Korruption Geschenke: Was ist erlaubt, was ist tabu?

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Tennis-Fans im Pariser Roland Quelle: REUTERS

Die neuen Moralwächter sollen nicht nur illegale Machenschaften verhindern, sondern auch Gefälligkeiten, die sich in der rechtlichen Grauzone bewegen. „Da es jenseits der strafbaren Tatbestände Bestechung und Vorteilsgewährung kaum gesetzliche Regelungen gibt, müssen Unternehmen klar abgrenzen, wo zulässige Kontaktpflege aufhört“, sagt Jochen Keilich,Anwalt fürArbeitsrecht in der Berliner Kanzlei Beiten Burkhardt.

Um Markierungen vorzugeben, an denen sich die Mitarbeiter orientieren können, formulieren die  Rechtsabteilungen der Unternehmen umfangreiche Verhaltensrichtlinien, neudeutsch Codes of Conduct genannt. Diese Codizes mögen juristisch hieb- und stichfest sein, sie helfen dem Beschäftigten im Einzelfall aber nur bedingt, wie Beispiele aus der Praxis zeigen: Der Verhaltenskodex des Industriegasherstellers Linde umfasst 44 Seiten, aber nur eine Seite beschreibt den korrekten Umgang mit Geschenken und Einladungen. Linde schildert nur Fälle, bei denen die Absicht zur Bestechung ganz offensichtlich ist, es fehlen die Grenzfälle in der Grauzone. Auch deutlich mehr bedrucktes Papier schafft nicht unbedingt mehr Durchblick: So widmen sich die Verhaltensrichtlinien von E.On auf immerhin vier Seiten dem Kapitel Geschenke und Einladungen. Dort heißt es unter anderem: „Die Annahme von Sachgeschenken ist nur dann zulässig, wenn sie sozialadäquat sind.“ Nebulöser geht’s kaum: Ist nun eine 200 Euro teure Kiste Bordeaux für den Abteilungsleiter angemessen – oder ist sie es nicht mehr? Wenn ja oder auch nein, wie vertretbar ist dann das 50-Euro-Eintrittskartengeschenk zu einem Rock-Konzert für einen Sachbearbeiter?

SAP legt die Latte höher

„Feste Geldbeträge von 30 bis 40 Euro haben sich bewährt, bis zu denen Geschenke angenommen werden dürfen oder meldepflichtig sind. Wertgrenzen, die sich an der sozialen Verhältnismäßigkeit orientieren, können zu Akzeptanzproblemen bei den weniger gut bezahlten Mitarbeitern führen“, rät Markus Maier, Geschäftsführer des Compliance-Service-Unternehmens Integrity Interactive. Denn eine Neiddebatte der Mitarbeiter untereinander kann kein Unternehmen gebrauchen – das gewünschte korrekte Verhalten der Beschäftigten droht in dem Fall wieder unterlaufen zu werden. Weil es keine gesetzliche Norm für den Wert von zulässigen Geschenken gibt, nutzen die Unternehmen ihre Gestaltungsfreiheit. Der Softwarekonzern SAP beispielsweise legt die Latte mit bis zu 50 Euro höher als allgemein üblich. Selbst mit den vergleichsweise großzügigen 50 Euro fallen aber Freitickets für viele Veranstaltungen von VIP-Lounge-Besuchen bei einem Tennisspiel der French Open etwa oder den Besuch einer Puccini-Oper in Bregenz unter das Annahmeverbot.

Ein gesponserter Stadionbesuch für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking für offiziell 203 bis 587 Euro wäre weit außerhalb jeglichen Spielraums. Möglichst konkrete Spielregeln schaffen zwar Klarheit, können aber auch ein zweischneidiges Schwert sein. „Je genauer die Vorschriften sind, desto leichter können sich Vorgesetzte aus der Verantwortung stehlen,

In Asien anders als in Europa

Wie im Fall einer niedersächsischen Krankenschwester. Sie hatte in den Neunzigerjahren für einen kirchlichen Verein in der ambulanten Pflege gearbeitet. Einer ihrer Patienten starb 1999 und vermachte der Krankenschwester ohne deren Wissen einen Teil seines Vermögens. Ihr Arbeitsvertrag schrieb vor, dass sie ohne Erlaubnis keine Zuwendungen von Patienten annehmen durfte. Als sie sich weigerte, auf Druck des Arbeitgebers das Erbe auszuschlagen, kündigte der Pflegedienst den Arbeitsvertrag. Der anschließende Rechtsstreit ging bis vor das Bundesarbeitsgericht, das 2003 zugunsten des Arbeitgebers entschied (2 AZR 62/02). Die einfachste Methode, um sich solche Prüfungen zu ersparen: Geschenke ablehnen und zugesandte Präsente umgehend retour gehen lassen. „In Europa und Nordamerika mag das funktionieren, in Asien dagegen ist das problematischer, da sich einige Geschäftspartner vor den Kopf gestoßen fühlen könnten“, sagt Compliance-Spezialist Markus Maier. In solchen Fällen ist es besser, die Geschenke anzunehmen, den Erhalt zu melden, es zu spenden oder in der Belegschaft zu verteilen. Solche selbstlosen Aktionen werden ehemaligen Siemens-Vorständen nicht mehr helfen. Die Aufsichtsräte des Technologiekonzerns wollen in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie sogar die prominenten Ex-Chefs Heinrich v. Pierer und Klaus Kleinfeld wegen Verstößen gegen die unternehmensinternen Compliance-Richtlinien auf Schadensersatz verklagen.

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