Bundesfinanzhof macht Rentnern Hoffnung Doppelbesteuerung: Zahlen Millionen Rentner zu hohe Steuern?

Werden Renten zu hoch besteuert? Das Bundesverfassungsgericht muss zwei Urteile dazu fällen. Für Bund und Rentner geht es um Milliarden. Quelle: imago images

Der Bundesfinanzhof hat in zwei Grundsatzverfahren zur Doppelbesteuerung der Rente verhandelt. Millionen Deutsche sind von dem Streit betroffen. Doch um was und wie viel geht es eigentlich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Es ist ein Aufregerthema, mit viel Emotion. Gleichzeitig ist der Sachverhalt komplex. Wir reden über den Streit um eine mögliche Doppelbesteuerung der Rente. In zwei anhängigen Verfahren hat der Bundesfinanzhof dazu am 19. Mai verhandelt (BFH, X R 20/19 und X R 33/19). Nach den Verhandlungen kündigte er eine mündliche Urteilsverkündung am 31. Mai an

Am Ende der Verhandlungen stand aber fest: Die Chancen der Rentnerinnen und Rentner auf eine Änderung der Steuerregeln sind gestiegen. „Es darf in keinem einzigen Fall zu einer doppelten Besteuerung von Renten kommen“, forderte die Vorsitzende Richterin Jutta Förster in einer Verhandlung des Zehnten BFH-Senats in München. Das sei „die rote Ampel“ für das Finanzgericht. Im Mittelpunkt steht für den BFH demnach die Frage, ob der - allen Steuerzahlern zustehende - Grundfreibetrag bei der Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung ausgeklammert werden muss. „Da haben sie uns ganz schön ins Grübeln gebracht“, sagte die Richterin an die Adresse eines früheren Steuerberaters aus Bietigheim-Bissingen, der wegen der vermeintlichen Doppelbesteuerung seiner Renten in eigener Sache vor den BFH gezogen war.

Der Ausgang des Streits um die Doppelbesteuerung der Rente wird große finanzielle Folgen für Millionen Deutsche haben. Noch wichtiger als die konkrete Entscheidung in den beiden jetzt am BFH anhängigen Verfahren ist, ob und wie die Richter Grundsätze aufstellen, die sich auch auf andere Fälle übertragen lassen - etwa zur konkreten Berechnung der Doppelbesteuerung. Für die Bürger geht es in Summe über mehrere Jahre durchaus um je fünfstellige Summen, für den Staat gar um Milliarden. Umso wichtiger ist es, den Streit zu verstehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten haben wir Anfang März erstmals hier gesammelt und seitdem mehrfach aktualisiert.

Worum geht es bei der möglichen Doppelbesteuerung der Rente?

Bei der gesetzlichen Rente zahlen Versicherte und meist auch ihre Arbeitgeber Beiträge ein. Damit bauen sie sich Rentenansprüche auf und kassieren dann später eine Rente. Der Streit dreht sich um die dabei geltenden Steuerregeln. Diese wurden 2005 grundlegend geändert. Nun soll die Rente zunehmend nachgelagert besteuert werden. Nachgelagert heißt, dass Rentnerinnen und Rentner erst bei Auszahlung der Rente Steuern zahlen. 

Normalerweise ist es bei einer nachgelagerten Rentenbesteuerung so: Die Beiträge sind steuerlich voll verrechenbar, das Finanzamt berechnet also nur auf das Einkommen nach Abzug dieser Rentenbeiträge Steuern. Erst wenn dann später die Rente fließt, muss diese versteuert werden. Eigentlich ist das vorteilhaft, denn im Alter sind die Steuersätze in der Regel niedriger als während des Berufslebens. Allerdings mussten bei der Umstellung hierzulande Übergangsregeln festgelegt werden, denn 2005 gab es ja sowohl Millionen Rentner (die ihre Beiträge noch nicht nach diesen Regeln steuerfrei eingezahlt hatten) als auch Millionen Rentenversicherte (die bis dahin ebenfalls nach den alten Regeln besteuert worden waren). Deswegen wurde ein stufenweiser Übergang festgelegt. Rentenbeiträge können erst ab 2025 voll steuerfrei eingezahlt werden. Rentner wiederum müssen erst bei einem Ruhestandsbeginn ab 2040 ihre Rente voll versteuern.

