Datenhandel Verschwiegene Branche der Adresshändler

Gegen Bares liefern 1300 deutsche Adresshändler fast alles. Einblicke in eine verschwiegene Branche.

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Einen schwunghaften Handel mit Quelle: dpa

Sie sind Autohändler in Düsseldorf? Sie wollen eine neue Spitzen-Limousine gezielt einer einkommensstarken Klientel per Werbebrief schmackhaft machen? Gar kein Problem: Nach wenigen Mausklicks liefert der Web-Shop von Schober, einem der großen Adresshändler in Deutschland, die gewünschten Daten. Demnach gibt es in ganz Nordrhein-Westfalen 203 Menschen, die stark an Oberklasse-Autos interessiert sind, über eine sehr hohe Kaufkraft verfügen und in exklusiven Häusern ab Baujahr 2001 wohnen. Kosten des kleinen, aber feinen Datenpakets: 304,50 Euro plus Mehrwertsteuer; pro Adresse 1,50 Euro netto.

Anderswo setzen Datenschieber auf Masse statt Klasse. Auf seiner Homepage wirbt der Adresshändler Cebus für unterschiedliche Datensammlungen: Wer die Anschriften von jungen Familien mit Kindern sucht oder nach E-Mail-Adressen von finanzstarken Kapitalanlegern fahndet, wird bei Cebus fündig. Herkunft der heißen Ware: Gewinnspiele oder Werbeveranstaltungen; bei den jungen Familien handelt es sich beispielsweise um die Empfänger kostenloser Warenproben für Säuglinge, wie sie Drogeriemarktketten anbieten. Je nach Alter der Adressen variiert der Preis: Der sogenannte Premiumbestand ist laut Cebus maximal 14 Tage alt und kostet 899 Euro für 1000 Adressen; Altdaten aus dem Jahre 2006 werden dagegen bereits für weniger als die Hälfte (399 Euro) verhökert.

Datenhandel in Deutschland floriert

Der Datenhandel in Deutschland floriert, nicht nur der mit geklauten Konto- oder sonstigen Privatinformationen, sondern vor allem der legale. Laut Chaos Computer Club (CCC) sind in Deutschland rund 1300 Adresshändler registriert, bei denen Unternehmen Adressen und weitere personenbezogene Daten von potenziellen Kunden kaufen können.

Zu den professionellen Datensammlern zählen zum Beispiel Auskunfteien wie Schufa, Creditreform, Arvato Infoscore oder Bürgel. Sie vermarkten Bonitätsinformationen zu Unternehmen oder Privatkunden und übernehmen teilweise auch das Inkasso für ihre Auftraggeber. Am anderen Ende der digitalen Wertschöpfungskette sitzen klassische Adresshändler wie Schober, AZ Direct oder Global Group. Sie sammeln und vermarkten im großen Stil Adressen aus ganz Deutschland für das Direktmarketing – und zwar auswählbar anhand vielfältiger Kriterien wie etwa „Kinderwunsch“ oder „Interesse an Lifestyle“.

Verlässliche Marktzahlen gibt es nicht. Hans Peter Bull, zwischen 1978 und 1988 erster Bundesdatenschützer in Deutschland, schätzt: „Die Umsätze addieren sich zu Milliardenbeträgen, aber sie verteilen sich auf viele – auch kleine – Firmen.“ Das freilich nicht nur. Einer der ganz großen Spieler ist Medienriese Bertelsmann über seine Service-Tochter Arvato. Die Gütersloher verfügen über ein Komplettportfolio von Auskunftei über Adresshandel bis hin zur Datenaktualisierung.

Der Vorstand des Quelle: dpa

Der Bertelsmann-Ableger Arvato Info-score arbeitet laut Selbstbeschreibung als „Full-Service-Dienstleister für weltweit erfolgreiches Direktmarketing“. Nach eigenen Angaben hat Arvato Infoscore eine Datenbank mit mehr als 40 Millionen Merkmalen über negatives Zahlungsverhalten von fast acht Millionen Menschen – und das sogar als „tagesaktuelle Daten“. Diese stammen aus der Abwicklung von Inkassofällen, welche das Unternehmen im Auftrag von Großkunden wie der Deutschen Bahn durchführt. Simplen Adresshandel betreibt Infoscore laut eigenen Angaben nicht.

Für den ist bei Bertelsmann die Tochter AZ Direct zuständig. Mehr als 37 Millionen Privatadressen und über vier Millionen Firmenanschriften schlummern laut eigenen Angaben in den Datenbanken, mit Zusatzinformationen zum Wohngebiet und statistischen Merkmalen wie der Wahrscheinlichkeit, dass die in den Adressen genannten Bürger Kinder haben. Die Daten stammen laut AZ Direct nicht aus der Bertelsmann-Gruppe, sondern werden von Kooperationspartnern geliefert.

Deutsche Post Adress schließlich, ein Gemeinschaftsunternehmen von Post und Bertelsmann, will die Qualität von Adressen für Unternehmen und Wiederverkäufer verbessern. Auch Deutsche Post Adress verweist darauf, nicht mit Daten zu handeln. „Ein Unternehmen erhält über uns nur dann die neue Anschrift einer umziehenden Person, wenn es bereits Kenntnis von der alten Anschrift besitzt“, sagt Geschäftsführer Dieter Schefer.

