Solarkraftwerke Die Solar-Millennium-Saga

Utz Claassen hat Solar Millennium wegen Kontroversen zur Unternehmenspolitik verlassen. "Es gab unterschiedliche Standpunkte zu Governance und Unternehmenskultur", erklärte sein Anwalt. Die WirtschaftsWoche hatte mehrfach kritisch über Solar Millennium berichtet. Die Vorwürfe im Überblick.

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Utz Claassen Quelle: dpa

Als Solar-Millennium-Chef Utz Claassen am vergangenen Montag nicht mehr zur Arbeit erschien, war das für die Anleger des Erlanger Solarthermieunternehmens ein Schock. Sie hatten auf den bekannten Manager gehofft, der seinen Posten erst im Januar angetreten hatte. Claassen sei nach Kontroversen zur Unternehmenspolitik zurückgetreten, sagte jetzt Claassens Anwalt Klaus Menge. „Es hat unterschiedliche Standpunkte zu Governance und Unternehmenskultur gegeben.“

Anwalt Menge sagte, Claassen habe von einem ihm nachträglich, nach Vertragsabschluss, eingeräumten Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht. Er habe dem Aufsichtsratsvorsitzenden Helmut Pflaumer am Dienstag die Gründe seines Rücktritts telefonisch erläutert. Ein Sprecher von Solar Millennium bestätigte, dass die beiden telefoniert hätten. Die Rücktrittsgründe habe Claassen aber nicht erläutert.

Ohne Claassen dürfte es Solar Millennium noch schwerer fallen, Investoren zu gewinnen. In diesem Jahr braucht das Unternehmen geschätzte 300 Millionen Euro für Kraftwerksprojekte. Doch schon ein im Dezember aufgelegter geschlossener Fonds über rund 48 Millionen Euro ist erst zu 60 Prozent gezeichnet.

Die WirtschaftsWoche hatte mehrfach über kreative Bilanzierung und mögliche Finanzierungsprobleme bei Solar Millennium berichtet. Das Unternehmen wies Vorwürfe zurück, Sachverhalte in den Bilanzen unrichtig dargestellt zu haben, und bestritt Finanzprobleme.

Hier die wichtigsten Kritikpunkte und die Stellungnahmen des Unternehmens im Überblick:

1. Mögliche Finanzierungsprobleme

Solar Millennium hat bei Privatanlegern viel Geld eingesammelt. Insgesamt stellten sie dem Unternehmen in den vergangenen Jahren über sechs Anleihen 190 Millionen Euro zur Verfügung. An der Börse stehen derzeit noch knapp 280 Millionen Euro Marktwert auf dem Spiel. Die WirtschaftsWoche berichtete im Januar darüber, dass sich angesichts des kapitalintensiven Baus weiterer Solarthermiekraftwerke Finanzierungsprobleme abzeichnen. "Das Geld der Anleihezeichner steckt in der Projektentwicklung, fast nichts mehr in Kraftwerken", berichtete damals ein Unternehmenskenner, der in leitender Funktion an Projekten des Solar-Millennium-Konzerns beteiligt war. Damit werde es für das Unternehmen schwierig, die hohen Zins- und Tilgungszahlungen für die Anleihe aufzubringen - nach Berechnungen der WirtschaftsWoche rund 30 bis mehr als 40 Millionen Euro jährlich.

Aus dem operativen Geschäft kam zumindest im vergangenen Geschäftsjahr kein Geld: Der Cash-Flow aus der laufenden Geschäftstätigkeit lag bei Minus 27 Millionen Euro. Weitere Informationen vom Januar zu den möglichen Finanzierungsproblemen finden Sie hier.

Nach Erscheinen des Artikel gab Solar Millennium bekannt, dass „es keine entsprechenden Finanzierungsprobleme“ bei Solar Millennium gebe. So sollten die US-Projekte mit Partnern umgesetzt werden, außerdem könnten staatliche Förderungen oder steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten genutzt werden.

Zur Finanzierung der weiteren Kraftwerksprojekte vor allem in den USA, stellte Solar Millennium am 16. März eine neue Tochter vor, die Solar Millennium Invest. Diese Tochter, an der neben Solar Millennium auch der Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums, Professor Wolfgang Gerke, Anteile hält, soll weitere Anlageprodukte vertreiben und Geld einsammeln.