Strittig ist, ob diese Übergangsregeln fair sind und den verfassungsrechtlichen Ansprüchen gerecht werden. Im Kern geht es also darum, ob Rentner zu viel Steuern zahlen müssen. Doch dies betrifft vor allem die künftigen Rentner, mit einem Höhepunkt für den erst 2040 startenden Rentnerjahrgang, diese Personen sind heute Ende Vierzig. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 2002 vorgegeben, dass die Steuerregeln so gestaltet sein müssen, „dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird“ (2 BvL 17/99). Strittig ist, ob die Übergangsregeln diese Vorgabe einhalten.



Wann kommt es zu einer Doppelbesteuerung der Rente?

Hier fängt der Streit schon an. Nach gängiger Definition liegt eine Doppelbesteuerung der Rente vor, wenn die Summe der steuerfrei gestellten Renten im Alter geringer ist als die während des Erwerbslebens gezahlte Summe an Rentenbeiträgen, die das Finanzamt nicht steuermindernd berücksichtigt hatte. Anders gesagt: Jeder Rentner muss später wenigstens so viel Rente steuerfrei erhalten, wie er an Beiträgen aus seinem versteuerten Einkommen gezahlt hat. Ist das nicht der Fall, wird ein bereits als Beitrag versteuerter Euro bei der Rente erneut besteuert - eine Doppelbesteuerung.

Diese Definition stützt sich auch auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs von 2015. Dabei hatte das oberste Finanzgericht festgestellt, dass eine Doppelbesteuerung ausgeschlossen sei, wenn die Summe der steuerfreien Renten die steuerpflichtige Beitragssumme übersteigt (X B 168/14). Das Problem an dieser Definition: Es muss dabei festgelegt werden, wie die steuerfreie Rentensumme und die steuerpflichtige Rentenbeitragssumme berechnet wird. Die Rentensumme kann nur für eine angenommene Lebensdauer ermittelt werden. Schließlich steht nicht vorab fest, wie lang jede einzelne Rentnerin und jeder einzelne Rentner leben und Rente kassieren wird. Und auch bei der Berechnung der Summen selbst können unterschiedliche Annahmen getroffen werden, die das Ergebnis beeinflussen.

Der Mannheimer Steuerberater Heinrich Braun hat gemeinsam mit dem Saarbrücker Finanzmathematiker Klaus Schindler einen anderen Ansatz gewählt. Sie wollen damit erstmals bewiesen haben, dass die Doppelbesteuerung Fakt ist – und haben dies in mathematischen Formeln abgebildet. Nur basieren ihre, derzeit viel zitierten Berechnungen auf einer anderen Definition der Doppelbesteuerung. So stellen sie allein auf die Prozentwerte beim steuerfreien Anteil der Rente und beim versteuerten Anteil der Rentenbeiträge ab. Eine Doppelbesteuerung liegt demnach vor, „wenn der steuerfrei gestellte Anteil des Renteneinkommens geringer ist als der versteuerte Anteil der Rentenbeiträge“. Das erleichtert das Rechnen, weil die Lebensdauer zum Beispiel keine Rolle spielt. Es ist aber nicht die gängige Definition. Das Finanzgericht des Saarlandes stellte sich Ende April gegen die Prozent-Methode: Sie eigne sich nicht, um eine unzulässige doppelte Besteuerung nachzuweisen. Entscheidend seien die absoluten Summen (3 V 1023/21, Revision möglich). Ob und wie sich der Bundesfinanzhof hier festlegt, ist offen. Doch bislang gibt es keine Anzeichen für eine Abkehr von der Betrachtung absoluter Summen.

Gibt es nun eine Doppelbesteuerung - oder nicht?

Wie schon erwähnt, ist nicht einmal die Definition der Doppelbesteuerung final geklärt. Wenn wir bei der gängigen Definition bleiben, müssen die Summen an nicht steuerlich verrechneten Rentenbeiträgen und an steuerfreien Renten berechnet werden. Vor allem bei der Summe der steuerfreien Renten gibt es unterschiedliche Rechenmodelle, je nachdem welche Steuerfreibeträge im Alter der Rente zugeordnet werden. So betrachtete die Regierung vor der Umstellung 2005 auch die aus den Renten finanzierten, steuerlich voll verrechenbaren Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als steuerfreien Rentenfluss. Das Bundesfinanzministerium wertete sogar den steuerlichen Grundfreibetrag als ein Teil der steuerfreien Rentenzahlungen. Mit diesen Annahmen errechnet sich eine höhere, steuerfreie Rentensumme. Eine Doppelbesteuerung kann dann eher verneint werden. 

