Wohnungsmarkt Düsseldorf Massenbesichtigungen am Rhein

Weil sie „keine Lust auf Ladenhüter und keine Million auf dem Konto haben“, suchen Daniela und Daniel Perak seit über drei Jahren eine Eigentumswohnung. Einmal waren sie ihrem Ziel zum Greifen nah.

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Immobiliensucher Quelle: Peter Stumpf für WirtschaftsWoche

Anfangs versuchten sie es von privat, in der Hoffnung, die Makler-Courtage zu sparen; sie besuchten Zwangsversteigerungen, um vielleicht ein Schnäppchen zu machen. „Wir merkten schnell, dass wir uns die Sache ein bisschen zu einfach vorgestellt hatten“, sagt Daniel Perak. Es folgten: Makler, die mal desinteressiert, mal unverschämt waren, nächtelange Internet-Recherchen, Massenbesichtigungen. Als Daniel irgendwann seinen Vermieter fragte, ob der sich nicht vorstellen könne, ihnen ihre Mietwohnung zu verkaufen, fragte der: „Und was soll ich mit Geld?“

Pärchen wie die Peraks gibt es zu Tausenden. Sie leben in München, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, weil sie dort nach der Ausbildung einen Job bekommen haben. Nach ein paar Jahren wollen sie eine Familie gründen und Wohneigentum erwerben. Das nötige Eigenkapital haben sie angespart – aber sie finden nichts.

Peraks fassten vor etwa drei Jahren den Entschluss, eine Wohnung zu kaufen, „statt jeden Monat dem Vermieter das Geld in den Rachen zu schmeißen“. Diesen Satz dürfte jeder ein paar Mal gehört haben, der Kontakt zu Menschen zwischen 29 und 49 hat. Er drückt volkstümlich ein Phänomen aus, das die Statistik so wiedergibt: Wohneigentum ist wieder in. Laut einer Emnid-Umfrage wünschen sich 58 Prozent aller derzeitigen Mieter die eigenen vier Wände. In der Gruppe der 30– bis 44-Jährigen sind es sogar 68 Prozent.

Wunsch nach „was Eigenem“

Sparkassen erleben einen Ansturm ihrer Kunden auf Wohnimmobilien. Das Geschäft habe sich „enorm belebt“, sagt Baden-Württembergs Sparkassenpräsident Peter Schneider. Die Zusagen für private Baukredite im Ländle stiegen in den ersten sechs Monaten 2011 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 20 Prozent. Sogar die Bausparkassen – von jungen Gutverdienern lange belächelt als skurriles Spar-Relikt aus Omas Zeiten – erfreuen sich wieder größter Beliebtheit. In Bayern etwa stieg das Volumen der jüngst abgeschlossenen Verträge um zwölf Prozent auf 4,54 Milliarden Euro. „Der Wunsch nach einer Wohnimmobilie ist so groß wie selten zuvor. Sicherheit, Stabilität und inflationsgeschützte Vermögen sind den Menschen momentan besonders wichtig“, sagt der bayrische LBS-Chef Franz Wirnhier.

Das war jahrzehntelang anders. Während sich junge Briten, Spanier oder Italiener Hypothekenschulden aufbürdeten, an denen sie bis zum Lebensende knabbern würden, schienen die Deutschen im richtigen Kaufalter (der durchschnittliche Immobilien-Erwerber ist 38) ein Volk von modernen Nomaden zu sein.

Baugeld ist immer noch billig

Beruflich etabliert zwar, aber immer ein wenig auf Abruf. „Man weiß ja nie, ob man nicht beruflich noch mal umziehen muss“, sagt Daniel Perak, der Maschinenbau-Ingenieur, „und anders als in London oder Paris sind die Mieten ja auch immer noch erschwinglich.“

Deutschland hat mit nur 40 Prozent nach der Schweiz die niedrigste Wohneigentumsquote im europäischen Vergleich. Aber auch das beginnt sich zu verändern. Die alten Flexibilitäts-Argumente wiegen bei vielen plötzlich weniger als „der starke Wunsch, was Eigenes zu haben“, sagt Daniela Perak, „der entsteht doch bei fast jedem, so zwischen 30 und 40 “, meint die Galeristin.

„Sie wurden überboten“

Das Geld dazu wäre auch bei ihnen da, allein am geeigneten Objekt scheitert bisher der Plan. In der Cranachstraße im Düsseldorfer Stadtteil Flingern hatten sie eine Wohnung im Auge. Die Cranachstraße ist keine schöne Straße. Vierspurig umtost der Verkehr dort die dreckig-grauen Fassaden; hohe Häuser bilden eine enge Schlucht, aus der weder Staub noch Lärm so leicht entweichen. Peraks zögerten: die Wohnung ganz nett, aber die Lage?

350.000 Euro wollte der Verkäufer haben. Nach zwei Tagen rief er an und teilte mit, die Wohnung sei weg, ein Interessent habe 375.000 Euro bar auf den Tisch gelegt. Ein anderer ließ 40 Interessenten zu einer Massenbesichtigung antanzen. Im Flur lagen, abgezählt, 40 Paar alte Socken. Weil der Verkäufer Schmutz und Kratzer im Parkett fürchtete, sollten die Interessenten die Socken überziehen.

