Bundesfinanzhof macht Rentnern Hoffnung Doppelbesteuerung: Zahlen Millionen Rentner zu hohe Steuern?

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Gesetzliche oder private Rente, Beamte: Wer wie betroffen ist

In einem der nun am BFH anhängigen Verfahren (X R 33/19) hatte die Vorinstanz, das Finanzgericht Baden-Württemberg, zum Beispiel klargestellt, dass weder Werbungskostenpauschbeträge, noch der steuerliche Grundfreibetrag, Sonderausgabenpauschbetrag oder steuerlich abziehbare Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge als steuerfrei zufließende Rente zu berücksichtigen seien (8 K 3195/16). Und auch Egmont Kulosa, Richter am Bundesfinanzhof, hatte in einem Fachbeitrag bereits vor einiger Zeit eine strenge Definition der steuerfreien Rente vorgenommen. Dies hatte die WirtschaftsWoche 2019 als erstes Medium bekanntgemacht, viele andere Presseveröffentlichungen folgten. Kulosa zählte neben dem steuerlichen Rentenfreibetrag, nur noch einen jährlichen Werbungskostenpauschbetrag von 102 Euro zur Summe der steuerfreien Renten. Alle anderen Posten – wie den Grundfreibetrag oder die Krankenkassenbeiträge – hingegen ebenfalls nicht. Damit kam er zu dem deutlichen Ergebnis: „Es bedarf keiner komplizierten mathematischen Übungen, um bei den Angehörigen der heute mittleren Generation, die um das Jahr 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen.“ Für alle Rentner, die bis 2015 in Rente gingen, sei eine Doppelbesteuerung noch auszuschließen. Dann aber werde es kritisch. „Spätestens wenn ganze Rentnerkohorten in die doppelte Besteuerung hineinwachsen, wird daher eine gesetzliche Neuregelung erforderlich sein“, schrieb BFH-Richter Kulosa. Die Verfassungswidrigkeit erscheine evident. Allerdings legt die Einzelmeinung eines BFH-Richters nicht den BFH bei der späteren Urteilssprechung fest.

Wie wird die Summe der Rentenbeiträge berechnet?

Klingt simpel, ist es aber leider auch nicht. Denn während bei den Renten über die Berechnung des steuerfrei fließenden Anteils gestritten wird, gibt es auch bei den Beiträgen unterschiedliche Ansichten. Hier kommt es darauf an, wie viel der Beiträge steuerlich nicht verrechnet worden sind. Nur dieser Anteil der Beiträge, der also nicht das zu versteuernde Einkommen gedrückt hat, ist für die Berechnung der Doppelbesteuerung entscheidend. Seit 2005 sind die Regeln eigentlich recht klar, die Berechnung damit einfach: So kann Jahr für Jahr ein steigender Anteil der Beiträge steuerlich verrechnet werden, 2021 sind es 92 Prozent des Gesamtbeitrags. Der Arbeitgeberanteil (also meist 50 Prozent des Gesamtbeitrags) ist ohnehin steuerfrei, faktisch wirken sich damit 84 Prozent des Arbeitnehmeranteils steuerlich aus (weitere 42 Prozent des Gesamtbeitrags, von dem der Arbeitnehmer die Hälfte trägt). Von 2025 an werden die Rentenbeiträge dann steuerlich in voller Höhe berücksichtigt, weiter begrenzt auf einen Höchstbetrag (2021 liegt der bei 25.787 Euro pro Jahr, bei Verheirateten in Summe doppelt so viel).

Bislang aber lief auch hier noch eine Übergangsphase. Bis einschließlich 2019 hat das Finanzamt noch geprüft, ob womöglich eine steuerliche Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen nach den alten, vor 2005 geltenden Regeln günstiger wäre. Wenn ja, wurde das alte Recht angewendet. Bei diesem alten Recht wurden alle Vorsorgeaufwendungen, auch die Rentenbeiträge, in einem Steuertopf betrachtet. Die konnten, gedeckelt auf bestimmte Höchstbeträge, bei der Steuer verrechnet werden. Das macht die Berechnung der Doppelbesteuerung komplexer, denn es muss nun im Nachhinein entschieden werden, welcher Anteil der berücksichtigten Vorsorgeaufwendungen auf die Rentenbeiträge entfallen ist. Nur der restliche, steuerlich nicht verrechnete Rentenbeitrag wäre für die Doppelbesteuerung relevant. 

Dies führte zum Beispiel in einem Verfahren vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg von Anfang März dazu, dass die Richter eine Doppelbesteuerung verneinten. Denn die von ihnen errechnete Summe der steuerlich nicht berücksichtigten Rentenbeiträge war viel geringer als von dem klagenden Rentnerpaar ermittelt (1 K 937/19, Revision möglich). Während der Mann davon ausging, in Summe Rentenbeiträge in Höhe von über 60.000 Euro nicht steuerlich anerkannt bekommen zu haben, errechnete das Finanzgericht nur schlappe 4000 Euro. Bei der Frau waren es rund 52.000 statt über 140.000 Euro. Der Unterschied lag nur an der anderen Aufteilung des steuerlichen Sonderausgabenabzugs auf die verschiedenen Sozialversicherungszweige. Weil der Unterschied so gewaltig war, konnten die Richter die Klage abweisen, ohne sich zur sonstigen Berechnung der Doppelbesteuerung äußern zu müssen. 

