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Ortstermin Die seltsame Ölmetropole Zug

WirtschaftsWoche-Chefreporter Dieter Schnaas über die seltsamste Ölmetropole der Welt, das Verschwinden der Realwirtschaft in der Zentralschweiz – und die Torheit eines Steuerwettbewerbs, der aus Gutverdienern Antragsteller macht.

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Burg Zug Quelle: Bernd Auers für WirtschaftsWoche

Die Altstadt der Zentralschweizer Ortschaft Zug ist so aufgeräumt wie ein Märklin-Dorf und fast so sauber wie ein nuklearmedizinisches Reinraumlabor. Entzückend das Fachwerk der Burg und die Zinnen des Zytturms, die Figurenbrunnen und Butzenfenster, die Treppengiebel und Erkerchen. „Der Ort ist reinlich und alt“, befand Goethe, als er 1797 zum dritten Mal die Schweiz bereiste – und auch die Wirtschaft von Zug scheint sich noch immer „in guter Nahrung“ zu befinden. In den kopfsteinbepflasterten Gassen rund um den Kolinplatz trägt man gern Cavalli-Mäntel und Lacoste-Pullover, führt Rassehunde und Hochleistungskinderwagen spazieren.

In den Boutiquen am Fischmarkt liegen Seidenstoffe, Juwelen und feine Strickwaren aus, in den Galerien der Unteraltstadt gibt’s Acrylbilder zu kaufen, die „Bubble – Der Goldkäfer“ heißen – und in den Cafés am Ufer des Zuger Sees, im Schatten akkurat gestutzter Platanen, hat man die Wahl zwischen Kirschtorte und pochierten Felchenfilets. Wenn nur der Dunst nicht wäre, der einem hier so verlässlich den Blick auf die schneebedeckten Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau nimmt, der graue Schleier, hinter dem die Sonne immer nur hervorblinzelt – der undurchsichtige Nebel, der die Stadt beständig ins Zwielicht taucht.

Diese andere, trübe, unheimliche Seite von Zug – es gibt sie tatsächlich. Sie beginnt gleich nördlich vom Postplatz in der Bahnhofstraße, die ihrem Namen weiß Gott alle Ehre macht. Die 500 Meter lange Schlucht ist gesäumt von fünfstöckigen Funktionsbauten. Die Fußgänger ducken sich weg unter den finsteren Steinkolonnaden, die der Durchgangsverkehr mit Abgasen und Lärm füllt – und in denen es Olivenöl vom Fass, Seifen von Lush und Mode bei Clochard zu kaufen gibt.

So still und leise wie möglich

Am Ende der Bahnhofstraße sind es „nur noch 1,5 Kilometer bis zum modernsten McDonald’s der Schweiz“. Hier mündet Zug in ein Delta aus Wohn-, Industrie- und Gewerbegebieten, in eine vielquadratkilometergroße Wüste mit anspruchslosen Bürokomplexen, Brachen und Baustellen, in ein chaotisches Kran- und Häusermeer mit immer neuen Ausfall- und Stichstraßen, die die letzten Bauernhöfe, Wiesenlücken und Weidenreste zwischen Zug und der Nachbargemeinde Baar erschließen. Am Anfang der Bahnhofstraße aber, in Hausnummer zwei, gleich an der Schwelle zwischen dem lichten und dem ominösen Zug, findet man das Symbol für die Doppelnatur dieses redlich-ruchlosen Ortes: die Konzernzentrale von Xstrata.

Bei Xstrata handelt es sich um einen Schweizer Bergbauriesen, der in 20 Ländern Kohle, Kupfer, Nickel, Vanadium und Zink abbaut. Das Unternehmen beschäftigt direkt und indirekt 62.000 Mitarbeiter und ist wegen der angeblichen Verletzung von Arbeitnehmerrechten und Umweltvorgaben laufend im Gerede. Man kann daher nicht behaupten, dass Xstrata die Öffentlichkeit suchen oder eine offenherzige Informationspolitik betreiben würde. Eher ist das Gegenteil der Fall: Man tritt so still und leise wie möglich in Erscheinung und hält alle Einzelheiten des rohen Geschäfts, so gut es geht bei einem börsennotierten Unternehmen, unter der Decke. Wahrscheinlich deshalb befindet sich das „Head Office“ des Weltkonzerns genau hier, zwischen dem Neoncafé Plaza und dem Modeshop Companys: Es geht darum, das Unternehmen hier praktisch verschwinden zu lassen.

Kein durchschnittlich informierter Passant, der das Firmenlogo auf dem dezenten Plexiglas-Schild sieht, kommt auf den Gedanken, dass sich hinter Xstrata mehr als eine Anwaltskanzlei verbergen könnte. Immerhin kann man sich ansehen, wie so eine Konzernzentrale aussieht, man muss nur klingeln, höflich um Einlass bitten und forsch behaupten, man habe einen Termin – schon kann man reinschneien beim Global Player. Es geht durch eine Schleuse, wie man sie von Flughäfen kennt, ganz ohne Registrierung und Besucherzettel, „zweiter Stock, links bitte“, hat die Dame gesagt und den Lift freigeschaltet.

Tritt man dann aus dem Aufzug, steht man vor einem Wandtresor: keine Klinke, kein Empfang, nur ein Guckloch, wie’s scheint, aber dann surrt es plötzlich, und aus der hölzernen Front löst sich eine Tür: „Willkommen bei Xstrata. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Es dauert nicht lange, bis sich herausstellt, dass die Frage vor allem rhetorisch gemeint ist: Die junge Dame windet sich bei den harmlosesten Fragen. Offenbar grenzt es bei Xstrata an Geheimnisverrat, wenn man Journalisten erzählt, dass das Zuger Headquarter mit 30 Mitarbeitern bestückt ist, die sich in der Zuger Bahnhofstraße 2 über die Etagen eins und zwei verteilen.

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