Japan Yen-Abwertung hat weitreichende Folgen

Mit dem sechse Jahre lang auf fast Null gehaltenen Leitzins wollte Japans Notenbank die Unternehmen mit billigem Kapital versorgen. Doch damit lud sie auch Spekulanten aus aller Welt ein. Die globale Krise traf Japan hart. Tokios Börse rutschte auf ein Jahrestief.

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Niedriger Leitzins, Währungsspekulationen und eine hohe Exportquote prallen auf Japans Finanzmarkt zusammen, rtr

Anfangs schien es so, dass der amerikanische Hypotheken-Tornado an Tokio spurlos vorbei rauschen könnte. Die acht größten Banken Japans und die drei führenden Brokerhäuser weisen nach eigenen Angaben im Portfolio umgerechnet weniger als fünf Milliarden Euro als „durch Sachwerte abgesicherte Wertpapieren“ (Asset backed Securities) im Ausland auf. Darunter sollen sich nur verschwindend geringe Summen in zweitklassigen US-Hypotheken befinden, mögliche Verlustabschreibungen werden auf maximal 200 Millionen Euro geschätzt. Japan versprach in diesen stürmischen Zeiten ein sicherer Hafen zu sein. Auch, weil Nippons Anleger aus schlechter Erfahrung gewöhnlicherweise recht vorsichtig agieren. Bargeld und Depositen machen mit umgerechnet fünf Billionen Euro mehr als die Hälfte japanischer Privatvermögen aus. In den USA sind es 15 und in Deutschland 34 Prozent. Wertpapiere schlagen in privaten Portfolios hierzulande nur mit 19 Prozent zu Buche – ein wenig riskanter Wert im Vergleich zu den USA mit 52 Prozent und Deutschland mit 35 Prozent. Selbst an der Tokioter Börse halten sich einheimische Investoren zurück, Ausländer kontrollieren hier 23 Prozent der Aktien, darunter sechs Prozent durch internationale Hedge-Fonds. Dieses fremde Risiko-Potential wurde offenbar unterschätzt. Mitte vergangenen Monats griff das Yen-Virus auf Tokios Kabuto-cho über. Allein am 17. August gab der Nikkei-Index der 225 führenden Japan-Titel 5,4 Prozent ab – der größte Tagesverlust seit dem Terrortag 11. September 2001. Seither haben sich alle bisherigen Jahresgewinne an der japanischen Börse in Luft aufgelöst, das Aktienbarometer zeigt auf Zwölfmonatstief. Die Bombe zum Platzen gebracht hat eine hochexplosive Mischung aus Carry Trade, Yen-Spekulation und Exportabhängigkeit, wie sie so in der Welt des Kapitals nirgendwo aufeinander prallt. Sechs Jahre lang bis zum Juli 2007 hat die Bank von Japan den Leitzins auf quasi Null gehalten und auch jetzt ist er mit 0,5 Prozent der niedrigste der Welt. In der guten Absicht, die eigene Wirtschaft mit billigem Geld zu versorgen, luden Nippons Notenbanker damit aber auch Spekulanten aus aller Welt ein, in Yen Kredite aufzunehmen, die sich auf anderen Märkten und in fremden Währungen hochverzinslich amortisieren sollen. Hunderte Milliarden Dollar sind auf diese Weise außer Landes angelegt worden, selbst unbedarfte japanische Hausfrauen ließen sich massenweise zu solchen riskanten Finanzabenteuern überreden. Mitte August kam diese Währungsspekulation fast zum Erliegen, der Yen hatte beispielsweise gegenüber der Hochzins-Währung Neuseeländischer Dollar um rund ein Fünftel aufgewertet, weil Investoren spekulative Positionen glatt stellten. Allein japanische Privatanleger sollen binnen weniger Tage etwa 25 Milliarden Euro aus dem Ausland repatriiert haben. Dahinter steckt das Kalkül: Schwächt sich die Nachfrage an den internationalen Börsen weiter ab, ist zumindest mittelfristig mit einer Korrektur des Yen-Kurses zu rechnen. „Wir glauben, dass der Yen gegenüber dem Dollar über mehrere Monate weiter steigen wird – mit allen negativen Auswirkungen für den japanischen Aktienmarkt“, informierte die Deutsche Securities in Tokio. „Der stärkere Yen zwingt Investoren aus Übersee, japanische Aktien zu verkaufen, um wieder Cash in die Kassen zu bekommen“, beobachtet Tomokatsu Mori von Fukoku Capital Management in Tokio. „Die Anleger interessiert nicht mehr, ob eine Aktie billig ist, es ist ein Markt, der von nackter Panik getrieben wird“. Auch Japans Notenbank-Gouverneur Toshihiko Fukui zeigt sich in Bärenstimmung. Die schmerzhaften Probleme würden „Monate anhalten“, warnte der Tokioter Währungshüter.

