Ratingagenturen Kreditversicherungen: Regenschirme nur bei Sonnenschein

Klassische Kreditversicherer könnten die Rolle der Ratingagenturen übernehmen. Insbesondere Frankreich setzt sich dafür ein, das Dreiermonopol aus Standard & Poor's, Moody's und Fitch zu knacken. Doch was macht eigentlich ein klassischer Kreditversicherer? Und was unterscheidet sein Geschäft vom Handel mit den berüchtigten Kreditderivaten CDS?

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Joachim Neusser, Geschäftsführer der ProCreda GmbH

Seit Ende 2007 hat sich in den Fach- und selbst in den allgemeinen Medien die Vokabel „Kreditversicherung“ zu einem der zentralen Begriffe entwickelt. Doch je nach Themenbereich umfasst Kreditversicherung sehr unterschiedliche Inhalte. Selbst für viele Wirtschaftskundige erschließt sich oft nur schwer, welches „Teekesselchen“ gemeint ist. Unter Teekesselchen ist jenes Kinderspiel gemeint, indem Wörter mit inhaltlichen Doppelnaturen mit Hilfe von den spezifischen Wesensmerkmalen zu erraten sind. Im Falle des Begriffs "Kreditversicherung" gibt es sogar mehr als nur zwei unterschiedliche Inhalte.

Spieler 1: "Mein Teekesselchen hilft Banken realisierte Gewinne zu empfangen und Verluste zu sozialisieren, weil Sozial-Hilfe-Empfänger Häuser realisierten, als Sie zur Bank gingen."Spieler 2: "Mein Teekesselchen sorgte dafür, dass beim Platzregen nicht jedes Unternehmen naß wurde."Spieler 3: "Mein Teekesselchen hilft, dass mein Versprechen zugunsten meines Auftraggebers eingehalten wird, auch wenn ich es breche."Spieler 4: "Mein Teekesselchen verschafft mir Trost, wenn meine Menschenkenntnis über meine Angestellten mich getäuscht hat."

Das erste Teekesselchen "Kreditversicherung" ist das (seit 2007) unrühmlich bekannt gewordene Kreditderivat, das man auch als Credit Default Swap (CDS) kennt. CDS sind als Kreditversicherung zur aktiven Steuerung diverser Ausfallrisiken prinzipiell nützliche Instrumente, um ein Investment-Portofolio abzusichern. Die Verbriefungen mehrerer CDS, die sogenannten synthetischen CDO (Collateralised Debt Obligations), werden am Finanzmarkt außerbörslich gehandelt.  CDS-Strukturen sind beispielsweise Wertpapiere, die Privatinsolvenzen von Darlehen von Immobilienkäufern abbilden, wie jene, die 2007 zu der Subprime-Krise führten oder aber CDS, die aus Unternehmensanleihen abgeleitet werden und anhand von Fundamentaldaten kalkuliert werden können. Diese sind demzufolge auch leichter nachvollziehbar.

Banken versichern mit

Als "Kredit-Versicherer" treten sowohl Banken (zum Beispiel.: Hypo Real Estate, IKB, BayernLB, Deutsche Bank) als auch Versicherer (etwa die AIG) und Investoren (Pensionsfonds und andere) auf, die dann im Falle des Ausfalls des Schuldners für diesen eintreten müssen. Die Sicherungsgeber erhalten dafür einen, der Prämie analogen, Spread, der sich an der Ausfallwahrscheinlichkeit des spezifischen Wertpapiers ausrichtet. Da viele dieser CDO ein Top-Rating AAA erhielten, war der Spread zwar gering, aber die Wahrscheinlichkeit eines Kreditereignisses quasi ausgeschlossen. Trotzdem beinhalten aber im Grunde alle derartigen Transaktionen spekulativen Charakter. Banken und Versicherer treten auch auf der Gegenseite der CDS-Transaktionen auf, also quasi als Versicherungsnehmer, um sich gegen den Ausfall der Emittenten des zugrunde liegenden Schuldtitels zu schützen (Deutsche Bank, Goldman Sachs undsoweiter). Zu guter Letzt partizipieren Investmentbanken auch als Arrangeure des Handels mit den Kreditversicherungen.Im Zuge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise mussten etliche institutionelle Anleger der schlecht quotierten Wette Tribut zollen und als "Versicherer" ihren erheblichen Leistungsverpflichtungen nachkommen, ohne dass zuvor eine angemessene Risikoprämie eingenommen wurde.  Insbesondere der US-amerikanische Versicherer AIG, vormals größter Versicherer der Welt, kam als wohl umfangreichster CDS-Risikoträger in die Schlagzeilen, da sie im Zuge der massiv angestiegenen Offenbarungseide der US-Häuslebesitzer die Entschädigungsansprüche nicht mehr stemmen konnte. Nur durch erhebliche staatliche Subventionen konnte die AIG schließlich überhaupt gerettet werden. Auch sie gilt als "systemrelevantes" Institut…

