Wohnungsmarkt Gewinner, Verlierer und Übergangene des Baubooms

Anleger flüchten in Betongold, Hundertausende Flüchtlinge brauchen Unterkünfte: Der Bau boomt so stark wie seit Jahren nicht mehr. Allerdings nicht überall – und nicht jeder profitiert davon. Die wichtigsten Antworten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Hier steigen die Mieten am stärksten
Platz 8: Frankfurt Quelle: DPA
Platz 7: StuttgartIn der baden-württembergischen Landeshauptstadt lagen die Angebotsmieten im ersten Halbjahr 2016 bei durchschnittlich 12,55 Euro pro Quadratmeter im Monat – ein Anstieg von 5,2 Prozent zum Vorjahr. Der Zwölfjahresvergleich zeigt: Gegenüber 2004 müssen Mieter heute 44 Prozent mehr zahlen – des bringt Stuttgart die Bronzemedaille unter den acht untersuchten Städten ein. Quelle: DPA
Platz 6: Berlin Quelle: REUTERS
Platz 5: München Quelle: DPA
Platz 4: Leipzig Quelle: DPA
Platz 3: Hamburg Quelle: DPA
Platz 2: Köln Quelle: DPA

Die Immobilienpreise in bestimmten Regionen Deutschlands steigen und steigen. Das scheint die Nachfrage jedoch nicht zu bremsen – im Gegenteil.
Von Januar bis Juni wurde der Bau von bundesweit 182.800 Wohnungen genehmigt. Das waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 30,4 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und der höchste Stand in einem ersten Halbjahr seit dem Jahr 2000. Abzüglich der Genehmigungen für Wohnheime, zu denen auch Flüchtlingsunterkünfte zählen, lag der Anstieg laut Vertretern der Wohnungswirtschaft noch bei 22,5 Prozent.

In welchen Gegenden boomt der Wohnungsbau?
Die meisten Wohnungen wurden im ersten Halbjahr in Berlin genehmigt, gefolgt von München und Hamburg. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) spricht von einem „Nachfrageboom“ in Ballungszentren und Universitätsstädten. In einigen Hot-Spots wie Berlin, Frankfurt, Hamburg oder München seien die Immobilienpreise deutlich stärker als im Bundesdurchschnitt gestiegen, konstatieren Experten der Commerzbank. Die Preise hätten sich von der Inflation und den Einkommen abgekoppelt. Dem Immobilienunternehmen JLL zufolge stiegen die Preise in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, Stuttgart und München zusammengenommen im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent.

An welchen Regionen geht der Boom vorbei?
An strukturschwachen Gegenden beispielsweise in Ostdeutschland, an Teilen von Nordrhein-Westfalen oder der Südwestpfalz. Sie werden nach einer Studie der Allianz und des Forschungsinstituts Prognos abgehängt. Während demnach in zehn großen Ballungszentren, darunter Berlin, München, Rhein-Main und Stuttgart bis 2030 knapp eine Million Wohnungen fehlen könnten, seien manche Gegenden, vor allem in Ostdeutschland, von Abwanderung betroffen. Das spiegelt sich auch bei den Mieten wider: In vielen Großstädten und begehrten Universitätsstädten kann sich dem IW zufolge ein Durchschnittshaushalt mit einem Viertel seines verfügbaren Einkommens nur rund 70 Quadratmeter leisten. Im Kreis Südwestpfalz und im nordbayrischen Kreis Tirschenreuth sind es hingegen 116 Quadratmeter.

Großstädte - Mieten und Kaufpreise im Verhältnis zu den lokalen Einkommen

Kommen Hausbauer noch immer leicht an Kredite?
Von April bis Juni vergaben Kreditinstitute nach Angaben der Bundesbank 3,8 Prozent mehr Immobilienkredite als im Vorjahreszeitraum. Die Finanzbranche warnt allerdings, dass verschärfte Bestimmungen die Vergabe bremsen könnten. Die Institute müssen seit Ende März die Kreditwürdigkeit von Kunden genauer prüfen. Mehrere Sparkassenverbände vermeldeten einen Einbruch der Immobilien-Darlehenszusagen um zehn bis zwanzig Prozent im zweiten Quartal. Verbraucherschützer haben dagegen bislang keine Hinweise, dass Kreditwünsche im großen Stil abgelehnt werden.

Niedrigzinspolitik und Anlagenotstand

Was hat den Bau-Boom ausgelöst?
Hypothekenkredite sind wegen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) historisch günstig. Für langfristige Darlehen lag der Zins Ende des zweiten Quartals nach Angaben der Deutschen Bundesbank im Schnitt bei gerade einmal 1,8 Prozent. Zugleich herrscht bei Investoren Anlagenotstand, weil viele Finanzprodukte wegen der Niedrigzinsen kaum noch etwas abwerfen. Anleger flüchten in Betongold und setzen auf steigende Immobilienpreise.

Die Zuwanderung Hunderttausender Flüchtlinge nach Deutschland sorgt zudem dafür, dass mehr Unterkünfte gebraucht werden. So stiegen die Baugenehmigungen für Wohnungen in Wohnheimen, zu denen Flüchtlingsunterkünfte zählen, im ersten Halbjahr um gut 174 Prozent. Zum Vergleich: Das Plus bei Wohnungen in Mehrfamilienhäusern lag bei 30 Prozent.