Nur steht der Grundfreibetrag jedem Rentner zu, auch Krankenkassenbeiträge müssen immer steuerlich voll abgezogen werden. Beides hat mit der Rente also strenggenommen nichts zu tun. Genau dies schien nun auch den Bundesfinanzhof, zumindest mit Blick auf den Grundfreibetrag, zum Nachdenken gebracht zu haben. Nach strenger Definition darf jedenfalls nur der jährliche Rentenfreibetrag, der mit Ruhestandsbeginn als Betrag in Euro errechnet wird, als steuerfreie Rente angesetzt werden. Dieser muss dann mit einer realistischen, statistisch zu erwartenden Lebenserwartung multipliziert werden. 

Bei diesem Ansatz ist zum Beispiel klar: Ab 2040 startende Rentner haben keinen Rentenfreibetrag mehr, ihre Rente ist voll steuerpflichtig. Bis 2025 haben sie aber noch nicht ihre vollen Rentenbeiträge steuerlich verrechnet bekommen. Bei ihnen wäre damit offensichtlich, dass es zu einer unzulässigen Doppelbesteuerung kommt. Nur, wie gesagt, gibt es Streit über die Annahmen für die Berechnungen.

Gesetzliche oder private Rente, Beamte: Wer wie betroffen ist

In einem der nun am BFH anhängigen Verfahren (X R 33/19) hatte die Vorinstanz, das Finanzgericht Baden-Württemberg, zum Beispiel klargestellt, dass weder Werbungskostenpauschbeträge, noch der steuerliche Grundfreibetrag, Sonderausgabenpauschbetrag oder steuerlich abziehbare Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge als steuerfrei zufließende Rente zu berücksichtigen seien (8 K 3195/16). Und auch Egmont Kulosa, Richter am Bundesfinanzhof, hatte in einem Fachbeitrag bereits vor einiger Zeit eine strenge Definition der steuerfreien Rente vorgenommen. Dies hatte die WirtschaftsWoche 2019 als erstes Medium bekanntgemacht, viele andere Presseveröffentlichungen folgten. Kulosa zählte neben dem steuerlichen Rentenfreibetrag, nur noch einen jährlichen Werbungskostenpauschbetrag von 102 Euro zur Summe der steuerfreien Renten. Alle anderen Posten – wie den Grundfreibetrag oder die Krankenkassenbeiträge – hingegen ebenfalls nicht. Damit kam er zu dem deutlichen Ergebnis: „Es bedarf keiner komplizierten mathematischen Übungen, um bei den Angehörigen der heute mittleren Generation, die um das Jahr 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen.“ Für alle Rentner, die bis 2015 in Rente gingen, sei eine Doppelbesteuerung noch auszuschließen. Dann aber werde es kritisch. „Spätestens wenn ganze Rentnerkohorten in die doppelte Besteuerung hineinwachsen, wird daher eine gesetzliche Neuregelung erforderlich sein“, schrieb BFH-Richter Kulosa. Die Verfassungswidrigkeit erscheine evident. Allerdings legt die Einzelmeinung eines BFH-Richters nicht den BFH bei der späteren Urteilssprechung fest.

Wie wird die Summe der Rentenbeiträge berechnet?

Klingt simpel, ist es aber leider auch nicht. Denn während bei den Renten über die Berechnung des steuerfrei fließenden Anteils gestritten wird, gibt es auch bei den Beiträgen unterschiedliche Ansichten. Hier kommt es darauf an, wie viel der Beiträge steuerlich nicht verrechnet worden sind. Nur dieser Anteil der Beiträge, der also nicht das zu versteuernde Einkommen gedrückt hat, ist für die Berechnung der Doppelbesteuerung entscheidend. Seit 2005 sind die Regeln eigentlich recht klar, die Berechnung damit einfach: So kann Jahr für Jahr ein steigender Anteil der Beiträge steuerlich verrechnet werden, 2021 sind es 92 Prozent des Gesamtbeitrags. Der Arbeitgeberanteil (also meist 50 Prozent des Gesamtbeitrags) ist ohnehin steuerfrei, faktisch wirken sich damit 84 Prozent des Arbeitnehmeranteils steuerlich aus (weitere 42 Prozent des Gesamtbeitrags, von dem der Arbeitnehmer die Hälfte trägt). Von 2025 an werden die Rentenbeiträge dann steuerlich in voller Höhe berücksichtigt, weiter begrenzt auf einen Höchstbetrag (2021 liegt der bei 25.787 Euro pro Jahr, bei Verheirateten in Summe doppelt so viel).

