Wohnquartiere für Reiche boomen Wohnen im Luxus-Ghetto

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Was bedeutet Lebensqualität in der Stadt?

Mit diesem Ansatz hat Gehl seiner Heimatstadt Kopenhagen so viel Leben und Fahrradwege beschert, dass diese schon dreimal zur attraktivsten des Planeten gekürt wurde. Er hat an Moskau herumgebastelt und Manhattan ein neues Image verpasst. Bauten von Stararchitekten wie Rem Koolhaas, Frank Gehry oder Norman Foster hat Gehl einmal als „Vogelkot-Architektur“ bezeichnet. Früher hat ihm seine große Klappe bei der Konkurrenz nur ein genervtes Achselzucken eingebracht. Heute hält die Konkurrenz die Klappe und erstarrt in Ehrfurcht vor Gehls Visionen. Dabei stellt der Däne sich selbst und allen anderen nur eine einfache Frage: Was bedeutet Lebensqualität in der Stadt?

In der Düsseldorfer Altstadt gehen die Meinungen darüber auseinander. Manche Wirte befürchten, dass ihnen das Andreas-Quartier Sperrstunden und Klagen wegen Lärmbelästigung einbringen wird. Andere sehen die Entwicklung positiv. Isa Fiedler, Sprecherin der Altstadtwirte, sagt, sie freue sich darüber, dass zusätzliches Klientel in die Gassen gespült und die Qualität des Angebotes verbessert würde. „Das wird schön werden“, sagt sie. Jens Oliver Pommeranz, Geschäftsführer einer in der Nachbarschaft ansässigen Personalberatung und Sprecher einer von ihm mitinitiierten Anwohnerinitiative, hätte sich mehr experimentelle Architektur gewünscht. Diese hätte der nahe gelegenen, international renommierten Kunstakademie Rechnung getragen und sozialen Wohnungsbau beinhaltet. „Die Altstadt hätte als spannender, kreativer Wohn- und Lebensraum reaktiviert, die noch rudimentär bestehende soziale Mischung stabilisiert werden können“, sagt er.

Der Kampf ums offene Tor

Ein Schwenk in den Berliner Prenzlauer Berg. Es ist Freitagabend, 18 Uhr. Im Marthashof in der Schwedter Straße ist das Tor zum Innenhof geschlossen. Eine Mutter, mit ihren beiden Kindern auf dem Weg an den Abendbrottisch, lässt bereitwillig für einen Besichtigungsgang ein und erzählt, dass die Situation mit dem Tor ungeklärt sei. Die Stadt sei natürlich gegen eine solche Schließanlage, sagt sie, während sie aufsperrt. Fixiert hat sie das aber im Rahmen einer sanierungsrechtlichen Auflage nur mit dem Bauträger Stofanel – nicht mit den neuen Eigentümern der Wohnungen. Die Vereinbarung war also hinfällig, kaum dass die Wohnungen verkauft und bezogen waren. Dieses Versäumnis hat die Hauptstadt lange beschäftigt.

Welche Städte Investoren 2016 favorisieren

Eine Anwohnerinitiative kämpfte für ein offenes Tor. Die Bezirksversammlung (BVV) schaltete sich auf Antrag der Piraten-Fraktion ein. Die Drucksache VII-0423 mit dem Titel „Marthashof für alle“ sollte bei den Eigentümern und der Verwaltungsgesellschaft der Anlage darauf hinwirken, die Tore den ganzen Tag über zum Wohle aller offen zu lassen. Begründung: Die umliegende Bevölkerung würde sonst von der Nutzung der Grünanlage ausgeschlossen, „sodass sich mehr und mehr eine stets von der BVV abgelehnte Gated Community herausbildet, die sich von der umliegenden Bevölkerung abschottet“. Gebracht hat das wenig. Mal sind die Tore auf. Mal wie heute am frühen Abend zu. Irgendwie haben sich alle daran gewöhnt. Genau wie an den Concierge, den es hier gibt.

Den gibt es auch in den Kastaniengärten, unmittelbar neben dem Marthashof gelegen. Daran mag schuld sein, dass viele der wohlhabenden Käufer nicht aus Deutschland kommen. „Für die meisten der ausländischen Investoren, die den Berliner Wohnungsmarkt inzwischen dominieren, sei es völlig normal, dass es jemanden gibt, der die Post entgegennimmt und kontrolliert, dass die Anlage nur mit Zustimmung des Nutzers betreten wird“, sagt Thomas Zabel, Vorstand der auf internationale Immobilienkunden spezialisierten Zabel Property AG. „Das Sicherheitsbedürfnis ist riesig groß.“

Wo der Immobilienboom Wohnen besonders stark verteuert hat
Hamburg Quelle: dpa
Freiburg Quelle: dpa
Kaiserdom in Aachen Quelle: dpa
Luftaufnahme von Oldenburg Quelle: Bin im Garten CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Altstadt von Dresden Quelle: dpa
Englischer Garten in München Quelle: dpa
Nürnberg Quelle: dpa

Schlecht sei das ja alles auch nicht, sagt die Frau mit dem Kinderwagen, während sie das Tor zum Marthashof von innen zudrückt. Für die Kinder sei die Abgeschiedenheit mitten in der Stadt herrlich, für sie ein Stück Lebensqualität. Und tatsächlich. Einmal drin im Marthashof ist von Stadt nichts mehr zu spüren. Hängematten schaukeln im Abendwind. Es gibt eine Liegewiese, bewachsene Pergolas, geschmackvolle Illumination. Die Gehwege sind verlassen. Ähnlich geht es in den Prenzlauer Gärten am Friedrichshain zu. „Paradiesisch wohnen, mitten in Berlin“, so warben die Projektentwickler einst für die neue Siedlung. Sie sollte „Berlins erstes Townhouse-Quartier nach englischem Vorbild“ werden. Tatsächlich wirkt die Anlage wie eine Kulisse aus der Truman-Show. Wie ein amerikanischer Vorort. Ein paar versprengte Kinder spielen verstecken im Abenddunkel. Stimmengemurmel. Vor den Häusern stehen Mittelklassewagen. Alles ist sauber, es fehlt an Müll und anderen Spuren von Großstadt.

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