Dieses Problem betrifft aber nur heutige und bald startende Rentner. Bei den künftigen Rentnern, die ihre Beiträge dann vor allem nach den aktuellen Steuerregeln gezahlt und verrechnet haben, tritt es nicht mehr auf. Allerdings befassen sich die Finanzrichter derzeit eben auch nur mit Fällen von bereits im Ruhestand befindlichen Rentnern, sodass es vor Gericht derzeit durchaus relevant ist.       

Betrifft das Problem nur die gesetzliche Rente?

Nein, denn die gleichen Steuerregeln gelten auch für Renten aus berufsständischen Versorgungswerken, etwa für Ärzte und Anwälte. Die Ausmaße des Problems können aber auch bei gesetzlichen Renten je nach Fall größer oder kleiner sein. So haben Angestellte, bei denen der Arbeitgeber die Hälfte der Rentenbeiträge finanziert, auch bis 2005 zumindest auf den Arbeitgeberanteil der Beiträge von einer Steuerfreiheit profitiert. Wer als freiwillig versichertes Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung hingegen seine Beiträge komplett selbst gezahlt hat, etwa als Selbstständiger, der hat bis dahin überhaupt keine Steuerbefreiung erhalten.

Um wie viel Geld geht es bei der Doppelbesteuerung?

Basierend auf der gängigen Definition der Doppelbesteuerung und einer strengen Auslegung der Rechenregeln, also zu Gunsten der steuerzahlenden Rentner gerechnet, kann es durchaus um 10.000 bis 20.000 Euro an Steuern gehen, über die gesamte Rentenzeit gesehen. Dies ergaben vor einigen Jahren Berechnungen des Finanzmathematikers Werner Siepe. 

Kommt es auch bei privaten Rentenversicherungen zu einer Doppelbesteuerung?

Bei privaten Rentenversicherungen gelten andere Steuerregeln. Allerdings gibt es auch hier ein Problem. So deutet auch bei diesen Regeln einiges auf eine zu hohe Belastung hin. Bei den privaten Zusatzrenten fällt die Steuer auf einen Ertragsanteil an, der vom Alter bei Rentenbeginn abhängt. Mit 65 Jahren sind es beispielsweise 18 Prozent. Bei der Festlegung der Ertragsanteile war der Gesetzgeber aber von drei Prozent Verzinsung ausgegangen. Solch eine Verzinsung ist nach dem jahrelangen Zinsverfall bei Rentenversicherungen allerdings nicht mehr realistisch. Die gestiegene Lebenserwartung gleicht das nicht aus. Aus heutiger Sicht müsste ein angemessener Ertragsanteil mit 65 Jahren daher deutlich unter 15 Prozent liegen, eigentlich. Das Finanzamt berechnet aber weiter Steuern auf die nach alten Maßstäben festgelegten Ertragsanteile. Mit der Doppelbesteuerung bei der gesetzlichen Rente hat das nicht direkt zu tun.

Ist die Rentenbesteuerung nicht immer unfair?

Nein. Der beschriebene Übergang zur nachgelagerten Besteuerung macht es künftig zum Normalfall, dass auch Rentner bei entsprechend hohen Einkünften Steuern zahlen müssen. Weil sie in der Einzahlungsphase davon profitiert haben, dass ihre Beiträge steuerlich verrechnet worden sind, ist eine teilweise Steuerpflicht der Renten fair. Weil die Steuersätze im Alter meist niedriger als während des Erwerbslebens sind, ist dieses Verfahren eigentlich sogar vorteilhaft. Allerdings müssen die Übergangsregeln zur nachgelagerten Besteuerung so gewählt werden, dass eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Das erscheint derzeit zumindest fraglich. 

Wichtig zu wissen: Selbst wenn Renten komplett steuerpflichtig sind, heißt das nicht unbedingt, dass Rentnerinnen und Rentner wirklich Steuern zahlen müssen. Solange ihre zu versteuernden Einkünfte unterhalb des Grundfreibetrags bleiben, dieses Jahr sind es 9744 Euro pro Kopf, fällt trotz Steuerpflicht am Ende keine Steuer an.

Sind auch Beamte als Pensionäre von der Doppelbesteuerung betroffen?

Nein, bei Beamten stellt sich das Problem nicht, weil sie überhaupt keine Beiträge für die spätere Pension zahlen müssen. Diese wird allein vom Staat finanziert, in der Regel ohne Aufbau eines Kapitalstocks.

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