Bislang aber lief auch hier noch eine Übergangsphase. Bis einschließlich 2019 hat das Finanzamt noch geprüft, ob womöglich eine steuerliche Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen nach den alten, vor 2005 geltenden Regeln günstiger wäre. Wenn ja, wurde das alte Recht angewendet. Bei diesem alten Recht wurden alle Vorsorgeaufwendungen, auch die Rentenbeiträge, in einem Steuertopf betrachtet. Die konnten, gedeckelt auf bestimmte Höchstbeträge, bei der Steuer verrechnet werden. Das macht die Berechnung der Doppelbesteuerung komplexer, denn es muss nun im Nachhinein entschieden werden, welcher Anteil der berücksichtigten Vorsorgeaufwendungen auf die Rentenbeiträge entfallen ist. Nur der restliche, steuerlich nicht verrechnete Rentenbeitrag wäre für die Doppelbesteuerung relevant. 

Dies führte zum Beispiel in einem Verfahren vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg von Anfang März dazu, dass die Richter eine Doppelbesteuerung verneinten. Denn die von ihnen errechnete Summe der steuerlich nicht berücksichtigten Rentenbeiträge war viel geringer als von dem klagenden Rentnerpaar ermittelt (1 K 937/19, Revision möglich). Während der Mann davon ausging, in Summe Rentenbeiträge in Höhe von über 60.000 Euro nicht steuerlich anerkannt bekommen zu haben, errechnete das Finanzgericht nur schlappe 4000 Euro. Bei der Frau waren es rund 52.000 statt über 140.000 Euro. Der Unterschied lag nur an der anderen Aufteilung des steuerlichen Sonderausgabenabzugs auf die verschiedenen Sozialversicherungszweige. Weil der Unterschied so gewaltig war, konnten die Richter die Klage abweisen, ohne sich zur sonstigen Berechnung der Doppelbesteuerung äußern zu müssen. 

Dieses Problem betrifft aber nur heutige und bald startende Rentner. Bei den künftigen Rentnern, die ihre Beiträge dann vor allem nach den aktuellen Steuerregeln gezahlt und verrechnet haben, tritt es nicht mehr auf. Allerdings befassen sich die Finanzrichter derzeit eben auch nur mit Fällen von bereits im Ruhestand befindlichen Rentnern, sodass es vor Gericht derzeit durchaus relevant ist.       

Betrifft das Problem nur die gesetzliche Rente?

Nein, denn die gleichen Steuerregeln gelten auch für Renten aus berufsständischen Versorgungswerken, etwa für Ärzte und Anwälte. Die Ausmaße des Problems können aber auch bei gesetzlichen Renten je nach Fall größer oder kleiner sein. So haben Angestellte, bei denen der Arbeitgeber die Hälfte der Rentenbeiträge finanziert, auch bis 2005 zumindest auf den Arbeitgeberanteil der Beiträge von einer Steuerfreiheit profitiert. Wer als freiwillig versichertes Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung hingegen seine Beiträge komplett selbst gezahlt hat, etwa als Selbstständiger, der hat bis dahin überhaupt keine Steuerbefreiung erhalten.

Um wie viel Geld geht es bei der Doppelbesteuerung?

Basierend auf der gängigen Definition der Doppelbesteuerung und einer strengen Auslegung der Rechenregeln, also zu Gunsten der steuerzahlenden Rentner gerechnet, kann es durchaus um 10.000 bis 20.000 Euro an Steuern gehen, über die gesamte Rentenzeit gesehen. Dies ergaben vor einigen Jahren Berechnungen des Finanzmathematikers Werner Siepe. 

Kommt es auch bei privaten Rentenversicherungen zu einer Doppelbesteuerung?

