Wie ein Zahnstocher ragt der Turm der ehemaligen Gerresheimer Glasfabrik aus dem planierten Areal. Hier sollte Düsseldorfs größtes Wohnprojekt entstehen; ein neuer Stadtteil für mehrere tausend Bürger. Eigentlich. Derzeit tut sich jedoch nichts. Vor 2021 werde wohl nicht gebaut, schätzt Harald Schwenk, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen in Düsseldorf. Projektentwickler Brack Capital Properties änderte seine Pläne im Januar. Jetzt folge ein Abstimmungsprozess, der bis Ende des Jahres dauern könnte, so Schwenk. Erst dann könne der Projektentwickler einen Bauantrag stellen.
Das Planungsdezernat der Stadt Düsseldorf legt sich nicht fest. Es gebe noch keinen konkreten Zeitplan, weil die veränderte Planung für das Glasmacherviertel noch nicht abgeschlossen sei, heißt es. Bereits wegen des Verkaufs an einen neuen Investor 2017 sei es nötig gewesen, vom ursprünglichen Zeitplan abzuweichen. Brack Capital sieht den Baubeginn bei 2021 beziehungsweise 2022. Früher gehe es jedoch beim Turm der Glasfabrik los.
Das Glasmacherviertel in Düsseldorf-Gerresheim ist typisch für viele Wohnbauprojekte in Deutschland. Mit viel Tamtam wird ein Gelände zur Keimzelle für einen neuen Stadtteil erklärt. Der Bauherr verspricht schnelle Hilfe gegen die Wohnungsnot. Dann jedoch stockt das Projekt. Erste Zweifel am Willen des Grundstückseigentümers, zu bauen, kommen auf. Nach einigen Jahren, wechselt der Eigentümer. Die gesamte Planung wird auf Null gestellt. Erneut startet ein langer bürokratischer Prozess. Das Bauland bleibt solange ungenutzt.
Die wichtigsten Vorschriften für den Erwerb von Baugrundstücken
Das Recht, Grundstücke vor allen anderen Interessenten kaufen zu dürfen, wenden Gemeinden bei potenziellem Bauland an. Zulässig ist es beispielsweise bei Flächen, die für Straßen oder Bahnlinien vorgesehen sind. Betroffen sind auch Grundstücke, auf denen sich Wohnungen bauen lassen. Eigentümer können ihr Grundstück nicht mehr auf dem freien Markt anbieten.
Um das Vorkaufsrecht durchzusetzen, kann die Kommune eine solche Maßnahme für ein räumlich begrenztes Gebiet beschließen. Dann muss sie laut Gesetz nachweisen, dass das Vorkaufsrecht dem „Wohl der Allgemeinheit“ dient und offen legen, wie sie das Bauland nutzen will. In die Grundbücher der betroffenen Grundstücke wird ein Vermerk zur SEM eingetragen.
Solche Entwicklungsmaßnahmen beschließen vor allem Großstädte, um größere Flächen für Wohnbauprojekte zu erschließen. Die Kommune kann dabei die Bodenpreise einfrieren, Grundstücke erwerben, Verkaufsgewinne in Infrastruktur investieren und notfalls Eigentümer enteignen.
Bürgerinitiativen wie Heimatboden in München zweifeln daran, dass eine SEM ohne Enteignung rechtlich zulässig sei. Für solche Fälle gebe es andere Maßnahmen, die weniger stark in die Rechte von Grundstückseigentümern eingriffen. Sie nennt als Beispiel die sozialgerechte Bodennutzung (Sobon).
München nutzt seit 1994 das Konzept der sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) für Bebauungspläne der Stadt. Dazu gehört, dass Alteigentümer zwei Drittel des Wertzuwachses beim Verkauf des Grundstücks an die Stadt abgeben. Diese Mittel fließen in den Ausbau der Infrastruktur im zu erschließenden Wohngebiet. Ein Drittel des Wertzuwachses fürs Bauland darf der Verkäufer behalten.
In der Bauordnung legt die Stadt unter anderem fest, nach welchen Spielregeln Baugenehmigungen erteilt werden und wie lange sie gelten. Berlin hat im vergangenen Jahr die Regeln für Baugenehmigungen verschärft. So soll verhindern werden, dass Investoren solche Genehmigungen horten, um auf höhere Grundstückspreise zu spekulieren. Ein Grundstück mit Baugenehmigung lässt sich teurer verkaufen als ohne.
Beim Glasmacherviertel hatte erst der Immobilienkonzern Patrizia Immobilien das Sagen. Das Unternehmen habe das Areal nach eigenen Angaben jedoch nur für einen Kunden erworben und in seinem Auftrag wieder verkauft. Am Bau von Wohnungen hatte der Investor wohl kein Interesse mehr. Dann kaufte 2017 die niederländische Brack Capital Properties das Gelände. Die Niederländer wurden im vergangenen Jahr von der deutschen Adler Real Estate geschluckt.
Fonds horten Genehmigungen
In Düsseldorf-Gerresheim besteht noch die Chance, dass dort auf absehbare Zeit Wohnungen entstehen. Anders ist es auf dem Gelände der ehemaligen Kinderklinik in Berlin-Weißensee. Auch hier versprach ein Investor, die deutsch-russische MWZ Bio-Resonanz GmbH, dringend benötigte Wohnungen. Getan hat sich seit dem Kauf im Jahr 2005 nichts. MWZ ging 2016 in die Insolvenz. Die Ruine der 1997 geschlossenen Klinik steht immer noch. Sie ist eine Attraktion für Touristen und ein Sicherheitsrisiko für alle, die unerlaubt das Gelände betreten. Ein Fotograf verletzte sich 2016 schwer, als er durch den maroden Boden eines der Gebäude einbrach.
Nach langem Rechtsstreit ist die Immobilie wieder in öffentlicher Hand. Verwaltet wird das Grundstück von der Berliner Immobilienmanagement (BIM). Laut BIM arbeite der zuständige Bezirk Pankow an einer Machbarkeitsstudie für die Nutzung des Geländes. Aufgabe des BIM sei es, die Liegenschaft zu sichern: „Das ehemalige Kinderkrankenhaus ist in einem sehr schlechten Zustand.“
Viele potenzielle Bauherren beantragen eine Baugenehmigung nur, um das Grundstück über mehrere Jahre zu halten. Sie wollen die Immobilie später mit Gewinn abstoßen. Lisa Paus, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, schätzt, dass es in Deutschland mehrere Hunderttausend verdächtige Baugenehmigungen gebe: „Allein Engpässe im Baugewerbe reichen als Erklärung nicht aus, nicht nur in Berlin sind Baulandspekulationen die Ursache.“ Laut einem Bericht der Investitionsbank Berlin horten insbesondere Immobilienfonds Baugenehmigungen. Bei ihnen ist die Quote ungenutzter Genehmigungen mit 64 Prozent am höchsten. Bei privaten Bauherren liegt der Anteil dagegen nur bei 38 Prozent.
Eigentümer droht Enteignung
Die Kommunen bekämpfen zwar Baulandspekulation, schießen dabei aber mitunter übers Ziel hinaus. Ihr Waffenarsenal reicht vom Einfrieren der Grundstückspreise, verkürzten Baugenehmigungen bis hin zum Enteignen der Eigentümer.
Diese Maßnahmen sollen verhindern, dass Spekulanten Grundstücke aufkaufen, die Bodenpreise hochtreiben und Bauen so unbezahlbar wird. Tatsächlich treffen die Eingriffe der Kommunen auch die Alteigentümer. Denn sie können nicht mehr frei über ihren Grund und Boden verfügen.