Wohnquartiere für Reiche boomen Wohnen im Luxus-Ghetto

Weltweit gibt es immer mehr Wohnquartiere, die abgeschirmte Exklusivität bieten. Was diese Entwicklung mit der Stadt und ihren Bewohnern macht und wie sie unsere Art zu leben verändert.

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Schotten dicht. Blick von der Straße auf die Choriner Höfe in Berlin. Quelle: dpa

Herr Müller liebt Weißwein vom Ende der Welt. Er liebt Diskretion und heißt deswegen in Wirklichkeit auch anders. Und er liebt Service und Sicherheit. Deshalb hat er sich eine Wohnung im Düsseldorfer Andreas-Quartier zugelegt. Das Andreas-Quartier ist das derzeit luxuriöseste und zentralste Wohnprojekt in der an luxuriösen und zentralen Bauprojekten so reichen Stadt am Rhein. Der Quadratmeter kostet ab 4000 Euro aufwärts, für ein Penthouse werden um die 16 000 Euro fällig. „Die Lage ist nicht wiederholbar“, sagt Müller. Ihm sei es wichtig, mitten im Leben zu sein, erklärt er, während er sein Fischallerlei zerteilt, das so kunterbunt ist wie die Stadt, dessen Filetstück er sich rausgepickt hat.

In seiner neuen Residenz wird Müller auch auf Raffaele Sorrentino treffen, den ehemaligen Chef-Concierge der Berliner Edelherberge Adlon. Jetzt ist er im Andreas-Quartier dafür zuständig, den Bewohnern das Leben so lebenswert wie möglich zu machen. „Sorrentino ist ein Zauberer mit Kontakten in die ganze Welt“, sagt eine ehemalige Kollegin aus dem Adlon. „Er könnte vermutlich jede Flasche Weißwein aufspüren, die jemals gekeltert worden ist.“ Öffentlichkeit wird Sorrentino künftig weghexen. Das Team rund um den Concierge soll jenen den Zugang zum Andreas-Quartiers verwehren, die nicht dort hingehören.

So wohnen die Deutschen in verschiedenen Lebensphasen

Wer hinein möchte, braucht eine PIN, eine Chipkarte oder einen entsprechenden Kontakt. Es handle sich um ein abgeschlossenes Quartier, erzählt ein Mitarbeiter der Frankonia bereitwillig, der im Showroom des Projektentwicklers Dienst tut. Noch sieht das Altstadt-Juwel aus, als hätte Verpackungskünstler Christo eines seiner Laken darüber gestülpt. Das, was darunter Realität werden soll, hat in Deutschland einen ziemlich bitteren Beigeschmack. Bürger, die sich abschotten, verursachen Magengrummeln. Die Schere, die aufklappt zwischen Arm und Reich, Gemeinwohl, das sich dünne macht, Reichtum, der durch Wohnen zur Schau gestellt wird, all das gilt als anstößig.

Weltweit ist der Trend zum Rückzug in die Wohlfühlenklave nicht mehr zu stoppen. Immer mehr Wohlhabende igeln sich in isolierten Apartmenthäusern, Wohnvierteln, ummauerten Anlagen mit Hunderten von Häusern oder gleich ganzen, umzäunten Städten ein. Gated Community nennt sich das dann. Status, Prestige, das Bedürfnis, unter Gleichen zu leben, der Wunsch nach Sauberkeit, Ordnung, Service und Komfort, die Suche nach Gemeinschaft in einer unübersichtlich und chaotisch gewordenen Außenwelt sind die Grundlage dieses Wunsches.