Kurzfristig sucht Solar Millennium noch nach Anlegern für einen geschlossenen Fonds über 50 Millionen Euro (Andasol-3-Fonds), der bislang erst zu 60 Prozent gezeichnet ist. Im Laufe des Jahres plant Solar Millennium auch einen geschlossenen Fonds für das spanische Kraftwerk Ibersol – das Volumen könnte dafür bei bis zu 180 Millionen Euro liegen. Für die US-Projekte werden im Laufe des Jahres zudem noch geschätzte 150 Millionen Euro benötigt. Wie Solar Millennium diese Summen auftreiben will, ist fraglich. Finanzvorstand Thomas Mayer hofft, dass sich große institutionelle Investoren engagieren werden. Der plötzliche Abgang von Claassen dürfte es jedoch noch schwerer machen, Anleger für die Projekte zu gewinnen.

2. Konzerninterne Transaktionen

Gleich mehrfach hat Solar Millennium in den vergangenen Jahren Kraftwerksanteile an verbundene Unternehmen verkauft. Diese Verkäufe seien aber nicht wie konzerninterne Umsätze behandelt, sondern wie Verkäufe an fremde Unternehmen verbucht worden, berichtete der WirtschaftsWoche im Januar ein Unternehmenskenner, der in leitender Position an Solar-Millennium-Projekten beteiligt war. "Es gab dann zwar entsprechende Buchungen, aber es war kein Cash da."

Die Deals folgten folgendem Muster: Kraftwerksanteile werden an ein verbundenes Unternehmen verkauft, das nicht konsolidiert, also nicht in den Konzernabschluss hereingerechnet wurde - zum Beispiel die Solar Millennium Verwaltungs GmbH und die Solar Millennium Beteiligungen GmbH. So konnte Solar Millennium den Verkauf dieser Anteile wie Umsätze mit konzernfremden Unternehmen verbuchen. Auf solche Transaktionen entfielen etwa 2006/07 39 Prozent des Jahresumsatzes.

Später wurde das verbundene Unternehmen in den Konzernabschluss einbezogen oder der Anteil wieder in das Mutterunternehmen zurückgeholt - ausgerechnet dann, wenn kurz darauf tatsächlich der Weiterverkauf der Anteile an Dritte erfolgte. Die Spanne zwischen dem Preis, zu dem die Kraftwerksanteile an die Tochter gegangen waren und dem letztendlichen Verkaufspreis an einen Dritten konnte Solar Millennium für sich verbuchen.

Das Unternehmen verwies jedoch darauf, dass diese Praxis geltenden Bilanzierungsregeln entsprach. Außerdem sei die Werthaltigkeit der Anteilsverkäufe stets durch spätere Verkäufe an externe Unternehmen, wie etwa den spanischen Großkonzern ACS/Cobra (bei den spanischen Kraftwerken Andasol 1 und 2) oder Stadtwerke München, RWE Innogy und RheinEnergie (Andasol 3) und Ferrostaal (Andasol 3 und Ibersol) bestätigt worden.

3. Falsche Unternehmensmeldungen

Die Andasol-Kraftwerke in Südspanien wurden von Solar Millennium entwickelt Quelle: dpa

Zweimal hat Solar Millennium falsche Unternehmensmeldungen herausgegeben. In beiden Fällen ging es um Kooperationen mit anderen, externen Unternehmen.

So gab Solar Millennium im Dezember 2006 „den Verkauf von 80 Prozent der Anteile an ihrer Tochtergesellschaft Solar Millennium Beteiligungen GmbH an GE Energy Financial Services“ bekannt. Wiederholt wurde in den Geschäftsberichten erneut auf den Anteilsbesitz dieser GE-Tochter an der Solar-Millennium-Tochter hingewiesen. In einem Zwischenbericht vom Juni 2007 hieß es dann, dass „GE Energy Financial Services, ein Unternehmen des amerikanischen Konzerns General Electric, im Dezember 2007 80 % der Anteile übernommen hat“. Also ein Jahr später als ursprünglich berichtet.

In der Gesellschafterliste der Solar-Millennium-Tochter tauchte die GE-Tochter jedoch nie auf. Von einem Einstieg im Dezember 2006 oder 2007 konnte also keine Rede sein. General Electric teilte der WirtschaftsWoche im Januar 2010 mit, dass das Unternehmen sich gegen den Einstieg bei der Solar-Millennium-Tochter entschieden habe. Damit konfrontiert, stellte Solar Millennium klar, dass GE Energy Financial Services damals nur eine Anwartschaft auf die Anteile an der Solar-Millennium-Tochter erworben habe. Die GE-Tochter konnte also bei der Solar-Millennium-Tochter einsteigen, hat dies aber nie getan.

