Bundesfinanzhof macht Rentnern Hoffnung Doppelbesteuerung: Zahlen Millionen Rentner zu hohe Steuern?

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Was Rentner tun können und wie die Politik das Thema sieht

Ist die Doppelbesteuerung der Rente ein neues Thema?

Die WirtschaftsWoche hatte erstmals 2016 über das Thema berichtet und damit auch in politischen Fachkreisen eine Debatte angestoßen. Mittlerweile ist es ein massenwirksames Thema geworden. Strenggenommen war das Thema aber auch 2016 zumindest für Experten nicht völlig neu. In dem damaligen Artikel wiesen wir auf eine Stellungnahme von 2007 hin. In dieser vertraulichen Stellungnahme an das Bundesfinanz- und Bundessozialministerium stand, dass die neue Besteuerung „bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt“. Eine Änderung des entsprechenden Gesetzes sei „erforderlich“. Verfasser der Stellungnahme waren Herbert Rische, bis März 2014 Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, und der Finanzwissenschaftler Bert Rürup, der vor der Reform der Rentenbesteuerung selbst eine Sachverständigenkommission zu dem Thema geleitet hatte. Heute ist Rürup Präsident des Handelsblatt Research Institutes, das, wie die WirtschaftsWoche, zur Handelsblatt Media Group gehört. Ihre Stellungnahme blieb jedoch folgenlos, bis heute.

Was kann ich machen, um mich gegen eine Doppelbesteuerung zu wehren?

Aktiv werden können erst Rentnerinnen und Rentner. Es ist nicht möglich, schon als Beitragszahler gegen eine spätere, womöglich zu hohe Besteuerung vorzugehen. „Vorher betrifft es Sie nicht, sagt das Gesetz“, erklärt Roland Franz, Steuerberater aus Essen. Mit Rentenbeginn aber sei es möglich, sich zu wehren. Der Staat dürfe nicht argumentieren, dass zu Beginn des Rentenbezugs zunächst nur solche Rentenzahlungen geleistet würden, die sich aus steuerentlasteten Beiträgen finanzierten (XR 44/14). Wollen heutige Rentner sich wehren, können sich Einspruch gegen noch offene Steuerbescheide einlegen. Dafür bleibt normalerweise ein Monat Zeit. Wie das geht und worauf zu achten ist, haben wir hier beschrieben. Etwa ab 2015 gestartete Rentnerinnen und Rentner können im Normalfall von der Doppelbesteuerung betroffen sein, bei bereits länger verrenteten Steuerzahlern ist dies eher die Ausnahme.

Finanzämter hatten sich anfangs teils geweigert, Einspruchsverfahren wegen der anhängigen BFH-Verfahren ruhend zu stellen. Immerhin: Mitte April teilte die Bundesregierung auf FDP-Anfrage im Bundestag mit, dass rund 142.000 Einsprüche gegen Steuerbescheide wegen möglicher Doppelbesteuerung von Renten bei Finanzämtern anhängig seien. In rund 135.000 Fällen seien die Einspruchsverfahren bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung ruhend gestellt worden. Ließ sich das Finanzamt darauf im Einzelfall nicht ein, blieb Betroffenen nur die Alternative, selbst aktiv zu werden und womöglich sogar zu klagen. Für alle künftigen Rentnerinnen und Rentner gilt: Sie können abwarten und auf ein positives BFH-Votum hoffen. Da derzeit noch nicht sicher ist, ob und wie Betroffene eine Doppelbesteuerung nachweisen müssen, sollten Beitragszahler auf jeden Fall alle Steuerbescheide aufheben. 

Wie stehen die politischen Parteien im Streit um die mögliche Doppelbesteuerung?

Es gibt hier keine klare Zuordnung nach politischen Schemen wie Rechts und Links. CDU, SPD und Grüne verneinen bislang in der Regel die Existenz einer Doppelbesteuerung. 2019 sah beispielsweise der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Kurth das Problem allein bei den Kritikern. So zog er in einer Bundestags-Debatte die Berechnungen von Finanzmathematiker Siepe in Zweifel. Dieser sei „der Einzige weit und breit, der jedes Jahr dieselben Argumente wiederholt“ und der „mit teilweise sehr absurden – jedenfalls methodisch fragwürdigen – Argumenten die These der Doppelbesteuerung untermauert“. Das könne keine ernsthafte Beratungsgrundlage sein. 

Die Linke, FDP und AfD hingegen beklagen das Problem, teils schon länger, und versuchen auch zunehmend mit Anträgen dagegen aktiv zu werden. Vor allem Matthias W. Birkwald von der Linken und Markus Herbrand von der FDP haben sich wiederholt und seit Jahren mit Vorstößen gegen die Doppelbesteuerung der Rente eingebracht. Da sich die Kritik auf die Opposition beschränkt, hat sie bislang in der Praxis nichts geändert.

Was sagt die Bundesregierung zur möglichen Doppelbesteuerung?

Die Bundesregierung bestreitet weiter ein Problem. Im August 2019 hatte sie mitgeteilt, dass es beim Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung „praktisch keine verfassungswidrige Zweifachbesteuerung“ gebe. Aktuell erklärte sie als Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP erneut: „Nach Auffassung der Finanzverwaltung kommt es zu keiner 'Doppelbesteuerung' von Renteneinkünften.“ Auch mit Blick auf die jüngsten BFH-Verhandlungen betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) betonte im Bundestag erneut: „Wir gehen also davon aus, dass es weiter bei dem Grundsatz bleibt: Mehrfachbesteuerungen, Zweifachbesteuerungen gibt es nicht und soll es nicht geben.“ Gleichzeitig signalisierte er allerdings seine Bereitschaft, aus einem Urteil des BFH, wenn nötig, Konsequenzen zu ziehen. Immerhin.

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Ein möglicher Grund für die bisherige Zurückhaltung der Politik mit Blick auf eine Anpassung der Steuerregeln für Renten: Immerhin gibt es derzeit jedes Jahr 700.000 bis 800.000 neue Rentnerinnen und Rentner. Die künftigen Steuerausfälle wären daher gigantisch, wenn die Besteuerung grundlegend geändert – hier: abgesenkt – werden müsste. Damit stehen für den Staat Milliarden an zukünftigen Steuereinnahmen auf dem Spiel. Deshalb will die Bundesregierung nun das BFH-Urteil abwarten. Dann könnte sie, je nach Ausgang, zu einer Reaktion gezwungen sein. 

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