Hier wohnen die Mächtigen der Welt
huGO-BildID: 28587650 Berlin/ ARCHIV: Schloss Bellevue, der Amtssitz des Bundespraesidenten, spiegelt sich in Berlin vor dem Grossen Zapfenstreich fuer den ehemaligen Bundespraesidenten Christian Wulff in einem Gewaesser (Foto vom 08.03.12). Die SPD will die Leistungen fuer ehemalige Bundespraesidenten wegen der Erfahrungen mit Christian Wulff neu regeln. Der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Carsten Schneider, sagte der "Sueddeutschen Zeitung" (Mittwochausgabe vom 31.10.12), Wulff habe seine Amtszeit nicht einmal zur Haelfte geleistet und durch seinen Umgang mit der Wahrheit dem hoechsten Amt im Staat schweren Schaden zugefuegt. Eine Gleichbehandlung mit seinen Vorgaengern halte die SPD daher "nicht fuer akzeptabel". (zu dapd-Text) Foto: Clemens Bilan/dapd Quelle: dapd
huGO-BildID: 47142114 A State Banquet is set up in the ballroom during a press preview for the Summer opening of Buckingham Palace in London, Thursday, July 23, 2015. Last year the Royal Family welcomed around 62,000 guests to Buckingham Palace, at State Visits, receptions, Garden Parties, Investitures and private audiences. At the Summer Opening of the Palace displays throughout the State Rooms will recreate the settings for some of these royal occasions, and give a unique insight into what goes into creating a royal welcome ñ from the laying of a table at a State Banquet to the creation of an outfit worn by the Queen to receive visitors. (AP Photo/Frank Augstein) Quelle: AP
huGO-BildID: 42895194 Britain's Prime Minister David Cameron walks back into 10 Downing Street after speaking upon his return after meeting with Queen Elizabeth at Buckingham Palace in central London March 30, 2015. Campaigning in Britain's closest national election in decades started on Monday after Cameron meet Queen Elizabeth following parliament's dissolution, teeing up an unusually fraught battle to govern the $2.8 trillion economy. REUTERS/Stefan Wermuth Quelle: REUTERS
huGO-BildID: 46664688 A RAF flypast of one Spitfire and a Typhoon aircraft passes over Buckingham Palace to mark the 75th anniversary of the Battle of Britain, in London, Britain July 10, 2015. REUTERS/Anthony Devlin/pool Quelle: REUTERS
huGO-BildID: 28611334 ARCHIV - Das Weiße Haus, aufgenommen am 03.11.2009 in Washington. In dem Machtzentrum des Präsidenten gibt es 132 Räume. Foto: Rainer Jensen/dpa (zu dpa Themenpaket zur US-Präsidentenwahl 2012 vom 02.11.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa
huGO-BildID: 29057971 FILE - In this April 5, 2006 file photo is seen the Palacio da Alvorada, or Palace of Dawn, the official residence of Brazilian presidents which was designed by architect Oscar Niemeyer in Brasilia, Brazil. According to a hospital spokeswoman on Wednesday, Dec. 5, 2012, famed Brazilian architect Oscar Niemeyer has died at age 104. (Foto:Eraldo Peres, File/AP/dapd) Quelle: dapd

In Istanbul wird kaum eine neue Siedlung ohne Tor davor gebaut. In São Paulo haben sich reiche Brasilianer hinter einem sechs Meter hohen und fünf Kilometer langen Betonwall verschanzt. In den USA stieg die Zahl von Häusern in Gated Communities laut Zensusdaten im vergangenen Jahrzehnt um 53 Prozent.

Mike Davis, amerikanischer Historiker und Stadtsoziologe, skizzierte in seinem Werk „City of Quartz“ schon Anfang der Neunzigerjahre ein Bild urbanen Verfalls. Er beschwört auf 500 Seiten die Düsternis einer in privatwirtschaftlich organisierten Einheiten zerbröselten Stadt, die von der Polizei abgesichert wird wie ein Gefängnis. Davis beschreibt sein postmodernes Atlantis am Beispiel von Los Angeles und orakelt, die Stadt würde zu einer Festung, das öffentliche Leben nur noch hinter Mauern stattfinden, der öffentliche Raum gänzlich abgewertet. Davis’ Befürchtung droht nun in vielen Städten der Welt Realität zu werden.

Herr Müller will weg

Herr Müller hat sich vor ein paar Jahren eine Farm in Neuseeland gekauft. So weit weg wie möglich. So abgeschirmt wie möglich. Die globale Lage verursacht ihm Unwohlsein. Außerdem unterhält er noch drei weitere Wohnsitze auf der Welt. Für ihn ist deshalb neben der Toplage besonders wichtig, dass das Team rund um Zaubermeister Sorrentino über seine neue Düsseldorfer Heimstätte während der vielen Monate wacht, die er nicht in ihr verbringen wird. Ähnlich wie Neuseeland bietet das Andreas-Quartier außerdem Abgeschiedenheit. Allerdings inmitten der Stadt. Die Bewohner können den Kontakt mit der Stadt dosieren wie Waschpulver. In einer Werbebroschüre der Frankonia heißt es, zum „Rundum-Wohlfühl-Service“, den man bieten wolle, gehörte neben der „Sicherheit“ natürlich auch der „Schutz der Privatsphäre“. Über das Andreas-Quartier im Besonderen und Stadtviertel im Allgemeinen sprechen möchte Frankonia nicht. Der Entwickler vom Niederrhein macht an allen Fronten dicht.