Verknüpfung verschiedener Datenquellen

Kritiker stört die Bündelung von diversen Adress- und Datendiensten unter einem Konzerndach. „Jeder einzelne Datensatz wie Adresse, Kaufgewohnheiten oder Ähnliches ist an sich vielleicht noch problemlos“, sagt CCC-Sprecher Frank Rieger. „Die Gefahr besteht vor allem in der Zusammenführung und Anreicherung von Daten aus unterschiedlichen Quellen, weil das ein Profil ergibt, welches einen Menschen weitgehend durchleuchtet.“ Bertelsmann verweist freilich darauf, dass die Direktmarketingtöchter „sämtliche Bestimmungen des Datenschutzes“ einhielten.

Sammelwut innerhalb eines Unternehmens gibt es auch anderswo. Die Schober Information Group aus dem schwäbischen Ditzingen, laut eigenen Angaben größter Spezialist für das Direktmarketing in Deutschland, verfügt unter anderem über 50 Millionen Privatadressen mit zehn Milliarden Zusatzinformationen, selektierbar nach Alter, Geschlecht, Kaufkraft oder sozialer Schicht. Die in Bonn ansässige Schober-Tochter Infas Geodaten wiederum hat den kompletten Häuserbestand Deutschlands – fast 20 Millionen Gebäude – gespeichert und bietet vielfältige Zusatzinformationen an, darunter Daten zu Zustand und Bauweise eines Hauses ebenso wie die Größe des Gartens. Die Daten stammen laut Infas aus öffentlichen Quellen wie Bebauungsplänen oder von statistische Ämtern.

Beides zusammen ermöglicht dann bereits besonders gezielte Abfragen. So wirbt Infas Geodaten in einer Broschüre, gemeinsam mit Schober biete man „gesonderten Zugriff auf circa 35 Millionen Haushaltsadressen, selektierbar nach mikrogeografischen Merkmalen und Scores, fünf Millionen Lifestyleadressen sowie mehr als fünf Millionen Businessadressen“.

Call Center-Mitarbeiterinnen Quelle: AP

Der gläserne Bürger – er ist längst Realität. Die Unternehmen der Adresshändlerbranche dagegen sind alles andere als durchsichtig. Die Schober-Gruppe etwa wollte Fragen der WirtschaftsWoche zu Sicherheitsvorkehrungen nicht beantworten, „aufgrund der Vielzahl der Anfragen, die uns momentan erreichen“.

„Der Markt für Adresshändler ist sehr undurchsichtig, weil keiner wirklich kontrolliert, welcher Anbieter welche Daten an wen weitergibt“, kritisiert Gerd Billen, Vorsitzender des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Was passiert beispielsweise, wenn Daten an ein Callcenter oder einen sonstigen Dienstleister übergeben werden? – „Lassen sich Unternehmen als Auftraggeber nur unterschreiben, dass ein Dienstleister den Datenschutz einhält? Wird die Löschung der Daten überprüft, wenn ein Auftrag beendet ist? Da wird bisher nicht genau hingeschaut“, sagt Billen.

Eine Ausnahme in der sonst so verschwiegenen Branche will die Global Group aus Idstein sein. Zwar protzen auch die Hessen mit den üblichen gigantischen Zahlen, mit Zugriff auf 65 Millionen Privatadressen, was rund 95 Prozent der Bevölkerung über 18 Jahre entspräche. Die jetzige Diskussion über Datenklau begrüßt man indes. „Uns ist sehr recht, dass in der Öffentlichkeit über das Thema Datenhandel gesprochen wird. Denn unseriöse Anbieter, die den Datenschutz missbrauchen, sollen von der Bildfläche verschwinden“, sagt Frank Meier-Gerßler, Vorstand Operations bei Global Group. 

Datenklaus-Skandal ist ein heilsamer Schock

Als einer von wenigen Adresshändlern in Deutschland hat das Unternehmen seine IT-Sicherheitsvorkehrungen nach ISO-Norm zertifizieren lassen. Das bedeutet: Sensible Daten müssen vor Zugriff geschützt und die Verarbeitung von Daten nachvollziehbar protokolliert werden. „So bewahren wir beispielsweise die Daten in gesicherten Panzerräumen auf, die zusätzlich kameraüberwacht sind. Und Kunden erhalten nach dem Ende eines Auftrags eine Löschungsbestätigung der uns zur Verfügung gestellten Daten“, sagt Meier-Gerßler.

Derartige Vorkehrungen sind in den Augen von Verbraucherschützern jedoch nur ein Anfang. „Der jetzige Datenklau-Skandal ist ein heilsamer Schock – und zwar für Verbraucher wie für Adresshändler“, sagt Verbraucherschützer Billen. Konsumenten gewännen nun einen Eindruck davon, wie wichtig die möglichst sparsame Preisgabe eigener Daten sei.

Und für Unternehmen könnte künftig gar eine neue Zeitrechnung anbrechen – so zumindest seine Hoffnung: „Der faire Umgang mit Kundendaten muss in Zukunft ein imagebildender Faktor werden, ähnlich wie etwa die Einhaltung von ökologischen oder sozialen Standards bei der Herstellung von Textilien“, so Billen. „Die Zeit, mittels eines Gewinnspiels im Internet oder Fernsehen einen Freibrief für den hemmungslosen Adresshandel zu bekommen, geht dem Ende entgegen.“ Schön wäre es jedenfalls.

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