Arbeitsrechtsexperte zur umstrittenen EU-Richtlinie Whistleblower sind in Deutschland bereits gut geschützt

Whistleblower. Quelle: REUTERS

Wer Missstände im Unternehmen anzeigt, riskiert neben der Kündigung auch eine Bestrafung. Jetzt will die EU Whistleblower noch besser schützen. Doch der Spielraum ist begrenzt, so Arbeitsrechtsexperte Michael Magotsch von Bryan Cave Leighton Paisner.

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Die Aufdeckung von Korruption oder Betrug im Betrieb liegt im ureigensten unternehmerischen Interesse. Die Schäden solcher strafrechtlich relevanten Missstände können in die Milliarden gehen, wie die letzten – oft von US-Behörden aufgedeckten - Fälle gezeigt haben. Daher sind Hinweisgeber, sogenannte Whistleblower, ein zentraler Bestandteil der Einhaltung geltenden Rechts in Unternehmen geworden.

Problematisch wird dies aber, wenn nicht der Missstand an sich, sondern der Überbringer der Nachricht in den Fokus der Ermittlungen rückt. Die Prozesse im Rahmen der sogenannten Luxleaks-Affäre haben dies eindrücklich gezeigt. Denn zum einen sind Missstände nicht immer eindeutig, zum anderen werden unter Umständen bei deren Anzeige Geschäftsgeheimnisse offenbart, womit sich der Whistleblower selbst der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen kann.

Vor diesem Hintergrund haben die EU-Kommission wie auch die Bundesregierung Gesetzesinitiativen zum besseren Schutz von Hinweisgebern vorgelegt. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem das Ansinnen, Mitarbeiter, die Rechtsverstöße aufdecken, vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu bewahren. Aber brauchen wir überhaupt erweiterten gesetzlichen Schutz? Reicht es nicht, das geltende Recht konsequent anzuwenden?

Rechtsanwalt Michael Magotsch leitet als Of Counsel die arbeitsrechtliche Beratung der Kanzlei Bryan Cave Leighton Paisner in Frankfurt. Quelle: PR

Neu ist das Thema nicht, es stand schon vor gut fünf Jahren auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Bereits im Jahr 2013 wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf in Deutschland abgelehnt, der über die bestehenden Kündigungsschutzregelungen hinaus ein gesetzliches Recht auf Whistleblowing einräumen sollte. Auch ein im November 2014 von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachter neuerlicher Gesetzesentwurf verlief im Sande. Berichte zu den in Europa und weltweit geltenden gesetzlichen Grundlagen sogenannter Whistleblower Protection Schemes erforderten schon damals eine umfangreiche Aufklärung zu den ohnehin weitreichenden Kündigungsschutzregelungen des Deutschen Arbeitsrechts.

Wichtiger Unterschied zwischen Entwürfen aus Deutschland und Brüssel

Zu voreilig rümpften Experten anderer Länder die Nase, ob der angeblich mangelhaften Gesetzeslage in Deutschland. Dass Bundesjustizministerin Katarina Barley nun im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zum besseren Schutz von Geschäftsgeheimnissen einen besseren Schutz von Whistleblowern einbauen will, nachdem in der vergangenen Legislaturperiode außer Ankündigungen nichts geschehen war, macht den öffentlichen Druck deutlich.

Die beiden Entwürfe weichen in einem entscheidenden Punkt voneinander ab: Während der deutsche Gesetzentwurf vornehmlich zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Hinweisgebern nur die Aufdeckung „rechtswidriger Handlungen“ erlaubt, und zwar nur dann, wenn diese mit der schützenswerten Absicht erfolgt, dem öffentlichen Interesse zu dienen, verlangt der Entwurf der EU Direktive solch ehrrührige Absichten nicht. Wenn es nach dem Willen der Europäischen Kommission geht, darf künftig in Europa unabhängig davon, ob der Hinweisgeber im Interesse des Gemeinwohls handelt, ohne Gesinnungsprüfung „gepetzt und verpfiffen“ werden.

Der Rechtsausschuss im EU-Parlament hat über eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern entschieden. Justizkommissarin Vera Jourova erklärt im Interview, warum dieser Schritt so wichtig ist.
von Silke Wettach

Das erklärte Ziel ist eindeutig: Die Kommission will Hinweisgebern unbedingt umfassender als bisher Schutz garantieren. Zum einen mit einem erweiterten Begriff des „Whistleblowers“ unter Einschluss von Selbstständigen und ehrenamtlich Tätigen in den Schutzbereich neben privat oder öffentlich Angestellten. Zum anderen verlangt die EU Richtlinie von den Unternehmen, „Kanäle und Verfahren“ für die Hinweisgebung und Weiterverfolgung von Hinweisen einzurichten, sowie entsprechende Minimumstandards aufzustellen und einzuhalten.

