiflung.

Auch was für den Besucher wie eine Verbesserung aussieht, ist für die Altmieter nur eine Wiederherstellung des vorherigen Zustands. Denn renoviert hatte Vonovia das Treppenhaus schon 2012 im Rahmen einer Modernisierung. Für die Verlegung der Stromleitungen in die aufgesetzte obere Wohnung wurden die Wände im Treppenhaus nun wieder aufgestemmt und Geländer und Kellertür im Lauf der Bauarbeiten ramponiert. Einmal dabei, das in Ordnung zu bringen, verschönert Vonovia immerhin auch noch die Wände im Eingangsbereich mit Granitplatten und lässt im Treppenhaus neue Licht- und Klingelschalter anbringen.

Heldt erkennt durchaus den wohnungspolitischen Nutzen, wenn ressourcenschonend auf bestehende Gebäude weitere Stockwerke aufgesetzt werden: „In der Theorie ist Aufstockung eine wunderbare Idee. In der Umsetzung aber ist es unzumutbar.“

Ob in Dresden, Düsseldorf oder Dortmund: Über 20.000 Wohnungen wollen Deutschlands größte Vermietungskonzerne Vonovia, Deutsche Wohnen und LEG bis 2025 durch Aufstockung oder Nachverdichtung schaffen. Bis vor wenigen Jahren sind sie nur durch Zukäufe gewachsen. Nun wollen sie einen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot in Ballungszentren leisten und bauen selber – vergleichsweise preiswert auf Gebäuden und Grundstücken, die ihnen eh schon gehören. Dachaufstockung ist für Vonovia-Vorstandsmitglied Klaus Freiberg dabei „der verborgene Held der Wohnraumschaffung“.

Bei ihren Projekten aber handeln sich die Konzerne jede Menge Ärger ein. „Wir bauen dort, wo die Menschen leben wollen: Mitten in der Stadt“, beschreibt Vonovia-Regionalleiter Ralf Peterhülseweh das Kernproblem. Der 57-Jährige ist auch zuständig für die Dortmunder Vonovia-Wohnblocks. Und für Frau Heldt, eine von rund einer Million Mieterinnen und Mietern in 350.000 Vonovia-Wohnungen.

Volle Mietzahlung trotz Wasserschäden

Vonovia erwähnte in der Ankündigung zur „Aufstockung der Gebäude um ein drittes Vollgeschoss“ im Juli 2016 „Unannehmlichkeiten wie Lärm und Schmutz während der Bauphase“ und versprach, „die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten“. Nicht durchs Treppenhaus, sondern von außen mit dem Kran wurde das Material transportiert. Das Bauen mit vorgefertigten Modulen soll die Umbauphase extrem verkürzen.

Tatsächlich hat sie sich durch Pech und Pannen immer wieder verzögert. Während der Bauphase kam fünf Mal Wasser durch die Decke der 55-Quadratmeter-Wohung von Frau Heldt, für die sie dennoch weiter die volle Miete zahlte. Zwecks Aufstockung der neuen Etage in modernster Modulbauweise war das Dach entfernt worden, aber die provisorische Abdeckung mit Dachpappe offenbar undicht. Dann gingen Bohrungen von oben glatt durch Heldts Schlafzimmerdecke, in der nun ein Loch klafft. In allen Räumen und an den Decken lösten sich die Tapetennähte durch die ständigen Erschütterungen.

von Martin Gerth, Harald Schumacher, Daniel Schönwitz

Mit den Menschen litten die Haustiere, berichtet Heldt. Ihr 20 Jahre alter Kater Jeru „hatte die schlimmste Zeit seines Lebens“ und erkrankte „nach drei Monaten exzessivem Baulärm-Terror“. Heldt musste ihn einschläfern lassen. Wenn sie davon erzählt, kullern die Tränen. Inzwischen ist Heldts „Nervenkostüm so mürbe, dass jedes Bohren oder Hämmern deutliche Stressreaktionen auslöst“.