Bei einer weiteren Unternehmensmeldung vom November 2009 gibt es ähnliche Fehler. So vermeldete die Solar Millennium AG damals, dass sie alle Anteile an der Projektgesellschaft des Parabolrinnen-Kraftwerks Ibersol veräußert habe. Dabei seien je fünfzig Prozent an den Industriedienstleister Ferrostaal und 50 Prozent an eine neugegründete Ibersol Kraftwerks GmbH veräußert worden. In der Unternehmensmeldung vom 18. November 2009 hieß es weiter: „Die Veräußerungen standen unter Gremienvorbehalt und unterlagen aufschiebenden Bedingungen, die erst gestern Abend eingetreten sind.“

Als die WirtschaftsWoche in einem Online-Artikel vom 24. Februar 2010 darüber berichtete, dass der Verkauf der Ibersol-Anteile an Ferrostaal bislang wohl nicht erfolgt sei, ruderte Solar Millennium erneut zurück und stellte nun klar, dass der Verkauf an Ferrostaal „unter aufschiebenden Bedingungen sowie Gremienvorbehalt stand und teilweise noch immer steht“. Auch die Meldung vom November 2009 war damit falsch. Da Solar Millennium nur im wenig regulierten Freiverkehr der Börse notiert ist, haftet das Unternehmen nicht für falsche Unternehmensmeldungen.

Spekulationen der WirtschaftsWoche, wonach der Verkauf der Ibersol-Anteile möglicherweise geplatzt sei, erhärteten sich jedoch nicht. Ferrostaal will die Anteile nach eigenen Angaben weiterhin übernehmen. Ein Sprecher sagte im Februar, der Vertrag solle „in den nächsten Tagen“ wirksam werden. Bislang ist dies nach Informationen der WirtschaftsWoche noch nicht geschehen.

4. Strafanzeige gegen Verantwortliche der Solar Millennium AG

Im Januar 2010 wurde bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Strafanzeige gegen aktuell und ehemals verantwortliche Vorstände und einen Aufsichtsrat der Solar Millennium AG gestellt. Die Anzeige, die der WirtschaftsWoche vorliegt, wirft den Verantwortlichen eine „unrichtige Darstellung und Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ vor. Konkret geht es dabei um die Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2004/2005 bis 2008/2009. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth prüft diese Anzeige und wird erst im Anschluss an diese Prüfung entscheiden, ob sie Ermittlungen aufnehmen wird. Solar Millennium selbst weist alle Vorwürfe zurück, Sachverhalte in der Bilanz falsch dargestellt zu haben.

5. Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer und der graue Kapitalmarkt

Im August 2009 berichtete die WirtschaftsWoche erstmals über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Personen aus dem Umfeld der Solar Millennium. Konkret richteten sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen Hannes Kuhn, Gründer und Aufsichtsrat von Solar Millennium, und Joachim Specht, langjähriger Wirtschaftsprüfer bei Solar Millennium. Die Staatsanwälte ermitteln wegen eines der größten Skandale des grauen Kapitalmarktes, der Pleite der Düsseldorfer DM Beteiligungen, die gemeinsam mit der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig West zu einem im Sommer 2006 geplatzten Schneeballsystem gehört haben soll. Rund 35 000 Privatanleger hatten damals fast 600 Millionen Euro verloren.

Solar-Millennium-Aufsichtsrat Hannes Kuhn beriet früher über seine Steuerberatung Balance die Düsseldorfer DM Beteiligungen. Auch Solar Millennium wurde früher von Balance beraten. Kuhns Anwältin sagte im August 2009 jedoch, dass Kuhn nie im operativen Geschäft der DM Beteiligungen aktiv gewesen sei.

Wirtschaftsprüfer Joachim Specht prüfte von 2003 an die Jahresabschlüsse der DM Beteiligungen. Seit dem Geschäftsjahr 2002/2003 prüft er auch die Jahresabschlüsse bei Solar Millennium.

Mehr zu möglichen Verbindungen von Personen aus dem Umfeld der Solar Millennium zu DM Beteiligungen lesen Sie in unserem Artikel vom August 2009.

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