Die Frage muss gestellt werden, ob denn überhaupt mit zusätzlichen gesetzlichen Regelungen dem notwendigen Schutz der gutgläubigen Whistleblower Rechnung getragen werden kann? Oder ob es nicht angesichts der ohnehin in Deutschland bestehenden Gesetzeslage zum Kündigungsschutz viel effektiver wäre, dies in Compliance-Systemen den Unternehmen selbst zu überlassen?

Deutsches Recht schützt Hinweisgeber bereits umfassend

Fakt ist: nach deutschem Recht kann ein Arbeitnehmer gar nicht ohne weiteres gekündigt werden, wenn er als Whistleblower Missstände offenlegt. Das geht nur bei einer konkreten Pflichtverletzung, die dem Arbeitgeber die Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Er muss zudem darlegen und beweisen, dass die Kündigung gerechtfertigt ist. Sind die Gründe nicht überzeugend – und die Aufdeckung von Betrug oder Korruption ist das sicher nicht, kann der Arbeitnehmer klagen, das Kostenrisiko ist verhältnismäßig gering. Der Kündigungsschutz geht also hierzulande viel weiter, als bei den meisten unserer europäischen Nachbarn – ganz abgesehen von den USA. Allenfalls die Einbeziehung nicht festangestellter Mitarbeiter, wie von der EU vorgesehen, könnte hier Verbesserungen bringen.

Auf der anderen Seite muss es aber auch dem Unternehmen möglich sein, sich gegen Rufschädigung und Geheimnisverrat zu schützen. Denn bewusst falsche Anschuldigungen oder bloße Verdächtigungen können sowohl den Kollegen des Hinweisgebers als auch dem Arbeitgeber erheblich schaden. Entscheidend ist meist nicht „ob“ ein Hinweis gegeben wird, sondern „wie“ er weitergegeben beziehungsweise veröffentlicht wird. Verstößt der Hinweisgeber dabei eindeutig gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, weil er etwa Gerüchte oder unbewiesene Behauptungen an Externe weitergibt, muss es dem Unternehmen auch möglich sein, sich von ihm zu trennen. Dabei trägt der Arbeitgeber aber die Beweislast und muss die Entscheidung im Zweifelsfall vor Gericht begründen können.

Wer etwa bewusst wahrheitswidrige Aussagen verbreitet oder seinen Arbeitgeber damit erpresst oder nötigt, muss mit einer außerordentlichen Kündigung rechnen. Auch die Verbreitung unwahrer Behauptungen über Social-Media-Kanäle ist heutzutage ein Trennungsgrund. Jeder Arbeitnehmer und potenzielle Whistleblower muss – wie sein Arbeitgeber auch – genau abwägen und darf nur verhältnismäßige Mittel einsetzen.

Unternehmen brauchen wirksame Systeme für vertrauliche Hinweise

Der wieder lauter werdende Ruf nach zusätzlichen Whistleblower-Gesetzen übersieht also, dass effektive Schutzmechanismen in Deutschland bereits bestehen. Auch muss man von allen Meinungs- und Stimmungsmachern verlangen können, beide Seiten der Thematik, also Arbeitnehmer- wie Unternehmerinteressen, zu berücksichtigen. Die durch unüberlegte Äußerungen bloßgestellten Betroffenen verdienen ebenfalls Schutz.

Viele Unternehmen haben schon seit langem Compliance– und Hinweisgeber- Systeme in ihren Betrieben eingerichtet. Sie stellen sicher, dass anonyme wie offene Hinweise schnell aufgenommen und bearbeitet werden, ohne dass der Hinweisgeber Repressalien fürchten muss. Dass gutgläubige Hinweisgeber nicht benachteiligt werden, die im Interesse der Unternehmen und der Gesellschaft Missstände aufdecken und verhindern, ist eine zentrale Aufgabe einer funktionierenden Compliance-Kultur. Interne wie externe Kanäle zur Meldung von Missständen schaffen Vertrauen am Arbeitsplatz und beugen Denunzierungen am Arbeitsplatz vor.

Ein zusätzliches Gesetz zur Stärkung der Whistleblower wird dies nicht erreichen. Entgegen der herrschenden Meinung sind Hinweisgeber in Deutschland bereits jetzt gut geschützt – bei gleichzeitiger Wahrung der berechtigten Interessen der Unternehmen.

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