Kurz nach Beginn des Umbaus hatte Heldt am 6. März 2017 auf dem Balkon mit einer Zigarette die Nerven stärken wollen. Da fiel einem Arbeiter weiter oben eine Metallstange aus der Hand und der Mieterin auf den Kopf. Blut, Krankenhaus, gesundheitliche Folgeprobleme.

„Auch nach Baubeginn hätten die Mieter natürlich noch umziehen können“, sagt Peterhülseweh zu Heldts Beschreibung der Zustände im vergangenen Jahr. Die Mieterin widerspricht: „Niemand bot mir jemals eine Ersatzwohnung an. Weder mündlich noch schriftlich. Ich hätte so ein Angebot, vorübergehend umzusiedeln, definitiv angenommen.“ In dem 15-Seiten-Brief aus Bochum, der die Dachaufstockung angekündigt hatte, stand nichts von temporärem Umzug auf Kosten Vonovias.

Drei von acht Mietparteien sind zwischenzeitlich ausgezogen aus der Blankensteiner Straße und dem gleich aussehenden Nachbargebäude. Andere hofften offenbar zu früh, es könne ja nicht mehr lange dauern und das Schlimmste sei vorbei. War es aber nicht.

Kleines Schmerzensgeld für die Kundin

Vonovia verspricht nun, Heldts Wohnung auf Konzernkosten zu renovieren und zahlt der Mieterin ein kleines Schmerzensgeld.

Vonovia-Vorstandschef Rolf Buch nennt die Vonovia-Mieter bewusst „Kunden“, um den Mitarbeitern des Dax-Unternehmens deren Stellenwert deutlich zu machen. „Marktführer zu sein ist untrennbar mit Verantwortung verbunden – Verantwortung für die rund eine Million Menschen, die bei uns zuhause sind“, schreibt Vonovia auf der Homepage.

Die Kundin Alexandra Heldt findet, dass sie stattdessen „die pure Ignoranz“ erlebt hat: „Aufgrund der ständigen Schäden und der Kopfverletzung hatte ich zwangsläufig regelmäßigen Kontakt zu verschiedenen Vonovia Angestellten. Allen voran zum Bauleiter – der dadurch wusste, wie sehr ich unter dem Bau litt. Es war bekannt, wie verzweifelt ich darüber war, mich aufgrund des Lärms nicht adäquat kurieren zu können. Auch der Projektleiter und Objektbetreuer wussten davon.“

Mit ihrer öffentlich geäußerten Kritik hofft Heldt, „Bauherren zu sensibilisieren, damit sie künftig betroffene Bestandsmieter pfleglicher behandeln“.

Vonovia hat Konsequenzen gezogen. „Wir haben inzwischen den Generalunternehmer gewechselt“, sagt Regionalchef Peterhülseweh. Eine modulare Aufstockung bei einem Mehrfamilienhaus muss nach seiner Vorstellung „nach einem halben Jahr durch sein und nicht erst nach anderthalb Jahren. Dass es schnell geht, ist ja gerade der Vorteil“. Einen Teil der Probleme entschuldigt der Manager damit, dass dies die erste serielle Dachaufstockung war, Vonovia also erstmals vorgefertigte Bauelemente auf die unteren Etagen aufsetzten ließ: „Bei einem Pilotprojekt klappt selten alles“.

Für die Zukunft nimmt Peterhülseweh sich was vor: „Natürlich müssen wir unseren Mietern die Veränderungen im Bestand erklären, sie sind dadurch mehrere Monate beeinträchtigt – obwohl wir uns große Mühe auf der Baustelle geben.“

Aber bessere Kommunikation ist zu wenig, wenn Vonovia und andere Bauherren bei den Altmietern die Akzeptanz für die gute Idee der Dachaufstockung erhalten oder sogar steigern wollen. Aktiv angebotene Ersatzwohnungen und alternativ deutliche Mietminderungen wären ein faires Angebot für die Monate, in denen der massive Umbau das Wohnen zur Qual macht.