„Es handelt sich nicht um eine simple Korrektur wie im Mai und Juni vergangenen Jahres“, warnte Fukui. „Die Finanzmärkte können nicht einfach zu ihren früheren Zuständen zurückkehren, sondern die Risiken werden neu bewertet“. Für Verlierer hat der BoJ-Chef kein Mitleid übrig. „Sicherlich werden Akteure, die hohe Risiken auf sich genommen haben, Verluste erleiden.“ Die aktuelle Finanzkrise hat aber auch für Japans Notenbank die Zinsfalle zunächst erst einmal zuschnappen lassen. Die BoJ wollte Mitte August den derzeit bei 0,5 Prozent verharrenden Leitzins nach oben „normalisieren“. Abgesagt. Die Subprime-Krise durchkreuzt dieses Konzept, denn Tokios Geldhüter können schwerlich Kredite verteuern, wenn der Markt nach frischer Liquidität schreit. „Frühestens im Dezember“, erwartet Mark Cutis, Investvorstand der Shinsei-Bank nun einen Zinsschritt der Bank von Japan. „Aber auch nur, wenn bis dahin ihrerseits die Fed die amerikanischen Zinsen nicht senkt“. Würde der Renditeunterschied zwischen Dollar und Yen schrumpfen, könnte das eine Hochphase für die japanische Währung einleiten und Nippons Exportindustrie schwer treffen. Außer den Spekulanten haben ironischerweise auch die seriösesten japanischen Top-Konzerne die heftige Yen-Abwertung als Rückenwind genutzt – jetzt bläst er ihnen ins Gesicht. Toyota, Honda, Sony, Canon oder Nintendo, die mit deutlichen Kursverlusten den Tokioter Aktienmarkt in die Tiefe rissen, hatten nicht nur schöne Gewinne zu verzeichnen, weil sie besser produzieren oder verkaufen als andere. Sie profitierten mit Vergnügen vom schwachen Yen, um sich beim Export in den Dollar- oder Euro-Raum zusätzliche Vorteile zu erkaufen. Preiswerter herstellen, teuer verkaufen – diese Rechnung wird wohl künftig nicht aufgehen. Und so trennen sich Anleger von ihren Aktien und machen aus den Gewinnern von Gestern die Verlierer von heute und morgen. Rund ein Drittel der Nikkei-Konzerne hängt vom Export, vor allem aber den nordamerikanischen Märkten ab. Besonders die Autobauer geraten ins Schleudern. Im August brachen ihre Neuzulassungen in den USA um durchschnittlich 15 Prozent ein. Das ist mehr als eine Delle, denn Honda realisiert beispielsweise 70 Prozent seiner Gewinne in Nordamerika. Mazda exportiert fast drei Viertel seiner Produktion. Auf dem japanischen Heimatmarkt dagegen läuft es eher schlecht. Ohne die Profite aus dem Auslandsgeschäft sind Ergebniseinbrüche selbst bei Toyota zu befürchten. Der weltgrößte Fahrzeugbauer verkauft jedes dritte seiner Autos in den USA. Finanzvorstand Takeshi Suzuki kalkuliert intern mit einem Kurs von 115 Yen zum Dollar. Ein Anstieg auf Jahresfrist von nur einem Yen gegenüber dem Greenback würde den wichtigsten japanischen Konzern umgerechnet rund 225 Millionen Euro kosten. Das wären rund fünf Prozent des angestrebten Gewinns. Die Anleger müssen das geahnt haben, denn die Aktien der japanischen Autokönige fielen seit dem Allzeithoch Ende Februar schon um gut ein Viertel. Das Honda-Papier gab seit Januar sogar rund 30 Prozent ab.