Bei privaten Rentenversicherungen gelten andere Steuerregeln. Allerdings gibt es auch hier ein Problem. So deutet auch bei diesen Regeln einiges auf eine zu hohe Belastung hin. Bei den privaten Zusatzrenten fällt die Steuer auf einen Ertragsanteil an, der vom Alter bei Rentenbeginn abhängt. Mit 65 Jahren sind es beispielsweise 18 Prozent. Bei der Festlegung der Ertragsanteile war der Gesetzgeber aber von drei Prozent Verzinsung ausgegangen. Solch eine Verzinsung ist nach dem jahrelangen Zinsverfall bei Rentenversicherungen allerdings nicht mehr realistisch. Die gestiegene Lebenserwartung gleicht das nicht aus. Aus heutiger Sicht müsste ein angemessener Ertragsanteil mit 65 Jahren daher deutlich unter 15 Prozent liegen, eigentlich. Das Finanzamt berechnet aber weiter Steuern auf die nach alten Maßstäben festgelegten Ertragsanteile. Mit der Doppelbesteuerung bei der gesetzlichen Rente hat das nicht direkt zu tun.

Ist die Rentenbesteuerung nicht immer unfair?

Nein. Der beschriebene Übergang zur nachgelagerten Besteuerung macht es künftig zum Normalfall, dass auch Rentner bei entsprechend hohen Einkünften Steuern zahlen müssen. Weil sie in der Einzahlungsphase davon profitiert haben, dass ihre Beiträge steuerlich verrechnet worden sind, ist eine teilweise Steuerpflicht der Renten fair. Weil die Steuersätze im Alter meist niedriger als während des Erwerbslebens sind, ist dieses Verfahren eigentlich sogar vorteilhaft. Allerdings müssen die Übergangsregeln zur nachgelagerten Besteuerung so gewählt werden, dass eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Das erscheint derzeit zumindest fraglich. 

Wichtig zu wissen: Selbst wenn Renten komplett steuerpflichtig sind, heißt das nicht unbedingt, dass Rentnerinnen und Rentner wirklich Steuern zahlen müssen. Solange ihre zu versteuernden Einkünfte unterhalb des Grundfreibetrags bleiben, dieses Jahr sind es 9744 Euro pro Kopf, fällt trotz Steuerpflicht am Ende keine Steuer an.

Sind auch Beamte als Pensionäre von der Doppelbesteuerung betroffen?

Nein, bei Beamten stellt sich das Problem nicht, weil sie überhaupt keine Beiträge für die spätere Pension zahlen müssen. Diese wird allein vom Staat finanziert, in der Regel ohne Aufbau eines Kapitalstocks.

Was Rentner tun können und wie die Politik das Thema sieht

Ist die Doppelbesteuerung der Rente ein neues Thema?

Die WirtschaftsWoche hatte erstmals 2016 über das Thema berichtet und damit auch in politischen Fachkreisen eine Debatte angestoßen. Mittlerweile ist es ein massenwirksames Thema geworden. Strenggenommen war das Thema aber auch 2016 zumindest für Experten nicht völlig neu. In dem damaligen Artikel wiesen wir auf eine Stellungnahme von 2007 hin. In dieser vertraulichen Stellungnahme an das Bundesfinanz- und Bundessozialministerium stand, dass die neue Besteuerung „bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt“. Eine Änderung des entsprechenden Gesetzes sei „erforderlich“. Verfasser der Stellungnahme waren Herbert Rische, bis März 2014 Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, und der Finanzwissenschaftler Bert Rürup, der vor der Reform der Rentenbesteuerung selbst eine Sachverständigenkommission zu dem Thema geleitet hatte. Heute ist Rürup Präsident des Handelsblatt Research Institutes, das, wie die WirtschaftsWoche, zur Handelsblatt Media Group gehört. Ihre Stellungnahme blieb jedoch folgenlos, bis heute.

Was kann ich machen, um mich gegen eine Doppelbesteuerung zu wehren?

Aktiv werden können erst Rentnerinnen und Rentner. Es ist nicht möglich, schon als Beitragszahler gegen eine spätere, womöglich zu hohe Besteuerung vorzugehen. „Vorher betrifft es Sie nicht, sagt das Gesetz“, erklärt Roland Franz, Steuerberater aus Essen. Mit Rentenbeginn aber sei es möglich, sich zu wehren. Der Staat dürfe nicht argumentieren, dass zu Beginn des Rentenbezugs zunächst nur solche Rentenzahlungen geleistet würden, die sich aus steuerentlasteten Beiträgen finanzierten (XR 44/14). Wollen heutige Rentner sich wehren, können sich Einspruch gegen noch offene Steuerbescheide einlegen. Dafür bleibt normalerweise ein Monat Zeit. Wie das geht und worauf zu achten ist, haben wir hier beschrieben. Etwa ab 2015 gestartete Rentnerinnen und Rentner können im Normalfall von der Doppelbesteuerung betroffen sein, bei bereits länger verrenteten Steuerzahlern ist dies eher die Ausnahme.

