
Es dröhnt, kreischt, heult und wummert, wenn sie den Bohrmeißel in die Tiefe sausen lassen. Routiniert legen zwei Männer in dreckigen Overalls die tonnenschwere Zange um die Förderrohre. Kurz knackt es, dann haben sie das nächste Rohr oben angeschraubt. Meter um Meter frisst sich der Bohrstrang durch Lehm, Kies und Sandstein, bis er in 1000 Meter Tiefe auf den schwarzen Saft trifft. Seit 1944 wird hier an der deutsch-niederländischen Grenze nach Öl gebohrt. Das Bild erinnert an Texas: Überall ziehen behäbig nickende Pferdekopfpumpen Öl aus dem Boden. 385 Tonnen am Tag holt allein die BASF-Tochter Wintershall in ihrem Ölfeld Emlichheim aus dem Sandstein, 145.000 im Jahr, rund 160 Millionen Liter. Bis genau 50 Meter vor die Grenze reicht ihr Gebiet.
Auf der anderen Seite hatten die Niederländer die Förderung 1996 eingestellt, doch wegen des hohen Ölpreises lohnt sie sich nun wieder. „2008 fingen die Holländer plötzlich wieder an“, sagt Betriebsleiter Volker Riha, „mit allerneustem technischem Gerät.“
Der Aufwand wächst
Das brauchen sie auch. Denn nicht nur hier ist die Zeit des „Easy Oil“, des einfach förderbaren Öls, für immer vorbei. Zwar ist das durch die Grenze geteilte Ölfeld sogar ein „Giant Field“ – eine Lagerstätte der weltweit größten Kategorie mit mehr als einer halben Milliarde Barrel (ein Barrel gleich 159 Liter) Reserven, größer als die meisten europäischen Ölquellen. Doch das Öl muss mit immer größerem Aufwand herausgeholt werden. „Das“, sagt Riha, „ist aber nicht nur hier so, sondern auf der ganzen Welt.“ Fast alle bekannten Giant-Felder sind so weit ausgebeutet, dass das Öl längst nicht mehr von alleine herausquillt. Es braucht ständig neue, immer kompliziertere Methoden – von horizontalen Bohrungen bis zu Chemikalien, die in die Tiefe gepumpt werden, um das Öl noch aus der letzten Gesteinspore herauszupressen. Folge: Die Förderkosten steigen.
Hinzu kommt, dass der Großteil der heute aktiven Ölfelder in einer Region liegt, in der zurzeit der tiefgreifendste Umbruch seit dem Fall des eisernen Vorhangs stattfindet. Überall in der arabischen Welt gehen die Massen auf die Straße, versuchen, korrupte Herrscher zu Fall zu bringen. Doch die Industrieländer sind abhängig vom Öl der Despoten: Der Großteil der heute bekannten Ölreserven liegt auf der arabischen Halbinsel, im Iran, Irak oder in Nordafrika. Fraglich, ob das Nahost-Öl künftig störungsfrei nach Westen oder nach China fließen wird. Libyen, wo Muammar al-Gaddafis Söldner offenbar mit Erfolg gegen die Aufständischen vorgehen, bietet einen Ausblick auf das, was droht. Laut der Internationalen Energie Agentur IEA exportiert Libyen aktuell kein Öl, mit täglich rund 1,6 Millionen Barrel pro Tag war das Land der zehntgrößte Förderer der Welt.
Nicht auszudenken, würden die bei Weitem größeren Öllieferanten Kuwait, Iran oder gar Saudi-Arabien ausfallen. Auszuschließen ist das nicht: Am vergangenen Dienstag marschierten saudische Truppen im Nachbarstaat Bahrain ein, um dem dortigen Herrscherhaus bei der Niederschlagung der hartnäckigen Proteste zu helfen. Anleger sollten sich neu positionieren: Mit Ölunternehmen, deren Reserven in stabilen politischen Regionen liegen, wie in der Nordsee, in Kanada oder in Brasilien, und mit Ölausrüstern, die vom steigenden Aufwand bei der Suche und Förderung von Öl profitieren.
Öl aus Krisenregionen
Den Wintershall-Mitarbeitern fällt es an diesem Morgen nicht ganz leicht, sich auf ihre Arbeit an der niederländischen Grenze zu konzentrieren. Viele von ihnen, auch Werksleiter Riha selbst, arbeiteten jahrelang in Libyen, haben dort Freunde und Kollegen. Wintershall ist neben der italienischen Eni, der britischen BG Group und der österreichischen OMV eine der größten ausländischen Förderfirmen im Reich Gaddafis – gewesen. Seit dort Mitte Februar Unruhen ausbrachen, ist das Kasseler Unternehmen damit beschäftigt, seine Mitarbeiter auszufliegen und die Quellen zu versiegeln. Immer wieder schauen die Techniker in Emlichheim auf ihre Blackberrys, checken, ob es Neuigkeiten aus Nordafrika gibt.
Der Bürgerkrieg in Libyen wirft ein Schlaglicht auf die Krisenanfälligkeit unserer Energieversorgung. Seit den großen Ölkrisen (siehe Bildergalerie zum Ölpreis) hat sich nicht viel verändert. Allen Absichtsbekundungen westlicher Energiepolitiker zum Trotz hängt die Welt noch immer am Öltropf der Araber: Aus dem Nahen Osten stammen 36 Prozent der globalen Ölproduktion; mit weitem Abstand folgen Russland, Nordamerika und Afrika.
Vor allem aber wird das Öl der Araber noch deutlich länger reichen als das im Westen: Während zum Beispiel die Kapazität der Nordsee-Felder schon rapide fällt, lagern mehr als 60 Prozent der heute bekannten Ölreserven im Nahen Osten und Nordafrika. Allein Saudi-Arabien verfügt über 20 Prozent der weltweiten Ölreserven. Es folgen mit Iran, Irak, Kuwait und den Emiraten ausnahmslos Länder aus der politischen Krisenregion.