In diesen Städten ist der Luxus zu Hause
Schöne Prachtbauten im Grünen: Stuttgart Quelle: Dahler & Company Immobilien
Villa mit Pool Quelle: Dahler & Company Immobilien
Maisonette-Wohnung in Köln Quelle: Dahler & Company Immobilien
Luxus-Apartment in Frankfurt Quelle: Dahler & Company Immobilien
Premium-Wohnen in Hamburg Quelle: Dahler & Company Immobilien
Hamburger Immobilienmarkt Quelle: Dahler & Company Immobilien
Wohnen mit Blick auf die Außenalster Quelle: Dahler & Company Immobilien

Die Sicherheitslage in Düsseldorf ist natürlich nur schwerlich mit der in Rio de Janeiro oder Johannisburg zu vergleichen. Auch drängen die Menschen hierzulande mit Verve in die Stadt, während sie anderswo suburban siedeln. Deshalb verläuft die Entwicklung in Deutschland auch etwas anders als im Rest der Welt. „Abgeschirmtes Wohnen“ nennen Soziologen den Trend. Der Begriff trifft auf immer mehr der in Düsseldorf, München, Berlin und Hamburg sprießenden Stadtquartiere mit ihren hellen, neoklassizistischen Fassaden zu. „Diese Quartiere stellen mit dem Gemeinwesen der europäischen Stadt etwas ganz Ähnliches an wie die Gated Communities in den Metropolen Amerikas, Asiens oder Afrikas“, erläutert Tim Rieniets von der Landesinitiative StadtBauKultur NRW, ein vom nordrhein-westfälischen Bauministerium geförderter Thinktank. Er sagt, man brauche keinen Zaun, um auf eine sehr subtile Art zu sagen: „Hier gehörst du nicht rein.“ „Es geht darum, sich über Ästhetik und Freiraumgestaltung zu exkludieren.“

Rund um das blitzblanke Andreas-Quartier ist dieses Aufeinanderprallen von alter und neuer Stadt besonders gut zu beobachten. Bisweilen liegen dort auf dem Kopfsteinpflaster nicht nur zerbrochene Bierflaschen, sondern auch jene, die sie ausgetrunken haben. Jeden Mittwoch zelebriert die Stadt auf „der Ratinger“ wie das Sams die Halbzeit bis zum Wochenende. Die Ratinger Straße begrenzt eine Seite des Andreas-Quartiers. Menschen aller Facetten versammeln sich dort bei jedem Wetter vor einer der zahlreichen Kneipen, trinken, reden, treffen Freunde und machen neue. Der Neubau ist insofern eine Insel inmitten von dem, was Stadt eben auch ist: ein Meer aus Leben und Lärm, aus zersplitterten Pullen und Gestalten.

Die wichtigsten Wohn-Urteile des Jahres
Bundesgerichtshof Quelle: dpa
Renovierung Quelle: dpa
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Rauchen Quelle: dpa
Bonsai Quelle: dpa
Parkett Quelle: dpa

Mailwechsel mit Gehl Architects aus Kopenhagen. Jan Gehl, einer der einflussreichsten Stadtplaner der Welt, hat zu städtischem Nebeneinander wie diesem eine klare Meinung. Nach Rücksprache mit ihrem Chef schreibt Louise Kielgast, ebenfalls Stadtplanerin bei Gehl Architects: Man müsse anerkennen, dass Menschen sich gerne unter ihresgleichen niederlassen. Die größte Herausforderung dabei sei, städtische Nachbarschaften davor zu bewahren, in homogene Gated Communities zu zerfallen – sowohl in der Architektur als auch in der Denkweise. „Sobald Häuser wie eine Gated Community funktionieren, ist es die Aufgabe von Straße und öffentlichem Raum, Interaktion und demokratische Teilhabe herzustellen“, so Kielgast. Vor allem in Städten mit großer sozialer Disparität habe öffentlicher Raum die Möglichkeit und die Aufgabe, sozial zu neutralisieren.

Was bedeutet Lebensqualität in der Stadt?

Mit diesem Ansatz hat Gehl seiner Heimatstadt Kopenhagen so viel Leben und Fahrradwege beschert, dass diese schon dreimal zur attraktivsten des Planeten gekürt wurde. Er hat an Moskau herumgebastelt und Manhattan ein neues Image verpasst. Bauten von Stararchitekten wie Rem Koolhaas, Frank Gehry oder Norman Foster hat Gehl einmal als „Vogelkot-Architektur“ bezeichnet. Früher hat ihm seine große Klappe bei der Konkurrenz nur ein genervtes Achselzucken eingebracht. Heute hält die Konkurrenz die Klappe und erstarrt in Ehrfurcht vor Gehls Visionen. Dabei stellt der Däne sich selbst und allen anderen nur eine einfache Frage: Was bedeutet Lebensqualität in der Stadt?