Wer profitiert vom Boom?
Gewinner sind vor allem Besitzer von Immobilien in gefragten Regionen. Ihre Häuser oder Wohnungen sind vielerorts in den vergangenen Jahren rasant im Wert gestiegen. Vermieter profitieren zudem oft von steigenden Mieten, gerade in Großstädten. Auch Investoren an den Kapitalmärkten verdienten mit der Spekulation auf weiter steigende Preise in den vergangenen Jahren viel Geld. Bauherren kommen zwar günstige Hypothekenkredite zugute – allerdings brauchen sie angesichts der steigenden Immobilienpreise mehr Geld.

Wer sind die Verlierer?
Menschen, die in Ballungsräumen auf der Suche nach günstigem Wohnraum sind. „Eines fehlt ganz besonders: bezahlbares Bauland“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Hier sei auch die Kommunalpolitik gefordert. Dem Mieterbund zufolge fehlen in Deutschland bis zu eine Million Wohnungen, insbesondere günstige. Demnach müssten jährlich 400.000 Wohnungen neu gebaut werden, davon 100.000 Sozialwohnungen.

Was tut die Politik für bezahlbaren Wohnraum in Ballungsräumen?
Bundesbauministerin Barbara Hendricks will den sozialen Wohnungsbau wieder zur Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern machen. Die SPD-Politikerin schlägt vor, das Grundgesetz so zu ändern, dass der Bund sich auch über 2019 hinaus engagieren darf. Wohnungsbau ist seit 2006 in Länderhand, der Bund zahlt bis 2019 sogenannte Kompensationsmittel. „Der Bedarf ist so riesig, dass die Länder das auf Dauer nicht allein stemmen können“, meint die Ministerin. In diesem Jahr zahlt der Bund eine Milliarde Euro an die Länder, um den sozialen Wohnungsbau zu unterstützen. 2017 bis 2019 sollen es dann 1,5 Milliarden Euro jährlich sein. Erst im Juli waren Pläne der Koalitionsregierung, mit Steuervergünstigungen für Investoren den Wohnungsbau anzukurbeln, im Bundestag gescheitert.

Wo das Leben am gesündesten ist
Potsdam Quelle: dpa
Platz 7: Postleitzahlgebiet 29Herzlich willkommen in Uelzen! Der mitteldeutsche Norden scheint seinen Bewohnern gut zu tun. Abgesehen von vereinzelten Grundwasserproblemen – die Landwirtschaft lässt grüßen – wirkt sich das Leben im Postleitzahlgebiet 29 positiv auf die Bewohner von Städten wie Dannenberg, Celle oder Salzwedel aus. Dafür gibt’s im Ranking Platz 7. Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 6: Postleitzahlgebiet 34Die Aussicht auf die Burg im Unesco-Weltkulturerbe Bergpark Wilhelmshöhe nahe Kassel lädt zum Wandern ein. Kein Wunder, dass hier die Wohngesundheit besonders hoch ist. Trotz Schwierigkeiten mit der Lichtverschmutzung erzielt die Region um Kassel, Warburg und Fritzlar den sechsten Platz im Ranking. Quelle: dpa
Platz 5: Postleitzahlgebiet 372013 wurde der Bahnhof in Göttingen zum „Bahnhof des Jahres“ gewählt, heute glänzt die Stadt – als Teil des Postleitzahlgebiets 37 – mit hoher Wohnqualität. Das liegt auch an einer besonders niedrigen Feinstaub-Belastung. Die BKM belohnt das mit dem fünften Platz im Ranking. Quelle: dpa
Platz 4: Postleitzahlgebiet 16Der Blick über den Ruppiner See auf die Klosterkirche von Neuruppin in Brandenburg dürfte so manchen Bewohner zu einer kleinen Schwimmübung animieren. Kein Problem: Wer so gesund lebt wie die Menschen im Postleitzahlgebiet 16, schafft die Seedurchquerung mit links. Auch wenn die Lichtverschmutzung der Region laut der Untersuchung verbesserungswürdig ist. Quelle: ZB
Platz 3: Postleitzahlgebiet 18Weite Ebenen und Meerbrise zeichnen die Ostsee-Region um Rostock aus. Mit der Insel Rügen teilt sich die Region, zu der auch Stralsund, Warnemünde und Heiligendamm gehören, die Postleitzahl 18. Auch hier könnte die Lichtverschmutzung geringer sein, urteilt die BKM. Dennoch erzielt das Gebiet einen guten dritten Platz – und damit die Bronzemedaille. Quelle: dpa
Platz 2: Postleitzahlgebiet 19Ebenfalls im Nordosten Deutschlands befindet sich Ludwigslust, hier das dortige Schloss, das als „deutsches Versailles“ gilt. So ein schöner Ausblick kann sich nur positiv auf die Gesundheit auswirken. Die Gemeinde holt mit den umliegenden Städten Schwerin, Perleberg und Gadebusch die Silbermedaille im BKM-Ranking. Quelle: dpa

Was fordert die Wohnungswirtschaft von der Politik?

Mieterbund und Verbände der Wohnungswirtschaft fordern mehr öffentliche Gelder für den sozialen Wohnungsbau, attraktivere Förderbedingungen sowie die Überarbeitung gesetzlicher Vorgaben, die das Bauen einschränken oder verteuern. So wies der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) darauf hin, dass der Anstieg der Baugenehmigungen auch darauf zurückzuführen sei, dass viele ihr Bauvorhaben noch 2015 auf den Weg gebracht hätten, damit sie nicht nach den neuen Vorschriften der Energieeinsparverordnung (EnEV) ab 2016 bauen müssen. Die darin nochmals erhöhten Anforderungen an die Energieeffizienz von Wohngebäude-Neubauten würden das Bauen um sieben Prozent verteuern.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%