„Ein rechtshistorischer Sieg“, sei das Urteil des OLG Frankfurt, kommentierte die Kanzlei Tilp, die den Musterkläger gegen die Deutsche Telekom vertritt. Genau genommen ist es ein Etappensieg. Erstens kann die Deutsche Telekom das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof fortsetzen. Dafür wären weitere 1,5 Jahre Gerichtsverfahren anzusetzen, so die Kanzlei Tilp. Zweitens müsste das Landgericht Frankfurt in jedem Einzelfall entscheiden, ob den Anlegern tatsächlich Schadensersatz zusteht. Die Richter prüfen, ob der Prospektfehler die Entscheidung des Anlegers beeinflusst hat, die Telekom-Aktien zu kaufen. Ob die Anleger Geld erhalten, ist also noch offen.
Das Kapitalanleger-Musterverfahren wird häufig als eine Art „deutsche Sammelklage“ bezeichnet. In der Praxis ist das deutsche Musterverfahren jedoch nur bedingt mit Sammelklagen wie beispielsweise in den USA vergleichbar. Im Musterverfahren nach deutschen Recht werden die Rechtsgrundlagen festgelegt, nach denen die Gerichte urteilen. Erst danach wird in jedem Einzelfall entschieden. Es bleibt also das Risiko, dass einzelne Anleger leer ausgehen und auf Kosten des Rechtsstreits sitzen bleiben.
Das Gesetz, das Musterverfahren für Kapitalanleger in Deutschland möglich machte, wurde bereits 2005 eingeführt. Dennoch hat es seit dem dritten Telekom-Börsengang im Jahr 2000 immerhin 16 Jahre bis zum Etappensieg beim OLG Frankfurt gedauert. Musterverfahren sind also kein Königsweg für Anleger, um schnell zu Geld zu kommen. So ist der Musterkläger im Fall Telekom ist inzwischen leider verstorben.
Wer als Anleger Mammut-Verfahren wie bei der Telekom durchhalten will, muss entweder vermögend sein oder eine gute Rechtsschutzversicherung haben, die einen langen Rechtsstreit finanziert. Die Telekom-Klagen haben den Gesetzgeber zwar dazu veranlasst, Musterverfahren in Deutschland einzuführen. Gegenüber dem früheren Recht war das sicher ein Fortschritt. Gleichzeitig haben viele Rechtschutzversicherer danach Kapitalanlageprozesse aus dem Leistungskatalog neuer Policen wieder herausgenommen. Den Versicherern wurde die Finanzierung tausender Kapitalanleger-Prozesse schlichtweg zu teuer.
Es gibt für Anleger also keinen risikolosen Weg über Gerichtsverfahren zu Schadensersatz zu kommen. Bei jedem Fall lohnt es sich, den wirtschaftlichen Nutzen einer Klage zu prüfen.