CDS-Sekuritisationen (Verbriefungen) werden oft als "exotisch" beschrieben, da ihre Marktwerte/Bonitätsbeurteilungen lediglich über komplizierte mathematische Berechnungen abgeleitet werden, aus dem dann ein simples – aber oft dubioses - Top-Rating entstand (und noch stets entsteht?). Bemüht man in diesem Zusammenhang ein anders Spiel um Worte - Scrabbel -, so kann man aus dem "exotischen Wertpapier" durch umstellen der Buchstaben die „toxischen Wertpapiere“ bilden, was deren Natur aus heutiger Sicht offensichtlich erheblich besser beschreibt.

Klassische Absicherung

Das zweite Teekesselchen "Kreditversicherung" beschreibt die Versicherung offener Zahlungsziele im Intercompany-Trade. Diese Kreditversicherung ist also die klassische Absicherung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen von Unternehmen an andere Unternehmen oder staatliche Institutionen. Die bekanntesten Formen sind die Warenkreditversicherung, die Ausfuhrkreditversicherung und die Investitionsgüterkreditversicherung. Je nach Ausfallrisikoart unterscheidet man zwischen politischem (in etwa: Zahlungsunmöglichkeit) und wirtschaftlichem Risiko (in etwa Zahlungsunfähigkeit oder auch Zahlungsunwilligkeit). Auch die Lieferantenkreditversicherung, die gegen Abnehmerinsolvenzen Schutz bietet, wurde im Rahmen der Finanzkrise intensiv diskutiert. Zum einen entstand ein rasant erhöhtes Absicherungsbedürfnis bei der bis dato blanko liefernden "Realwirtschaft", dem aber keine ausreichenden Rückversicherungspotentiale zur Verfügung standen. Zum anderen zeichneten die Banken bei ihrer Kreditvergabe zunehmend restriktiver, wodurch verlängerte Zahlungsziele der Abnehmer in Anspruch genommen werden mussten, während die Kreditversicherer (analog der Banken) tendenziell straffere Kreditzusagen aussprachen.

Dass ein Kreditversicherer bei einer plötzlichen Schlechtwetterfront allerdings nicht deutlich mehr Schirme verkaufen kann, wenn die Nachfrage in der Traufe rapide ansteigt, beschreibt das Bild allerdings besser, als die weit verbreitete Wahrnehmung, dass die Kreditversicherungswirtschaft Schirme an sonnigen Tagen zwar verleiht, aber beim ersten aufziehen von Gewitterwolken wieder zurückverlangt. Eine breite Rückrufaktion bereits zuvor verkaufter Schutzschirme konnte bisher jedenfalls nicht beobachtet werden… Nichtsdestotrotz installierte die Bundesregierung wegen dieses Empfindungsdilemmas im Rahmen der Soffin-Programme eine gesonderte Tranche für dieses "Teekesselchen". Die als staatliche Top-up-Deckung bekannte Ergänzungsdeckung wurde Ende 2009 mit einem Volumen von Sieben Milliarden Euro allen Unternehmen zur Verfügung gestellt, die eine klassische Kreditversicherung verwenden (das Programm wird bereits Ultimo 2010 auslaufen, da die Wirtschaft die Deckungsmöglichkeit nur in marginalen Abschlüssen annahm. Als Hauptgrund wird der fixierte Preis identifiziert).