Finanzämter hatten sich anfangs teils geweigert, Einspruchsverfahren wegen der anhängigen BFH-Verfahren ruhend zu stellen. Immerhin: Mitte April teilte die Bundesregierung auf FDP-Anfrage im Bundestag mit, dass rund 142.000 Einsprüche gegen Steuerbescheide wegen möglicher Doppelbesteuerung von Renten bei Finanzämtern anhängig seien. In rund 135.000 Fällen seien die Einspruchsverfahren bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung ruhend gestellt worden. Ließ sich das Finanzamt darauf im Einzelfall nicht ein, blieb Betroffenen nur die Alternative, selbst aktiv zu werden und womöglich sogar zu klagen. Für alle künftigen Rentnerinnen und Rentner gilt: Sie können abwarten und auf ein positives BFH-Votum hoffen. Da derzeit noch nicht sicher ist, ob und wie Betroffene eine Doppelbesteuerung nachweisen müssen, sollten Beitragszahler auf jeden Fall alle Steuerbescheide aufheben. 

Wie stehen die politischen Parteien im Streit um die mögliche Doppelbesteuerung?

Es gibt hier keine klare Zuordnung nach politischen Schemen wie Rechts und Links. CDU, SPD und Grüne verneinen bislang in der Regel die Existenz einer Doppelbesteuerung. 2019 sah beispielsweise der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Kurth das Problem allein bei den Kritikern. So zog er in einer Bundestags-Debatte die Berechnungen von Finanzmathematiker Siepe in Zweifel. Dieser sei „der Einzige weit und breit, der jedes Jahr dieselben Argumente wiederholt“ und der „mit teilweise sehr absurden – jedenfalls methodisch fragwürdigen – Argumenten die These der Doppelbesteuerung untermauert“. Das könne keine ernsthafte Beratungsgrundlage sein. 

Die Linke, FDP und AfD hingegen beklagen das Problem, teils schon länger, und versuchen auch zunehmend mit Anträgen dagegen aktiv zu werden. Vor allem Matthias W. Birkwald von der Linken und Markus Herbrand von der FDP haben sich wiederholt und seit Jahren mit Vorstößen gegen die Doppelbesteuerung der Rente eingebracht. Da sich die Kritik auf die Opposition beschränkt, hat sie bislang in der Praxis nichts geändert.

Was sagt die Bundesregierung zur möglichen Doppelbesteuerung?

Die Bundesregierung bestreitet weiter ein Problem. Im August 2019 hatte sie mitgeteilt, dass es beim Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung „praktisch keine verfassungswidrige Zweifachbesteuerung“ gebe. Aktuell erklärte sie als Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP erneut: „Nach Auffassung der Finanzverwaltung kommt es zu keiner 'Doppelbesteuerung' von Renteneinkünften.“ Auch mit Blick auf die jüngsten BFH-Verhandlungen betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) betonte im Bundestag erneut: „Wir gehen also davon aus, dass es weiter bei dem Grundsatz bleibt: Mehrfachbesteuerungen, Zweifachbesteuerungen gibt es nicht und soll es nicht geben.“ Gleichzeitig signalisierte er allerdings seine Bereitschaft, aus einem Urteil des BFH, wenn nötig, Konsequenzen zu ziehen. Immerhin.

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Ein möglicher Grund für die bisherige Zurückhaltung der Politik mit Blick auf eine Anpassung der Steuerregeln für Renten: Immerhin gibt es derzeit jedes Jahr 700.000 bis 800.000 neue Rentnerinnen und Rentner. Die künftigen Steuerausfälle wären daher gigantisch, wenn die Besteuerung grundlegend geändert – hier: abgesenkt – werden müsste. Damit stehen für den Staat Milliarden an zukünftigen Steuereinnahmen auf dem Spiel. Deshalb will die Bundesregierung nun das BFH-Urteil abwarten. Dann könnte sie, je nach Ausgang, zu einer Reaktion gezwungen sein. 

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