In der Düsseldorfer Altstadt gehen die Meinungen darüber auseinander. Manche Wirte befürchten, dass ihnen das Andreas-Quartier Sperrstunden und Klagen wegen Lärmbelästigung einbringen wird. Andere sehen die Entwicklung positiv. Isa Fiedler, Sprecherin der Altstadtwirte, sagt, sie freue sich darüber, dass zusätzliches Klientel in die Gassen gespült und die Qualität des Angebotes verbessert würde. „Das wird schön werden“, sagt sie. Jens Oliver Pommeranz, Geschäftsführer einer in der Nachbarschaft ansässigen Personalberatung und Sprecher einer von ihm mitinitiierten Anwohnerinitiative, hätte sich mehr experimentelle Architektur gewünscht. Diese hätte der nahe gelegenen, international renommierten Kunstakademie Rechnung getragen und sozialen Wohnungsbau beinhaltet. „Die Altstadt hätte als spannender, kreativer Wohn- und Lebensraum reaktiviert, die noch rudimentär bestehende soziale Mischung stabilisiert werden können“, sagt er.

Der Kampf ums offene Tor

Ein Schwenk in den Berliner Prenzlauer Berg. Es ist Freitagabend, 18 Uhr. Im Marthashof in der Schwedter Straße ist das Tor zum Innenhof geschlossen. Eine Mutter, mit ihren beiden Kindern auf dem Weg an den Abendbrottisch, lässt bereitwillig für einen Besichtigungsgang ein und erzählt, dass die Situation mit dem Tor ungeklärt sei. Die Stadt sei natürlich gegen eine solche Schließanlage, sagt sie, während sie aufsperrt. Fixiert hat sie das aber im Rahmen einer sanierungsrechtlichen Auflage nur mit dem Bauträger Stofanel – nicht mit den neuen Eigentümern der Wohnungen. Die Vereinbarung war also hinfällig, kaum dass die Wohnungen verkauft und bezogen waren. Dieses Versäumnis hat die Hauptstadt lange beschäftigt.

Welche Städte Investoren 2016 favorisieren

Eine Anwohnerinitiative kämpfte für ein offenes Tor. Die Bezirksversammlung (BVV) schaltete sich auf Antrag der Piraten-Fraktion ein. Die Drucksache VII-0423 mit dem Titel „Marthashof für alle“ sollte bei den Eigentümern und der Verwaltungsgesellschaft der Anlage darauf hinwirken, die Tore den ganzen Tag über zum Wohle aller offen zu lassen. Begründung: Die umliegende Bevölkerung würde sonst von der Nutzung der Grünanlage ausgeschlossen, „sodass sich mehr und mehr eine stets von der BVV abgelehnte Gated Community herausbildet, die sich von der umliegenden Bevölkerung abschottet“. Gebracht hat das wenig. Mal sind die Tore auf. Mal wie heute am frühen Abend zu. Irgendwie haben sich alle daran gewöhnt. Genau wie an den Concierge, den es hier gibt.

Den gibt es auch in den Kastaniengärten, unmittelbar neben dem Marthashof gelegen. Daran mag schuld sein, dass viele der wohlhabenden Käufer nicht aus Deutschland kommen. „Für die meisten der ausländischen Investoren, die den Berliner Wohnungsmarkt inzwischen dominieren, sei es völlig normal, dass es jemanden gibt, der die Post entgegennimmt und kontrolliert, dass die Anlage nur mit Zustimmung des Nutzers betreten wird“, sagt Thomas Zabel, Vorstand der auf internationale Immobilienkunden spezialisierten Zabel Property AG. „Das Sicherheitsbedürfnis ist riesig groß.“

Wo der Immobilienboom Wohnen besonders stark verteuert hat
Hamburg Quelle: dpa
Freiburg Quelle: dpa
Kaiserdom in Aachen Quelle: dpa
Luftaufnahme von Oldenburg Quelle: Bin im Garten CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Altstadt von Dresden Quelle: dpa
Englischer Garten in München Quelle: dpa
Nürnberg Quelle: dpa

Schlecht sei das ja alles auch nicht, sagt die Frau mit dem Kinderwagen, während sie das Tor zum Marthashof von innen zudrückt. Für die Kinder sei die Abgeschiedenheit mitten in der Stadt herrlich, für sie ein Stück Lebensqualität. Und tatsächlich. Einmal drin im Marthashof ist von Stadt nichts mehr zu spüren. Hängematten schaukeln im Abendwind. Es gibt eine Liegewiese, bewachsene Pergolas, geschmackvolle Illumination. Die Gehwege sind verlassen. Ähnlich geht es in den Prenzlauer Gärten am Friedrichshain zu. „Paradiesisch wohnen, mitten in Berlin“, so warben die Projektentwickler einst für die neue Siedlung. Sie sollte „Berlins erstes Townhouse-Quartier nach englischem Vorbild“ werden. Tatsächlich wirkt die Anlage wie eine Kulisse aus der Truman-Show. Wie ein amerikanischer Vorort. Ein paar versprengte Kinder spielen verstecken im Abenddunkel. Stimmengemurmel. Vor den Häusern stehen Mittelklassewagen. Alles ist sauber, es fehlt an Müll und anderen Spuren von Großstadt.