Im Finanz- und Rechnungswesen ist die Abschreibung einer Forderung als Delkredere bekannt. Aus diesem Grund bezeichnet man dieses Teekesselchen auch als Delkredere-Versicherung. Sicherungsnehmer sind stets Unternehmen, Sicherungsgeber sind meist spezialisierte Kreditversicherungsunternehmen oder aber Kreditinstitute, die Forderungen finanzieren und dabei das Delkredere übernehmen. Als Delkredere wird ferner auch die Bezeichnung des entsprechenden Geschäftsvorfalls im Kontenrahmen bezeichnet.

Bürgschaft und Garantie

Das dritte Teekesselchen "Kreditversicherung" ist die so genannte Kreditleihe, bei der ein Kreditinstitut oder ein sonstiger solventer Bürge für seinen Kunden haftet, wenn dieser die Verbindlichkeiten selbst nicht erfüllen kann. Das zu versichernde Risiko ist folglich der Versicherungsnehmer selbst. Die Kreditversicherung kann in der Form einer Bürgschaft oder Garantie formuliert und herausgelegt werden.

Sofern die Zahlungsversprechen von einer Bank abgegeben werden, nennt man sie Avalkredite, bei alternativen Bürgen werden diese auch als Kautionsversicherung bezeichnet. Je nach Art des Leistungsversprechens unterscheidet man beispielsweise zwischen Gewährleistungsavalen, Zollbürgschaften, Mietavalen oder Anzahlungsgarantien. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise zogen auch die Avalzinsen an, sie sind jedoch stets individuell kalkuliert und nicht von der allgemeinen Wirtschaftslage abgeleitet.

Vertrauensschaden versicherbar

Das vierte Teekesselchen "Kreditversicherung" ist die sogenannte Vertrauensschadenversicherung. Die im angelo-amerikanischen Raum als crime insurance bekannte Kreditversicherung, umfasst verschiedene Arten deliktischer Vorfälle, die Beschäftigte gegen das beschäftigende Unternehmen begehen. Dies können also unerlaubte Handlungen wie Unterschlagungen, Untreue, Diebstahl und dergleichen sein. Dabei werden regelmäßig auch Computermissbrauch und externe Hackerangriffe in den Versicherungsschutz einbezogen. Der Entschädigungsumfang umfasst alle direkten Vermögensschäden, die durch die unerlaubte Handlung entstanden, also keine mittelbaren Schäden wie entgangener Gewinn, Verluste durch Geheimnistransfer oder Imageeinbußen.

Als Abgrenzung sind die Vermögensschadenhaftpflicht (VSHP) und Directors&Officers (D&O) zu nennen, die beide gleichfalls der Vermögensversicherung zugeordnet werden. Die D&O-Versicherung wird mitunter bemüht, wenn Gesellschafter gegen Vorstände vorgehen, die die anderen „Teekesselchen“ fahrlässig zu Ungunsten des Unternehmens unberücksichtigt lassen oder falsch einsetzten. In den Risikoarten D&O und VSHP ist stets die Fahrlässigkeit der Begründungsansatz für Inanspruchnahmen, bei der Vertrauensschadenversicherung ist hingegen im Wesentlichen der Vorsatz als Handlungsmerkmal notwendig.

Der bedeutende Unterschied der beiden ersten Kreditversicherungs-Teekesselchen - "CDS-Kreditversicherung" und "Delkredere-Kreditversicherung" – ist ergo, dass das Erstere das Risiko vom Darlehen abtrennt, während bei dem Zweiten sozusagen der umgekehrte Weg eingeschlagen wird und dem (blanko Lieferanten-) Kredit eine Risikoübernahme hinzugefügt wird. Anders ausgedrückt entspricht also der Lieferantenkredit plus Kreditversicherung dem klassischen Bankdarlehen. Mitunter werden die drei Kreditversicherungstypen Delkredereversicherung, Avalkredite und Vertrauensschadenversicherung unter dem Sammelbegriff Kreditversicherung zusammengefasst. Dann wird aus dem Teekesselchen, um im Bild zu bleiben, ein Teekessel.

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