Was Vonovia-Chef Rolf Buch zu den Pannen sagt

Wiwo.de hat Vonovia-Chef Rolf Buch bei der diesjährigen Pressekonferenz in einem feinen Hotel in Düsseldorf dazu befragt. Zu einem finanziellem Entgegenkommen bei Dachaufstockungen zugunsten seiner geplagten Kunden wollte sich der agile Topmanager nicht bekennen. Allgemein gibt er sich und den 8500 Vonovia-Mitarbeitern aber vor: „Wir sind gut beraten, wenn wir uns an den Wünschen unserer Mieter orientieren. Wir haben gelernt, dass Bürgerbeteiligung entscheidend bei Neubauprojekten.“ Noch etwas sagt der Manager: „Wir sagen nicht, dass wir schon alles perfekt machen. Aber wir wollen Fehler nicht zweimal machen.“

Genau das ist aber in Dortmund passiert. Denn zu der Quartier-Entwicklung am Rande des Kreuzviertels gehört ein Neubau im Winkel der Häuserzeilen von Metzer- und Blankensteiner Straße. Vonovia will mit den neuen Gebäuden „die Qualität des Viertels steigern“, will sie teilweise barrierefrei bauen und so groß, dass auch Familien mit Kindern dort einziehen – für eine Kaltmiete von rund neun Euro pro Quadratmeter. Genau das, was die Politik von dem Wohnungskonzern erwartet.

Als Alexandra Heldt das erfuhr, war es zu spät. Bei früherer Information darüber, dass ihre Idylle vor dem Balkon noch 2018 gerodet wird, hätte sie „vor der Aufstockung ein neues Zuhause gesucht. Niemals hätte ich mich dieser Tortur des Umbaus ausgesetzt wenn ich gewusst hätte, das danach die Wohnqualität langfristig ruiniert werden soll“.

Heldt realisierte erst irgendwann während der Leidenszeit durch die Dachaufstockung, dass sie bald nicht mehr in einen freundlichen Garten mit Baumgruppen und Eichhörnchen schauen wird, sondern auf eine Hauswand, Parkplätze, Fahrradständer. Sie erfuhr es „rein zufällig, weil Bohrungen im Garten stattfanden und einem Nachbarn die Garage gekündigt wurde“. Vonovia beteuert, sich um eine gute Informationspolitik zu bemühen und verweist auf eine Informationsveranstaltung in einer Kirche im Kreuzviertel. Heldt aber beklagt „Intransparenz als einen der zentralen Kritikpunkte an Vonovia“.

Nun versucht die freundlich auftretende, sprachgewandte Dortmunderin zusammen mit Nachbarn in einer Mieterinitiative, das aus ihrer Sicht Schlimmste zu verhindern. Sie ist keine typische Wut-Mieterin. Gerade deshalb findet sie Gehör. Die Lokalpresse berichtet viel über die Probleme bei der Quartiersentwicklung im Kreuzviertel, und Vonovia hat inzwischen eine Alternativplanung angeboten. Der Abstand der neuen zu den schon bestehenden Häusern wäre dabei etwas größer, ein paar Bäume blieben erhalten.

„Dass wir jeden überzeugen können, der durch die Veränderungen Nachteile befürchtet, kann man nicht erwarten“, sagt Peterhülseweh: „Aber wir bekommen viel positives Feedback, wenn Mieter ihre Ideen einbringen können und merken, dass wir ihre Anliegen ernst nehmen und uns Gedanken machen“.

Immerhin: Anders als noch 2017 informiert Vonovia neue Miet-Interessenten, die sich in der Blankensteiner und der Metzer Straße Wohnungen anschauen, in der Regel nun aktiv über den geplanten Neubau im Garten. „Vielleicht hat Vonovia ein Fünkchen aus unserer Kritik gelernt“, schlussfolgert Heldt daraus: „Oder sie haben keine Lust auf noch mehr Aktivisten.“

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