Die Privatisierung der Stadt

Während über Zwerganlagen wie dem Marthashof oder den Prenzlauer Gärten hierzulande je nach Wetterlage die Wellen der Empörung zusammenschwappen, kräht in den USA längst kein Hahn mehr nach abgezäunten Enklaven. Manche von ihnen, etwa Sandy Springs im US-Bundesstaat Georgia, haben sich als komplett unabhängige Städte etabliert. 90 000 Menschen leben hier. Fast alle Verwaltungsaufgaben hat ein privates Unternehmen übernommen. Acht Mitarbeiter braucht es dafür. Die Stadt ist hocheffizient. Profitabel. Erfolgreich. Am Gemeinwohl interessiert ist ein Unternehmen aber nicht.

Mickey Shaer ist 52 und ein blitzgescheiter Kopf. Er hat noch nie anders als „gated“ gewohnt. Zumindest, seit er im Land der unbegrenzten Möglichkeiten lebt. Vor 20 Jahren kam er aus Gaza. Er weiß, was es heißt, Angst zu haben. Er kenne niemanden, der nicht in einer Gated Community wohne und noch nicht ausgeraubt worden sei, erzählt Shaer. Tor zu. Stadt draußen. Sicherheit drinnen.

Shaer lebt eine halbe Stunde außerhalb von Miamis Glitzerwelt in einer für amerikanische Verhältnisse possierlichen Anlage mit dem Namen Sunset Point. 65 Häuser in Pastellfarben. Gehobene Mittelschicht. Zwei bis drei Autos. Zwischen 180 und 400 Quadratmeter Wohnfläche pro Einheit. Jeweils ein Pool. Zwischen 350 000 und 600 000 Dollar kostet ein Haus.

Shaers Haus hat eine Wendeltreppe, einen Kronleuchter, der Versailles alle Ehre machen würde, Gemälde an der Wand, viele Schlafzimmer. Es ist eines der größten Häuser der Anlage. Das wird von den Nachbarn wahrgenommen. Auch innerhalb von homogenen Gesellschaften gibt es Hierarchien. Mickey stört, dass nicht jeder so leben kann wie er. Er liebt die Sauberkeit, die Sicherheit, die Überschaubarkeit, die Freundlichkeit. Jeder winkt jedem, das gehört sich so. Sicherheitspersonal fährt durch die Straßen. So viel blitzblankes Leben kostet neben den Immobilienpreisen 475 Dollar, die alle drei Monate fällig werden. Das ist sehr günstig im Vergleich zu anderen Communities. Dafür wacht die Verwaltung der Anlage darüber, dass alle Häuser in bestimmten Farben gestrichen, Dächer neu gedeckt, Blätter vor dem Haus geharkt sind, dass weder Auto noch Müll auf der Straße stehen und nur eine bestimmte Anzahl Palmen vor dem Haus wächst. Das Regelwerk von Sunset Point ist 400 Seiten stark. Strafen über 1000 Dollar sind üblich für denjenigen, der dagegen verstößt.

Herr Müller wird irgendwann im Sommer dieses Jahres seine knapp 400 Quadratmeter große Wohnung mit Dachterrassen-Blick über den Rhein beziehen. Die Altstadt sieht und hört er von dort oben nicht. Es gibt in dieser Wohnung alles vom Hauswirtschafts- und Angestelltenraum bis hin zur Bibliothek. Ein Aufzug fährt direkt in die Wohnung. Innenarchitekten, Landschaftsplaner, Lichtplaner, Elektroplaner, Medienberater, Raumgestalter und Haustechnikplaner haben dafür gesorgt, dass drinnen alles so perfekt ist wie die Lage draußen. Nicht mehr als drei Monate im Jahr plant Müller in seiner Residenz zu verbringen. Wenn er da ist, wird er so dicht an der Stadt sein, wie es dichter kaum geht.

Falls die Urbanität ihm aber doch mal zu sehr auf die Pelle rückt, macht er einfach das Tor zu.

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