Eine länger anhaltende Yen-Hausse könnte fatale Auswirkungen für Asiens Leitbörse und damit auch für andere wichtige Aktienmärkte verursachen. Positionen im Carry Trade verlieren ihren Wert, die Folge: „Verkäufe beschleunigen weitere Verkäufe“, fürchtet Ryohei Maramatsu von der Commerzbank in Tokio. Die Konsequenzen wären globaler Art. „Die neue Gefahr liegt darin, dass der Export japanischer Mittel bisher das weltweite Wachstum gestützt hat“, analysierte Jonathan Wilmot von der Credit Suisse. „Aus dieser Geldquelle finanzierte sich vorzugsweise die internationale Zirkulation von Kapital und damit das bislang hohe Niveau an Liquidität, Risikobereitschaft und Konjunktur“. Damit dieser Kreislauf nicht unterbrochen wird, erwägt die BoJ angeblich erstmals seit 2004 sogar wieder Interventionen im Devisenhandel, wird am Tokioter Kapitalmarkt kolportiert. Währungsexperte Koji Fukaya von der Deutschen Securities in Tokio nennt diese Option vorsichtig „eine entfernte Möglichkeit“. Trotz der Unwegsamkeiten rechnet man in Tokio nicht mit einer globalen Rezession. „Die Gefahr, dass die Welt in eine Finanzkrise rutscht, ist extrem gering“, befindet Japans führende Finanzzeitung Nihon Keizai Shimbun (Nikkei). „In der Vergangenheit war das wichtigste Alarmzeichen für eine herannahende Krise ein globaler Börsensturz von über 20 Prozent, diesmal legte Tokio mit minus 16 Prozent den schärfsten Kursrutsch hin.“ Nikkei begründet diese optimistische Prognose mit den liquiden Geldmengen, die aus den aufstrebenden BRIC-Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien und China sowie von den ölproduzierenden Staaten in den internationalen Finanzkreislauf fließen. Zudem werde deren Bevölkerung zunehmend als Konsumenten aktiv. Überraschend reagiert auch der sensible Immobilienmarkt Japans seltsam gelassen. Nach einer dramatischen Dekade mit Preiseinbrüchen bis zu 90 Prozent selbst in soliden städtischen Lagen feiern die Bodenpreise eine spürbare Auferstehung aus ihren Ruinen. Teilweise nähern sich die Grundstückspreise wieder jenen fieberhaften Höhen der späten 80er Jahre, als das Real des Tokioter Kaiserpalastes als ebenso wertvoll galt wie der US-Bundesstaat Kalifornien. Das erhöht zwar das Risiko eines neuerlichen Absturzes, wird aber von der Immobilienbranche weitgehend ausgeblendet. „Das amerikanische Subprime-Debakel hat offensichtlich eine Kreditknappheit ausgelöst, die Aktien- und Währungsmärkte beeinträchtigt haben“, konstatiert der Präsident von Mitsubishi Real Estate, Keiji Kimura. „Aber ich erwarte, dass die Märkte nach Anpassungen in zwei bis drei Monaten wieder zur Ruhe kommen.“ Der Chef des mächtigen Liegenschaftsunternehmens zeigt sich überzeugt, dass die Immobilienpreise in Japan deshalb nicht sinken werden. „Die Renditen (return on investment) im Grundstücksgeschäft in Japan sind höher als die langfristigen Zinsraten.“ Das sei auch für Ausländer sehr attraktiv, weil der Unterschied in den USA fast null sei und in Großbritannien die Zinsraten höher liegen als die Immobiliengewinne. Kimura blickt optimistisch in Zukunft. „Unsere Gewinne im laufenden Geschäftsjahr werden über den Vorausschätzungen liegen.“ << zurück zur Weltkarte der Konjunkturentwicklung

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