Herr Müller hat sich vor ein paar Jahren eine Farm in Neuseeland gekauft. So weit weg wie möglich. So abgeschirmt wie möglich. Die globale Lage verursacht ihm Unwohlsein. Außerdem unterhält er noch drei weitere Wohnsitze auf der Welt. Für ihn ist deshalb neben der Toplage besonders wichtig, dass das Team rund um Zaubermeister Sorrentino über seine neue Düsseldorfer Heimstätte während der vielen Monate wacht, die er nicht in ihr verbringen wird. Ähnlich wie Neuseeland bietet das Andreas-Quartier außerdem Abgeschiedenheit. Allerdings inmitten der Stadt. Die Bewohner können den Kontakt mit der Stadt dosieren wie Waschpulver. In einer Werbebroschüre der Frankonia heißt es, zum „Rundum-Wohlfühl-Service“, den man bieten wolle, gehörte neben der „Sicherheit“ natürlich auch der „Schutz der Privatsphäre“. Über das Andreas-Quartier im Besonderen und Stadtviertel im Allgemeinen sprechen möchte Frankonia nicht. Der Entwickler vom Niederrhein macht an allen Fronten dicht.
Die Sicherheitslage in Düsseldorf ist natürlich nur schwerlich mit der in Rio de Janeiro oder Johannisburg zu vergleichen. Auch drängen die Menschen hierzulande mit Verve in die Stadt, während sie anderswo suburban siedeln. Deshalb verläuft die Entwicklung in Deutschland auch etwas anders als im Rest der Welt. „Abgeschirmtes Wohnen“ nennen Soziologen den Trend. Der Begriff trifft auf immer mehr der in Düsseldorf, München, Berlin und Hamburg sprießenden Stadtquartiere mit ihren hellen, neoklassizistischen Fassaden zu. „Diese Quartiere stellen mit dem Gemeinwesen der europäischen Stadt etwas ganz Ähnliches an wie die Gated Communities in den Metropolen Amerikas, Asiens oder Afrikas“, erläutert Tim Rieniets von der Landesinitiative StadtBauKultur NRW, ein vom nordrhein-westfälischen Bauministerium geförderter Thinktank. Er sagt, man brauche keinen Zaun, um auf eine sehr subtile Art zu sagen: „Hier gehörst du nicht rein.“ „Es geht darum, sich über Ästhetik und Freiraumgestaltung zu exkludieren.“
Rund um das blitzblanke Andreas-Quartier ist dieses Aufeinanderprallen von alter und neuer Stadt besonders gut zu beobachten. Bisweilen liegen dort auf dem Kopfsteinpflaster nicht nur zerbrochene Bierflaschen, sondern auch jene, die sie ausgetrunken haben. Jeden Mittwoch zelebriert die Stadt auf „der Ratinger“ wie das Sams die Halbzeit bis zum Wochenende. Die Ratinger Straße begrenzt eine Seite des Andreas-Quartiers. Menschen aller Facetten versammeln sich dort bei jedem Wetter vor einer der zahlreichen Kneipen, trinken, reden, treffen Freunde und machen neue. Der Neubau ist insofern eine Insel inmitten von dem, was Stadt eben auch ist: ein Meer aus Leben und Lärm, aus zersplitterten Pullen und Gestalten.
Mailwechsel mit Gehl Architects aus Kopenhagen. Jan Gehl, einer der einflussreichsten Stadtplaner der Welt, hat zu städtischem Nebeneinander wie diesem eine klare Meinung. Nach Rücksprache mit ihrem Chef schreibt Louise Kielgast, ebenfalls Stadtplanerin bei Gehl Architects: Man müsse anerkennen, dass Menschen sich gerne unter ihresgleichen niederlassen. Die größte Herausforderung dabei sei, städtische Nachbarschaften davor zu bewahren, in homogene Gated Communities zu zerfallen – sowohl in der Architektur als auch in der Denkweise. „Sobald Häuser wie eine Gated Community funktionieren, ist es die Aufgabe von Straße und öffentlichem Raum, Interaktion und demokratische Teilhabe herzustellen“, so Kielgast. Vor allem in Städten mit großer sozialer Disparität habe öffentlicher Raum die Möglichkeit und die Aufgabe, sozial zu neutralisieren.