Einmal waren Peraks mit dem Verkäufer einig. Sie hatten die Kreditzusage der Bank in der Tasche, „wir saßen mit gezücktem Füller beim Notar“, sagt Daniel. Da stand der Verkäufer plötzlich auf und lief telefonierend aus dem Raum. „Tut mir leid, Sie wurden überboten“, teilte er lapidar mit. „Der Makler wollte uns überreden, auch höher mitzubieten, aber wir waren schon davor über unsere Schmerzgrenze gegangen“, sagt Daniel.

13 Mal ist ihnen das so oder so ähnlich passiert in den letzten Monaten. Daniel Perak ist inzwischen „Immobilien-Suchprofi“, sagt er. Er schiebt die schwarze Hornbrille zurecht, bestellt sich noch ein Peroni-Pils, und erzählt: „Ich gehe nicht mehr ohne Digitalkamera aus dem Haus. Von Baustellenschildern fotografiere ich die Telefonnummern der Bauträger ab“, erklärt er, „damit ich auf die Liste komme, bevor das Ding in die Vermarktung geht – aber man ist selten der Erste, der anruft.“

Dabei wird so viel gebaut wie seit Jahren nicht. In Düsseldorf kann man schon in Stein und Beton besichtigen, was in Hamburg-Altona noch vage Planung ist: ein gigantisches Wohnbauprojekt auf der Fläche eines früheren Bahngeländes. Auf 36 Hektar – das sind 360.000 Quadratmeter oder mehr als 50 Fußballfelder – sollen bis 2015 rund 1500 Wohnungen mit einer Gesamtfläche von 140.000 Quadratmetern entstehen. Die Baustelle frisst sich entlang der Bahntrasse von Süden nach Norden, mitten durch das zentrale Viertel Derendorf. Im Süden, wo schon 2007 die ersten Häuser aus dem Boden gestampft wurden, sind bereits 400 Wohnungen bewohnt; vor Kurzem war im mittleren Abschnitt Richtfest; die letzten Hausschlüssel sollen 2015 im Norden an die neuen Besitzer übergeben werden.

„Wie warme Semmeln“

„Düsseldorf ist Boomtown, junger Mann, ja was glauben Sie denn?“ Dieter Quoos schaut den Interessenten an, als komme der von einem anderen Stern. Oder zumindest von einer sehr, sehr langen Auslandsreise zurück. „Die Preise in Düsseldorf steigen ja immer weiter“, sagt er, „ein wenig Entschlossenheit“ solle schon mitbringen, wer eine Wohnung kaufen wolle, findet der Vertriebsmitarbeiter des Projektentwicklers Interboden.

Er sitzt im eigens eingerichteten „Showroom“ in der Schinkelstraße in Derendorf, wo die Käufer die Farbe ihrer Bodenfliesen und die Waschbecken aussuchen. Genau zwei Wohnungen habe er noch im Abschnitt, der bald fertig werde, sagt Quoos. „Aber eine, das sage ich lieber gleich, ist im Erdgeschoss und hat nur Nordbalkon – ist vielen zu dunkel.“ 3333 Euro pro Quadratmeter soll sie trotzdem kosten. Auch für den nächsten Abschnitt, derzeit in Planung, habe er schon jede Menge Anfragen, sagt Quoos, und „die Preise werden über den heutigen liegen; die für Baumaterial und Handwerker steigen ja auch“.

Dass der Verkäufer nur pokert, ist nicht anzunehmen: Weil die Nachfrage nach den Wohnungen in Zentrumsnähe selbst die kühnsten Erwartungen der Entwickler übersteigt, wurden zahlreiche Bauplätze, auf denen Hotels und Büros entstehen sollten, in dem Areal nachträglich in Wohnbauflächen umgewidmet.

Die Planer bemühen sich nach Kräften, nichts nach einem klinischen Neubauviertel aussehen zu lassen. „Le Flair“ haben sie den neuen Stadtteil getauft. Es gibt Spiel- und Boule-Plätze, Pflaster statt Asphalt. Die Vorgärtchen sind brav gemulcht, auf den Balkonen sprießt Bambus. Sogar die Lärmschutzwände sind aus Naturstein statt Beton; sie verdecken den Blick auf die noch aktiven Gleisanlagen direkt neben dem Baugelände, auf denen die ICEs weiterhin nach Dortmund, Hannover, Berlin oder Hamburg brettern.

„Le Flair“ ist eine Stadt in der Stadt. Aber nicht für Durchschnittsverdiener. Alles ist zugeschnitten auf die Zielgruppe, die sich die Wohnungen zu Preisen von rund 4000 Euro je Quadratmeter leisten kann: Familien mit genügend Erspartem oder Ererbtem, gut verdienende Singles, Doppelverdiener-Paare. Wer hier dazugehören will, muss nicht nur das nötige Kleingeld haben, sondern sich vor allem sputen. Die Wohnungen gingen wohl „weg wie warme Semmeln“, sagt Michael Bringmann vom Baudezernat der Stadt Düsseldorf.

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