
Es war eine kleine Meldung in der WirtschaftsWoche vom 20. April 2015. Die 45 Zeilen reichten, um die Finanzbranche in helle Aufregung zu versetzen. In der Meldung ging es um ein Milliardengeschäft – das höchst lukrative Dividenden-Stripping. Der Trick funktioniert so: Ausländische Investmentfonds und Großanleger übertragen Aktien von deutschen Unternehmen kurz vor dem Dividenden-Zahltag auf eine deutsche Bank oder Investmentgesellschaft. Die deutschen Gesellschaften können sich nämlich, anders als ausländische, 25 Prozent Kapitalertragsteuer vom Fiskus erstatten oder davon freistellen lassen. Kurz nach dem Zahltag wandern die Aktien zurück, den Ertrag teilen sich die Beteiligten.
Dieses Verfahren sei in Ordnung, beschwichtigte die Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer nach dem WiWo-Bericht Klienten. Der Bundesfinanzminister plane kein Gesetz gegen die umstrittene Praxis, alles könne wie gehabt weitergehen.
Steuertricks mit Dividenden
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
Doch diese Einschätzung könnte zu optimistisch sein. Immerhin geht es hier, das haben die Beamten begriffen, um eine zumindest grenzwertige Steuergestaltung - und um viel Geld. „Sie kann den Fiskus allein 2015 fünf Milliarden Euro kosten“, sagt Christoph Spengel, wissenschaftlicher Berater von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Steuerprofessor an der Universität Mannheim.
Das erhöht den Druck auf den Minister, das Treiben der Steuertrickser zu stoppen. Das aber ist nicht so einfach. Denn tagtäglich werden in Deutschland Millionen Aktien und Derivate gehandelt. Wie soll da der einzelne Finanzbeamte erkennen, ob es sich um normale, also reguläre Geschäfte handelt? Oder ob dahinter ein Gesamtplan steckt mit dem alleinigen Zweck, die Kapitalertragsteuer zu umgehen? letzteres wäre laut § 42 Abgabenordnung ein Steuermissbrauch.
Deshalb lässt Schäuble nun Vorschläge prüfen, wie der Fiskus Aktiengeschäfte mit Steuererstattungen besser unter die Lupe nehmen kann. Australien zum Beispiel hat die Regelung eingeführt, dass inländische Aktionäre nur dann eine steuerfreie Dividende erhalten können, wenn sie die Papiere mindestens 45 Tage um den Ausschüttungstermin halten und diese nicht gegen Kursschwankungen absichern. Daraus ergibt sich eine Meldepflicht mit entsprechender Transparenz, so dass die Finanzbeamten viel leichter als bisher erkennen können, ob es sich um eine missbräuchliche Steuergestaltung handelt, und dann entsprechend ihre Zustimmung zur Rückerstattung oder Befreiung von der Kapitalertragsteuer verweigern oder erteilen. Ob das Bundesfinanzministerium das australische Modell übernehmen will, ist offen. Auf Anfrage teilte das Ministerium mit, „Das das BMF die Abwägungsprozesse zum Für und Wider von steuerlichen Regelungen nicht öffentlich erörtert“. Im Übrigen prüfe man derzeit, welche Maßnahmen noch gegen die genannten Gestaltungen erforderlich seien.