Kreditspezialist Philip Gisdakis "Verlust an Macht"

Kredit- und Derivate-Analyst Philip Gisdakis über den neuen Börsenhandel für Derivate und die gebrochene Dominanz der Banken.

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Philip Gisdakis ist Kreditspezialist

WirtschaftsWoche: Herr Gisdakis, von Krediten abgeleitete Papiere wie Credit Default Swaps (CDS) sind seit der Finanzkrise als Massenvernichtungswaffen verschrien. Nun sollen diese Kreditderivate entschärft werden. Seit Anfang August wickeln Börsen deshalb einen Teil des Handels ab, im Fachjargon Clearing. Funktioniert das?

Gisdakis: Das Clearing trägt dazu bei, dass heute wieder fleißig mit Kreditderivaten gehandelt wird. Wir begrüßen sehr, dass der Markt für CDS standardisiert und auf eine Börse gehoben wurde.

Was genau sind die Vorteile?

Die Transparenz steigt, und die zentrale Abwicklung macht viele Zwischenschritte im Handel unnötig. Bisher verkaufte eine Bank wie wir einem Kunden eine Absicherung gegen Kreditausfälle, sicherte sich dann zum Beispiel mit der Deutschen Bank ab, die wiederum mit Goldman Sachs und die mit der Bank of America. Nun sichert sich der Kunde nur noch mit der Bank of America ab – die übrigen Handelsschritte fallen weg. Außerdem müssen Marktteilnehmer nur noch einen Rahmenvertrag mit der Börse schließen, nicht mehr mit einem halben Dutzend Banken.

Eine einzige Gegenpartei – wie im vergangenen September die US-Bank Lehman Brothers – kann aber immer noch wegfallen. Was bringt der Börsenhandel also am Ende?

Fällt die Gegenpartei weg, springt der Abwickler ein. Das Clearing beseitigt also einen großen Teil des Lehman-Risikos. Deshalb werden eines Tages alle wichtigen Teile des CDS-Markts zentral abgewickelt werden. Die Aufsicht macht da zu Recht Druck.

Wer stemmt sich noch gegen die Reform?

Die bisher dominanten Akteure: die Investmentbanken. Sie verlieren durch die zentrale Abwicklung Einblick und Macht.

Der Kreditmarkt verändert sich also vom Banken- zum Börsenhandel?

Ja. Das Clearing bei CDS ist noch nicht das Ende der Entwicklung: Auch bei Zins-Swaps und Währungs-Swaps...

...bei denen die Vertragspartner zum Beispiel variable gegen feste Zinssätze oder Euro- gegen Dollar-Verbindlichkeiten tauschen...

...gab es nach der Lehman-Pleite Probleme. Diese Märkte sind viel größer als der für CDS und werden ebenfalls eines Tages zentral abgewickelt werden. Denn sie sind so wichtig für unsere Wirtschaft, dass sie einfach funktionieren müssen.

Das klingt nach Zukunftsmusik. Schließlich ist gerade erst die CDS-Abwicklung gestartet.

Die Aufsicht will zeigen, dass sie schnell handelt. Aber bis das CDS-Clearing voll funktioniert, wird es Jahre dauern.

Der Kreditderivate-Index Itraxx Crossover – ein wichtiges Krisenbarometer – liegt aber bereits heute nur noch 20 Prozent über dem Stand vor der Lehman-Pleite.

Das hat nichts mit dem Clearing zu tun, sondern mit der allgemeinen Erwartung, dass die Krise früher beendet ist, als man vor Kurzem zu hoffen wagte. Aber Vorsicht: Die Kreditklemme ist da.

Erhalten denn Hedgefonds noch Kredit, um mit Kreditderivaten zu spekulieren?

Die bekommen derzeit vielleicht noch das Doppelte ihres Eigenkapitals zusammen. Aber weil die Renditeaufschläge derzeit so gering sind, bräuchten sie das Zehnfache des Eigenkapitals, um ihre angepeilte Rendite zu schaffen.

Was ist mit den anderen großen Spielern wie Banken und Versicherern?

Die haben derzeit kein Interesse an riskanten Investments. Es wird wieder Übertreibungen geben, aber nicht in dem gigantischen Ausmaß wie vor der Krise.

Was macht Sie da so sicher?

Die Krise hat das gesamte Finanzsystem bedroht. Irgendetwas müssen wir doch daraus gelernt haben.

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